Mitunter ist von einem "Feindbild Islam" im Westen die Rede, wobei allerdings unterschiedliche Auffassungen zum realen Ausmaß einer solchen "Islamphobie" bestehen. Es kann aber auch eine andere Frage gestellt werden: Gibt es nicht auch ein "Feindbild Christentum" in der islamischen Welt? Dieser Frage gehen die Autoren des von der Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann herausgegebenen Sammelbandes nach. Er soll darlegen, "wie Muslime das Christentum sehen, welche Schwerpunkte bei mancherlei Ähnlichkeiten ihre im Wesenskern doch sehr andersartige Religion setzt und wo deren Wertekanon und Interessen ebenso wie Möglichkeiten der Begegnung liegen".
Die 14 Beiträge von Journalisten, Wissenschaftlern und Verfassungsschützern bestehen aus wissenschaftlichen Aufsätzen, essayistischen Betrachtungen und persönlichen Erlebnisberichten: Es geht dabei zum einen um die Auffassungen des Islam zum Christentum von seiner Frühzeit bis zur Gegenwart, um das Verständnis von Religionsfreiheit im Islam, Täuschungen und Wunschdenken im christlich-islamischen Dialog, die Möglichkeit religiöser Koexistenz als Friedenspotential und das Bild vom Christentum in der gegenwärtigen islamistischen Bewegung. Zum anderen liefert der Band Fallstudien zum Umgang mit Christen in islamisch geprägten Ländern wie Iran, Nigeria, Saudi Arabien und Türkei sowie die persönlichen Erlebnisberichte eines arabischen Christen, eines Pfarrers in der Türkei und eines Konvertiten zum Christentum.
Bilanzierend formuliert die Mehrheit der Autoren ein überaus kritisches Bild sowohl zum Verständnis von Religionsfreiheit im Islam als auch zum Bild vom Christentum und Leben von deren Anhängern in der islamisch geprägten Welt. Zum ersten Punkt bemerkt die Islamwissenschaftlerin Rita Breuer: Religionsfreiheit würde verstanden als "Freiheit aller, den Islam anzunehmen... Der Muslim hat nicht das Recht, zu einer anderen Religion zu konvertieren... und schließlich hat niemand das Recht, überhaupt keiner Religion anzugehören". Zur Situation in der islamisch geprägten Welt bemerkt die Herausgeberin: "Verfolgung und Diskriminierung von Christen werden von der breiten deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen... Der Exodus nichtislamischer Minderheiten aus islamischen Ländern nimmt unaufhaltsam seinen Lauf".
Derartige Sachverhalte und Zustände werden von den Autoren deutlich, mitunter überdeutlich benannt und kommentiert. Insbesondere die harten Worte von Spuler-Stegemann über die Naivität protestantischer Kirchenfunktionäre im Dialog mit Vertretern politisch höchstproblematischer Islamausrichtungen fallen auf. Argumentativ und sachlich widersprechen kann man ihnen nur schwerlich, zeigt sich dabei doch in der Tat ein auch ansonsten bedenklicher Werterelativismus.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen ebenfalls die Ausführungen über das inhaltliche Verständnis bestimmter Normen in der islamisch geprägten Kultur im Unterschied zu den Auffassungen über sie in der westlichen Welt: Dies machen Breuer am Beispiel der Auffassungen zur Religionsfreiheit und der Politikwissenschaftler Bassam Tibi exemplarisch anhand des Verständnisses von "Frieden" und "Toleranz" deutlich. Gerade hier zeigt sich die Notwendigkeit eines hohen Aufklärungsbedarfs über Grundlagen und Selbstverständnis des Islams in der deutschen Öffentlichkeit. Dazu liefert der Band - trotz einiger unnötiger polemischen Zuspitzungen - wichtige Anstöße. Wirklich bedauerlich ist nur, dass das eigentliche Feindbild der Islamisten, die sogenannten "Ungläubigen", keine gesonderte Aufmerksamkeit in Form eines eigenen Aufsatzes erfahren hat. Armin Pfahl-Traughber
Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.)
Feindbild Christentum im Islam.
Eine Bestandsaufnahme.
Herder-Verlag, Freiburg/Br. 2004; 189 S., 9,90 Euro