Am Beginn meines Nachdenkens über die ungeheuerliche Frage, "wie Frauen heute noch Mutter sein können", steht ein freudiges Bekenntnis zu diesem Leben in einem unbequemen Glück. Denn mit der Geburt unseres Kindes, an einem Sonntagmorgen im März vor zwei Jahren, tat sich für uns, und insbesondere für mich, eine ganz neue Welt auf. Die wesentliche von den emotionalen, intellektuellen und existentiellen Erfahrungen ist vor allem die: Egal, was noch kommen mag an Höhen und Tiefen, auf jeden Fall ist das so manche Entbehrung und auch manches persönliche Opfer wert.
Und Worte wie "Verzicht" und "Unsicherheit" stehen bei allem Glück eben doch im Raum. Zumindest wenn es sich bei den Beteiligten nicht um Beamte in Lebensstellung, gebürtige Millionäre oder unkündbare Angestellte handelt, sondern - was in unserer Generation gar nicht so selten ist - um ein Paar, das in Zeiten unsicherer Jobs und ungewisser Laufbahnen zu der Erkenntnis gekommen ist: Auf einen Einzelverdiener können und wollen wir uns nicht verlassen. Darüber hinaus handelt es sich bei uns - auch nicht so selten - um zwei Individuen, die ihre Berufe lieben. Und die sich ihr Leben, auch mit einem Kind, nicht ohne jenen überaus wichtigen Kontrapunkt zur Welt des Privaten vorstellen mögen.
Es war uns also schon vor Theresas Ankunft klar: Wir wollen trotz (oder auch gerade wegen) des Kindes unsere jeweiligen Karrieren als Historiker und freiberufliche Journalistin weiterführen. Doch wie? Wenn ein Wissenschaftler in einer eigentlich auf 50 bis 60 Wochenstunden angelegten Kombination aus Privatdozentur und zeitlich begrenzter Forschungsstelle auch noch ein engagierter Vater sein will, dann muss er Abstriche machen. Die von uns ursprünglich geplante geteilte Elternzeit wäre für ihn einem beruflichen Selbstmord gleichgekommen und wurde fallen gelassen. Doch auch so musste Jörg vom Tage der Geburt des Kindes an ein Risiko in Kauf nehmen: Dass ihm die Tatsache, dass es in seinem Leben noch etwas anderes gibt als die Karriere, zum Nachteil ausgelegt werden kann. Auch mir war klar, dass ich Theresas Ankunft mit einem partiellen Abschied vom Job "bezahlen" müsste. Bei den absehbar geringen Einkünften aus meiner zeitweisen freiberuflichen Betätigung erschien die Anmietung eines eigenen Büros nicht lohnend. Konsequenz: Schreibtisch zu Hause, Wiege daneben, Hilfskräfte engagieren und schreiben, wann immer es geht.
Es ging - und ging doch nicht. Nicht nur aus zeitlichen Gründen. Ein paar Wochen nach Theresas Ankunft fiel mir zum ersten Mal auf, dass es für mein Glück, dieses Kind zu erleben, kaum eine zeitgemäße, adäquate Sprache gibt. Etwas verschämt gestand ich dem mir nicht ehelich angetrauten Mann und Kindsvater, dass die einzig absehbare Lösung, um die semantische Leerstelle auszufüllen, ein in meinen Augen ganz und gar unzeitgemäßes Wort sei: Mutterglück. Er bekannte, ihm ginge es mit der Vokabel "Vaterglück" so ähnlich. Gemeinsame Wortfindungsversuche in seligen Minuten an der Wiege brachten nur Antiquiertes, Naturhaftes oder Kitschiges zutage. Wir einigten uns dann vorläufig - lachend und gerührt - auf unser "Elternglück". Von Berufs wegen musste mir diese magere sprachliche Ausbeute allerdings zu denken geben.
