Der Saarländer als solcher hat eine große Leidenschaft: Vom Frühsommer bis zum Frühherbst zieht es ihn unwiderstehlich zu Volksfesten jeder Art, in kleinen und großen Orten organisieren Vereine in dieser Zeit meist mehrere dieser geselligen Events. Für Wahlkämpfer eine günstige Gelegenheit, aus der Not eine Tugend zu machen: Wenn vor der Landtagswahl am 5. September wegen der jetzigen Ferienzeit die Massen nicht für Großveranstaltungen zu mobilisieren sind, dann gehen die Politiker eben dorthin, wo die Leute sind - zu den Festen. So schaut CDU-Ministerpräsident Peter Müller auf dem Ottweiler Wochenmarkt vorbei, schüttelt Hände auf dem Welschbacher Rosenfest, sagt auf dem Schmelzer Krammarkt Guten Tag oder beobachtet das Drachenbootrennen in Saarbrücken. SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas lässt sich auf dem Nohfelder Seefest blicken, trinkt ein Bier auf einem Völklinger Sommerfest, begrüßt die Gäste auf dem Saarwellinger Brunnenfest oder plaudert mit den Besuchern des Wellesweiler Feuerwehrfests.
Ein lässiger Ferienwahlkampf, eine neue Erfahrung. In Urlaubslaune sind die Bürger nicht zu politischem Zoff aufgelegt. So sind denn bei den Stippvisiten auf den Festen vor allem Leutseligkeit und Polit-Smalltalk angesagt. Auch die Bundesprominenz macht sich rar. Angela Merkel auf einem Meeting der Union an einem See, Franz Müntefering kommt einmal zur Unterstützung von Oppositionsführer Heiko Maas - das war's. Gerhard Schröder reist erst gar nicht an: Wen wundert's, wo doch die Saar-SPD und der unverdrossen mitmischende Oskar Lafontaine mit herber Kritik an der Berliner Politik mit ihren massiven sozialen Einschnitten der Bundesregierung kräftig in die Parade fahren. Erst bei den großen Abschlussveranstaltungen von CDU und SPD am 2. September dürfte heiße Wahlkampfatmosphäre hochkochen. Derweil präsentiert sich Heiko Maas auf Plakaten mit dem Wunsch "Schöne Ferien!" und kündigt an "Wir sehen uns". Neben dem Konterfei von Peter Müller heißt es schlicht "Best of Politik".
Nein, vibrierende Polit-Power prägt diesen Wahlkampf nicht. Gleichwohl liegt Spannung über dem 5. September. Ohne Zweifel geht die CDU als Favorit ins Rennen. Die Union gewann 1999 mit 45,5 Prozent und einem Vorsprung von nur 6.000 Stimmen eine absolute Mandatsmehrheit im Zwei-Parteien-Parlament - Müllers Partei hat einen Sitz mehr als die SPD, die 44,4 Prozent erreichte. Der Ministerpräsident hat als Wahlziel proklamiert, die absolute Mehrheit "zu verbreitern". Ob dies gelingt, wird zuvörderst vom Abschneiden der Grünen und der FDP abhängen, die vor fünf Jahren scheiterten, sich dieses Mal aber Chancen auf ein Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde ausrechnen können. Die SPD leidet in erster Linie unter der desaströsen politischen Großwetterlage auf Bundesebene. Oskar Lafontaine spricht seiner Partei eine "Außenseiterchance" zu, die es jedoch zu nutzen gelte. Die Genossen wollen sich mit einem betont sozial profilierten Kurs vom negativen republikweiten Trend abkoppeln. Traditionell liegt die Saar-SPD etwa zehn Prozent über den Werten der Bundespartei.
Landespolitische Themen liefern nicht unbedingt viel Zündstoff bei den Wählern. So verweist die Union auf das Wirtschaftswachstum, das an der Saar zwischen 1999 und 2003 um 5,1 Prozent kletterte und damit die bundesweite Zuwachsrate von 3,8 Prozent in diesem Zeitraum übertrifft. Die SPD kontert mit der Anmerkung, dass aber 2003 die regionale Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent sank und die Saar damit nur auf Platz 14 unter allen Bundesländern rangiert. Statistiken sind nun mal so und so interpretierbar. Gleiches gilt für den Arbeitsmarkt. Mit rund neun Prozent Erwerbslosigkeit nimmt das Saarland im Ländervergleich die fünftbeste Position ein. Peter Müller sieht ein kleines "Jobwunder", und Wirtschaftsminister Hanspeter Georgi kehrt hervor, dass seit 1999 "über 40.000 neue Arbeitsplätze" entstanden seien. Doch "neu" ist etwas anderes als "zusätzlich". Jedenfalls hat die Arbeitskammer ermittelt, dass heuer mit rund 4.5000 die Zahl der Erwerbslosen genau so hoch sei wie vor elf Jahren und dass sich die Zahl der Erwerbstätigen auf dem Niveau von 1999 bewege: Es werden halt viele bisherige Arbeitsplätze abgebaut, überdies werden mehr und mehr normale Arbeitsverhältnisse in Mini-Jobs umgewandelt.
