Anders als der Titel suggeriert, geht es dem "Handbuch" nicht primär um arme, südliche Länder, sondern um unsere eigene, hausgemachte Entwicklung. Sein roter Faden ist, dass es eine sektorale, begrenzte Nachhaltigkeit schlichtweg nicht geben kann. Nachhaltiges Wirtschaften ist nicht möglich, ohne Beachtung seiner sozialen und ökologischen Dimension. Das Neue an dem Buch ist die umfängliche Einbindung der Wirtschaft in die Nachhaltigkeitsdiskussion, eine bislang eher unterbelichtete Seite.
Was ist eigentlich nachhaltiges Wirtschaften: Ist es bereits mit einer modernen Version des "Haushaltens" getan, und ist es überhaupt sinnvoll, ein solches Leitbild "überzukonkretisieren", ohne das es seine Leitbildfunktion verliert? Sind freie Initiative und marktwirtschaftliches Handeln mit einer inhaltlichen Festlegung vereinbar? Wie und wieweit muss die Politik den Nachhaltigkeitsprozess steuern? Geht das überhaupt in nationaler oder europäischer Beschränkung?
Der jüngste Streit um den Emissionszertifikathandel zeigt, wie ein marktwirtschaftliches Instrument, wenn denn der Markt immer noch die Drohung mit der Unternehmensabwanderung erlaubt, nicht unbedingt greift, solange "gutes" Wirtschaften nicht global geregelt wird. Und, so ein Beitrag des Buches, solange etwa die allgemeinen und beruflichen Bildungsanstrengungen Nachhaltigkeit nicht zum durchgängig präsenten Thema erheben. Eine weitere Denkblockade ist zu überwinden: Die gängige Fixierung auf einen rein quantitativen Wachstumsbegriff, wie er sich im Bruttosozialprodukt ausdrückt.
Allein die Tatsache, dass das Ökosystem Erde begrenzt und bereits überlastet ist, verbietet es eigentlich, diesem Fetisch weiter zu huldigen. Der Abschied müsste um so leichter fallen, als Wachstum ja schon länger kein Garant mehr für Arbeitsplätze ist. Eine Wirtschaft, die dauerhafte Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau hinnimmt, kann kaum als nachhaltig gelten. Abgesehen davon wird das "Normalarbeitsverhältnis" zukünftig kaum mehr der Standard sein, an dem alle andere gesellschaftliche Arbeit gemessen wird, so das Thema weiterer Beiträge.
Was sollten, was können die wirtschaftlichen Akteure im Sinne der Nachhaltigkeit tun? Themen sind zum Beispiel der Beitrag der Gewerkschaften (auch sie kommen nicht um die unbequeme Auseinandersetzung mit dem Wohlstandsmodell der Reichtumsregionen herum), Konsumenten und Manager: Letztere werden sich auf einen neuen Erfolgsbegriff einstellen müssen. Stand bisher bestenfalls Ökoeffizienz auf der to-do-Liste, so muss es jetzt umfassender um den Erhalt des materiellen wie immateriellen Ressourcennachschubs für die Unternehmen gehen, weil die Effizienz lediglich die knappen Ressourcen streckt, nicht jedoch erneuert. Es leuchtet ein, wie anspruchsvoll damit die Aufgaben werden, etwa bei der Branchen- und regionalen Kooperation sowie der Mitarbeiterrekrutierung- und qualifizierung.
Der Beitrag "Nachhaltiges Designmanagment" veranschaulicht sehr gut, wieviel Kunst und Können in einem einfachen Porzellanservice stecken kann, wieviel ein Unternehmen also tun kann für die Ästhetik, Dauerhaftigkeit und "Patinafähigkeit", Umweltschonung, "Demokratisierung" und nicht zuletzt für die Käuferakzeptanz seines Produktes. Dies müsste gerade in Deutschland leichter als anderswo fallen, da es hier eine lange industrielle Tradition der "guten Form" gibt, man denke nur an Werkbund (1907), Bauhaus (1919) und Ulmer Schule (1955).
Überwindung eingefahrener (Denk-)Gewohnheiten, Partizipation der Beteiligten, Beachtung der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt, Offenheit des Prozesses: Erneut wird die Komplexität des Themas deutlich im Kapitel Unternehmensberatung und schließlich auch bei der sozial-ökologischen Forschung. Einmal mehr zeigt sich, dass die Initiative und Förderung einer solchen, gesellschaftliche Probleme behandelnden Forschung, die meist im Schnittpunkt von Konsum und Produktion liegt, wesentlich vom Staat ausgeht, dass aber der Abschied von einer kontextfreien und wertneutralen Forschung auch Probleme der Abhängigkeit vom Auftraggeber und der Qualitätssicherung mit sich bringen kann.
Leider kommen in dem Buch viele Wiederholungen vor, ja ganze Aufsätze sagen oft das Gleiche aus. Im übrigen erhöht wohl die Seitenzahl auch den Preis, was die Verbreitung der Inhalte, sieht man einmal von dem leider häufigen Slang der Sozialwissenschaften ab, mindert.
Denoch kann man hier Wichtiges, Wegweisendes zur Nachhaltigkeitsdebatte finden. Der Band bietet jedenfalls eine Fülle von Anregungen zum überlebenswichtigen Thema Nachhaltigkeit - wenn es denn ernsthaft zur Sache und nicht nur um Schaumschlägerei geht. Peter Manstein
Gudrun Linne / Michael Schwarz (Hrsg.)
Handbuch Nachhaltige Entwicklung.
Wie ist nachhaltiges Wirtschaften machbar?
Verlag Leske & Budrich, Opladen 2003;
620 S., 35,- Euro