Reich ist unsere Sprache beim Sprechen über das Leben mit Kindern nur dann, wenn Begriffe für Probleme, Nichtgenügen, für die Überforderung gefragt sind. Und dieser problemorientierte Diskurs ist kein Zufall, kein Sprachversagen, wie wir inzwischen wissen, seitdem wir uns mindestens einmal pro Woche zur Planungskonferenz vor unserem Familienkalender zusammenfinden. Im Reden und Schreiben über den Elternalltag, jenem Stakkato der Gehetzten, bildet sich einer der großen, weitgehend gesellschaftlich akzeptierten Skandale unseres Landes ab: die Verweigerung einer an den Bedürfnissen der Familien und vor allem der Frauen und Kinder orientierten, qualitativ und quantitativ bestmöglichen Betreuung für (Klein)Kinder. Daran hat sich bislang auch durch die jüngsten Debatten um das geplante Kinderbetreuungsgesetz wenig geändert. Das wider alle Vernunft und alle gesellschaftlichen Realitäten noch immer erschwerte Zusammenleben berufstätiger Eltern mit ihren kleinen Kindern reproduziert sich immer wieder aufs Neue. Auch in der Sprache. So zum Beispiel, wenn sich die politischen Spitzenvertreter aus Bund, Ländern und Gemeinden öffentlich darüber streiten, wer die Kosten für die geplante Ausweitung der staatlichen Kleinkindbetreuung übernehmen muss. Die Fürsorge für die kommende Generation als kostspielige Pflicht, vor der sich alle am liebsten drücken möchten? Ein verheerendes Signal in einer Zeit, da sich sowieso immer weniger Menschen in der Lage sehen oder bereit sind, ein Kind (oder gar mehrere) in die Welt zu setzen.
Fehlten mir anfangs nur die Worte zur Beschreibung meines, unseres Glücks, so fehlt mir inzwischen vor allem die Zeit, um meinem Beruf nachzugehen. Unser gemeinsamer Kalender, vor dem wir uns, meist am Sonntagabend, zu einem zeitraubenden "Stundenplan-Slalom" zu dritt versammeln, führt uns jedes Mal aufs Neue den ganz normalen familienpolitischen Wahnsinn vor Augen. Dem wir - wie Millionen anderer Familien - ausgeliefert sind. In unserem Falle sieht das so aus: Beide Erwachsenen haben im Augenblick gemeinsam zwar "nur" etwa 70 Berufsstunden abzudecken; ich kann mir meine etwa 20 Stunden Berufstätigkeit pro Woche sogar weitgehend frei einteilen. Und mich dadurch - glücklicherweise - weitgehend nach den zeitlichen Möglichkeiten der anderen Betreuungspersonen richten.
Wir denken immer: "Wir schlagen uns noch ganz tapfer", teilen Hausarbeit, Erziehung, Alltagskram (wenn auch - gerechterweise - nicht paritätisch) und haben unsere Ansprüche an individuellen Freiraum und den Pflegestatus unserer irdischen Besitztümer (Wohnung) heruntergefahren. Aufgewertet haben wir das Ritual gemeinsamer Mahlzeiten. Ohne zu klagen kommen wir mit weniger Einkommen aus, obwohl wir mehr als früher arbeiten. Wir leisten uns allerdings den Luxus eines halben "Familientages" mitten in der Woche. Dafür gehört Papa am Samstag ganz seiner Wissenschaft, entschwindet von morgens früh bis nachmittags um 16 Uhr in sein dann stilles Institut. Die weitgehend autonome Einteilung der Arbeit ist in unserem Falle Fluch (das permanent schlechte Gewissen, nicht alles zu packen) und Segen zugleich. Wir kennen Familien, in denen die objektiven Zwänge viel größer sind: Medizinerpaare mit Bereitschaftsdiensten, Verkäuferinnen und Ingenieure mit Schichtdienst oder Arbeitszeiten am Wochenende.