Auch sonstiger landespolitischer Streit elektrisiert das Publikum kaum. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, im Wahlkampf ein bemerkenswerter Vorgang, griffen Heiko Maas und der grüne Landesvorsitzende Hubert Ulrich die Finanzpolitik der CDU an, die für einen enormen Schuldenberg im Etat verantwortlich sei. Die Union hält dagegen: Die Ursache für die angespannte Haushaltslage wurzele in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. In der Bildungspolitik gilt der CDU etwa die flächendeckende Einführung des achtjährigen Gymnasiums als Erfolg; was indes den Andrang auf Gesamtschulen verstärkt hat, wo das Abitur weiterhin nach neun Jahren gemacht werden kann. Die Sozialdemokraten propagieren die sechsjährige Primarschule und die spürbare Erweiterung des Ganztagsangebots.
So dürfte denn der Ausgang der Wahl vor allem von den Stimmungen der politischen Großwetterlage und der Zugkraft der Spitzenkandidaten abhängen. Da hat Peter Müller ein unbestreitbares Plus: Bei den persönlichen Popularitätswerten distanziert der Ministerpräsident den SPD-Kontrahenten Maas deutlich. Und im Mai sah eine Umfrage von "Infratest dimap" im Auftrag der Saarbrücker Zeitung und des Saarländischen Rundfunks bei der Sonntagsfrage zur Landtagswahl die Union bei 54 Prozent und die SPD nur bei 33 Prozent. Sicher in der Tasche hat die Union die absolute Mehrheit freilich nicht. Bei den Kommunalwahlen im Juni verbuchte die CDU landesweit 45,7 Prozent, das war ein klarer Sieg, aber nicht die absolute Mehrheit. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und bei den Europawahlen auf Bundesebene musste die Union trotz eines beachtlichen Vorsprungs vor der Konkurrenz Federn lassen. Gleiches sagen Prognosen für die Wahlen in Sachsen voraus. Die unpopulären Forderungen von Friedhelm Merz und anderen CDU-Bundespolitikern nach einem weiteren Abbau des Kündigungsschutzes bis hin zu dessen völliger Abschaffung kann Müller im Wahlkampf nicht gebrauchen, weshalb der Saarländer bei diesem Thema auf Gegenkurs zu seinen Parteifreunden ging. Heiko Maas griff den Vorstoß aus den Reihen der Bundes-CDU dankbar als Vorlage für eine Attacke auf.
Die SPD setzt darauf, mit ihrem linken sozialpolitischen Kurs und mit ihrer Kritik an der Bundesregierung in heimischen Gefilden punkten zu können. Auch mit der Berufung des DGB-Landesvorsitzenden Eugen Roth in sein Schattenkabinett für den Posten eines Arbeits- und Sozialministers will Maas ein Signal markieren. In Berlin dürfte aufmerksam beobachtet werden, ob sich der Einsatz Oskar Lafontaines für die Partei auszahlt. Ins Gehege kommt der Saar-SPD natürlich der mitten im Wahlkampf aufflammende Streit um Hartz IV. Gewisse Hoffnungen schöpft die Partei aus den kommunalen Urnengängen im Juni. Bei den Gemeinderatswahlen verzeichneten die Genossen landesweit 37,3 Prozent - ein Verlust von fünf Prozent, doch nehmen sich die 37,3 Prozent angesichts des katastrophalen Bundestrends immerhin als Achtungserfolg aus. Und zwei Landratswahlen sowie die OB-Wahl in Saarlouis konnte die SPD sogar siegreich für sich entscheiden - zwischen Ostsee und Alpen ein inzwischen seltenes Ereignis.
Auch bei der Oberbürgermeisterwahl in Saarbrücken, die ebenfalls am 5. September stattfindet, rechnen sich die Genossen Chancen aus: Um die Macht in der Hauptstadt kämpfen die SPD-Sozialdezernentin Charlotte Britz und CDU-Gesundheits-Staatssekretär Josef Hecken, der grüne Interims-Rathauschef Kajo Breuer und die FDP-Kandidatin Karin Nehl werden wohl außen vor bleiben.
Als Zünglein an der Waage können sich bei der Landtagswahl die Liberalen mit ihrem Vorsitzenden Christoph Hartmann und die Grünen fühlen. Von den beiden Kleinen dürfte es zuallererst abhängen, ob Peter Müller das Wahlziel einer absoluten Mehrheit wird erreichen können. Bei vier Fraktionen im Parlament, in dem Grüne und FDP bislang nicht vertreten sind, wäre eine CDU-Mandatsmehrheit in ernster Gefahr. Grüne wie Liberale haben an der Saar im Bundesvergleich seit jeher eine eher schwache Position. Doch die Kommunalwahlen im Juni haben beiden Parteien Auftrieb gegeben: Im Gemeinderat der Landeshauptstadt wie im Regionalparlament des Saarbrücker Stadt-Umland-Verbands sind nun sowohl die Grünen wie die FDP nach dem Meistern der Fünf-Prozent-Hürde vertreten. In beiden Gremien wollen Union und Liberale koalieren, zusammen haben sie jeweils eine knappe Mehrheit - und Schwarz-Gelb dürfte auch im Fall des Falles die Alternative zu einer absoluten CDU-Mehrheit am 5. September sein. Karl-Otto Sattler