Doch wehe uns, wenn irgendwo im System eine Störung auftritt. Und "Störungen", zumal im Alltag mit einem kleinen Wesen, sind schließlich das Normalste von der Welt. Egal, ob uns eine Kinderkrankheit zusätzliche Fürsorge abverlangt oder ob uns eine Vortragsreise, ein Archivaufenthalt oder ein abendlicher Termin des Vaters aus dem Zeitplan kickt (weil er dann als Betreuungsersatz für mich ausfällt). Leicht wird auch ein auswärtiger Interviewtermin der Mama zum Grund, dass sich der diensthabende Papa Urlaub nehmen muss, weil die Ersatzkräfte auch keine Zeit haben und frei disponierbare Großeltern nicht am Ort wohnen. Wenn dann noch die tagsüber eingesetzte Babysitterin drei Tage Urlaub erbittet, weil sie ihr Lernpensum für die anstehenden Prüfungen nicht packt, dann kommt jede noch so gute Organisation an ihre Grenzen.
Neulich haben wir einmal aufgeschrieben, wie viel Zeit wir in einer ganz normalen Woche (ohne Arztbesuche etc.) allein mit der Koordination und Verwaltung der Kinderbetreuung verbringen: Wir müssen uns untereinander und mit den Hilfskräften absprechen und dies alles im Kalender festhalten ("Kannst Du am Dienstag um elf Uhr für zwei Stunden nach Hause kommen, ich muss zu einem Pressegespräch oder soll ich Frau X anrufen?"). Eine privat organisierte Kinderbetreuung muss nicht nur den sich ständig ändernden Anforderungen auf allen Seiten angepasst werden. Ein solches Netz bedarf der Pflege, wenn es nicht reißen soll - und das kostet Zeit: Menschen, denen man sein Liebstes anvertraut, gehören ein Stück weit automatisch zur Familie.
Das Resultat unserer Minutenzählerei in Sachen Organisation der Kinderbetreuung (für ein Kind, wohlgemerkt!) verschlug uns die Sprache: Insgesamt kamen wir in einer Woche auf zweieinhalb Stunden am Telefon, in Gesprächen, beim E-Mailen am Computer. Rechnet man diese Zeit in Geld um (pro Stunde 25 Euro), so verdoppeln sich die monatlichen Betreuungskosten von 250 Euro leicht auf 500 Euro (für wöchentlich etwa zehn Stunden bezahlte Kinderbetreuung, hinzu kommen bei uns noch einige kostenneutrale Stunden durch Kindertausch mit anderen Eltern). Theresa, verzeih!
Wem sich durch die Augen seines Kindes der Blick auf die Welt ein zweites Mal öffnet, stellt je nach Weltbild und Empfindlichkeit mehr oder weniger schnell fest, dass sich unsere Gesellschaft enorme Diskrepanzen und Widersprüche im Grad ihrer Fürsorge für Menschen und Dinge leistet.
Dort, wo Fernstraßen, Ampelanlagen oder Sportarenen in einem strukturell ähnlich defizitären Zustand sind wie Kindereinrichtungen und Schulen, gibt es einen öffentlichen Aufstand. Wer einen gewissen Überblick hat über die Art und Weise, wofür hierzulande öffentliches Geld ausgegeben wird und wofür geistige Ressourcen mobilisiert werden, stellt ernüchtert fest: Es ist schlichtweg eine Frage der Prioritäten. Der Transport eines Briefes von der hinterletzten Alm auf die vorgelagerte Nordseeinsel ist (und war es auch schon vor der Privatisierung der Post) in aller Regel innerhalb von 24 Stunden möglich. Diese Leistung wird als Ausweis unserer Zivilisation betrachtet. Wer ähnlich hohe Qualitätsstandards und eine vergleichbare Kundenfreundlichkeit in der Grundversorgung mit Kinderbetreuung fordert (sei es privat, sei es staatlich oder in Mischformen), ist ein Träumer und wird sanft, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass das alles "leider, leider" viel zu teuer käme.
Dass sich Politik, Gesellschaft und Verbände hierzulande drücken vor einem freudigen und lautstarken Bekenntnis zu einem bestmöglichen, vielfältigen und an die Bedürfnisse der Familien angepassten Kinderbetreuungssystem, ist nicht neu. Aber dass jede Familie, vor allem aber jede Mutter, die berufstätig sein möchte oder muss, auch noch zusätzlich unbezahlte Arbeitsstunden als Manager aufgebrummt bekommt - das hätten wir uns in unserem früheren Leben als kinderloses Paar so nicht vorstellen können. Auch nicht, dass die Beweislast, dass Muttersein und Kinderhaben vereinbar ist, noch immer den Familien aufgebürdet wird. So gehen Stunden, Tage, Wochen an unwiederbringlicher Lebens- und Arbeitszeit verloren. Die Kosten dieser familienpolitischen Strukturschwäche werden jedem Einzelnen zugeschoben. Sie werden privatisiert, das daraus resultierende Risiko wird individualisiert.
"Ihr spinnt, ihr Deutschen!", sagt meine aus Deutschland stammende, seit fast 25 Jahren in Frankreich lebende Freundin Gabi. "Die Atomkraft habt ihr erfolgreich in die Schranken verwiesen, die Wiedervereinigung irgendwie hingekriegt, aber den Frauen, wenn sie das denn wollen, Kinder und Beruf zu ermöglichen, das packt ihr einfach nicht." Meine Freundin ist Fachärztin für Psychiatrie - und Mutter von drei Kindern. Sie hat einen anspruchsvollen Beruf, ihre eigenen Kinder und zeitweise noch ein Pflegekind miteinander vereinbart: Alltag in Frankreich, und zwar nicht nur in der Mittel- und Oberschicht, sondern flächendeckend. Vor allem fühlten sie und ihr Mann sich vom Staat unterstützt, nicht behindert: durch das staatlich geregelte Tagesmüttersystem, die Selbstverständlichkeit eines Platzes in der nahe gelegenen "Maternelle" (ab zweitem Lebensjahr der Kinder), durch ein einfaches System der staatlich subventionierten Sozialversicherung für Putzfrauen, Babysitter und Tagesmütter, das die massenhaft illegalen Beschäftigungsverhältnisse in der privaten Kinderbetreuung wie in Deutschland überflüssig macht. "In Deutschland wurde die Aufwertung und Professionalisierung der privaten Dienstleistung Kinderbetreuung schlichtweg verpasst", lautet Gabis Resümee. Je nach Laune füge ich ihrem "verpasst" dann noch die Ergänzung "böswillig" oder "aus Blödheit" hinzu.
Sicher ist: Die möglichen volkswirtschaftlichen Gewinne aus der weiblichen Qualifizierung und Emanzipation und aus dem wachsenden Engagement der neuen Vätergenerationen wurden auf diese Weise, zumindest partiell, wieder vernichtet. Das ideologische Brimborium und die Erzeugung schlechten Gewissens bei berufstätigen Eltern, vor allem Müttern, kaschieren das Versagen staatlicher Grundversorgung immer schlechter. Doch vermutlich wird auch weiterhin alles ruhig bleiben: Eltern, die sich mit den nicht mit ihren beruflichen Anforderungen zusammenpassenden Öffnungszeiten von Kindergärten oder Schulen herumärgern müssen, haben in aller Regel keine Zeit, um auch noch auf die Barrikaden zu gehen.
Meine berufliche Tätigkeit hat unter diesen Vorzeichen etwas Partisanenhaftes, manchmal sogar etwas Clandestines bekommen. Manchmal kommt es mir so vor, als schriebe ich, nicht weil ich den Beruf einer Journalistin ergriffen habe, sondern obwohl ich Mutter bin. Das ist schlecht fürs Selbstbewusstsein und schlecht fürs Konto. Aber es ist prima, nach fast mehr als zehn Jahren im Beruf mit einer neuen Weltsicht und neuen Themen konfrontiert zu werden. Und für Theresa ist es - wenn wir sie richtig verstehen - wunderbar, dass ich und ihr Vater in ihrem Alltag (noch immer) die tragende Rolle spielen. Und doch macht es mich wütend und traurig, dass wir und viele andere Eltern trotz bester Absichten und guter Planung unser Kind manchmal als Hindernis empfinden müssen, wenn wir im beruflichen Überlebenskampf nicht untergehen wollen.
Ulrike Gropp ist freie Journalistin in Leipzig.