Die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom" sowie der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan liegt grundsätzlich im nationalen Interesse Deutschlands. Die konkrete Ausgestaltung einzelner Missionen, insbesondere aber ihre mangelnde Einbettung in eine stringente Innen- und Außenpolitik, gibt jedoch berechtigten Anlass zur Kritik.
Fraglich ist zum Beispiel mit Blick auf die Lage in Afghanistan, ob es nicht geradezu zynisch ist, dass die dort eingesetzten deutschen Soldaten de facto zu unfreiwilligen Helfern des Schlafmohnanbaus geworden sind. Da die Drogenbekämpfung nicht zum Aufgabengebiet der Bundeswehr gehört, können die heimischen Bauern ungestört Rekordernten einfahren, die allein 2003 um acht Prozent gesteigert worden sind. Mittlerweile erfolgen 75 Prozent der weltweiten Opiumproduktion in Afghanistan, und es ist keine Polemik zu behaupten, dass es heute eine ganz neue Wirkungskette zwischen Mitarbeitern des Bundesverteidigungs- und des Bundesgesundheitsministeriums gibt. Je stärker die einen der Produktion von Heroin tatenlos zuzusehen haben, desto aktiver müssen die anderen bei der Suchtbekämpfung werden. Die Schlange beißt sich hier gleich mehrfach in den Schwanz: Die Bundeswehr unterstützt die Übergangsregierung von Präsident Hamid Karzai, zu deren Hauptaufgaben die Entwaffnung der Kriegsherren gehört, die ihre Ausrüstung jedoch gerade über die Erlöse aus dem Schlafmohnanbau finanzieren.
Weitere derartige Absurditäten ließen sich anführen. Wie effektiv können beispielsweise die auf Fregatten am Horn von Afrika eingesetzten deutschen Boarding Teams im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" sein, wenn sie Schiffe nur nach Erlaubnis des jeweiligen Kapitäns durchsuchen dürfen?
Die Diskussion dieser und ähnlicher Details prägt gegenwärtig die Debatte um Sinn und Unsinn deutscher Auslandseinsätze. Die besonderen Bedingungen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus legen jedoch noch eine weitaus schwerwiegendere Kritikebene offen: Die mit den Operationen "Enduring Freedom" sowie der ISAF verbundenen Hoffnungen laufen zu einem großen Teil ins Leere, da sie nicht auf einer in sich stimmigen Außenpolitik basieren und auch innenpolitische Handlungserfordernisse ignorieren. Die Bundeswehr befindet sich dabei in der Rolle des Tantalus, Sohn des Zeus, der die an den Zweigen hängenden Früchte nie erreichte, da sie zurückschnellten, sobald er nach ihnen griff.
Die Wirkungen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus werden begrenzt bleiben, wenn Deutschland in gutem Glauben zu jenen Ländern umfassende Beziehungen pflegt, deren Führungen islamistische Zielsetzungen verfolgen oder in Teilen sogar offen mit der Al Qaida sympathisieren. Verwunderlich ist etwa, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder der gegenwärtigen türkischen Regierung ohne Vorbehalte gegenübersteht. Für Berlin scheint die islamistische Vergangenheit von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) keine Rolle mehr zu spielen. Erdogan hatte in der mittlerweile verbotenen Wohlfahrtspartei Karriere gemacht, wobei er es bis zum Bürgermeister Istanbuls brachte. Zwischenzeitig saß er wegen verfassungsfeindlicher, gegen den Kemalismus gerichteter Aktivitäten im Gefängnis.
Der Islam-Experte Bassam Tibi wunderte sich deshalb über die positiven Reaktionen der Bundesregierung auf den Sieg der AKP im November 2002: "Erdogan und sein Stellvertreter Abdullah Gül sind ebenso Islamisten wie ihr Ziehvater Erbakan; sie vertreten eine islamistische Ordnung, sind aber klüger und pragmatischer als ihre Vorgänger und denken, ein Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Europa und die EU sind nah, ein neo-osmanisches Großturkestan ist fern. Wer wie Erdogan seine Tochter in den Westen schickt, damit sie mit Kopftuch studieren kann, weil dies in der säkularen Türkei nicht möglich ist, der kann politisch nur den Wunsch verfolgen, dass mit Hilfe Westeuropas die Frauen in der Türkei wieder verschleiert werden können ("Die Welt", 10. November 2002)."
Erdogan ist mit Sicherheit kein Sympathisant der Al Qaida, zumal Istanbul im November 2003 selbst von mehreren Terroranschlägen heimgesucht worden ist. Die von ihm verfolgte Förderung schariatischer Strukturen in und außerhalb der Türkei begünstigt aber jene Form des Islam, auf dessen Basis radikales Gedankengut entsteht. Sollte das Land am Bosporus daher in den nächsten Jahren tatsächlich in die Europäische Union aufgenommen werden, würde dies nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Islamismus beitragen.
Mindestens genauso problematisch sind die Beziehungen zu Saudi-Arabien. Deutschland kann sich seine außenpolitischen Partner zwar nicht immer aussuchen. Und natürlich ist es unter bestimmten Bedingungen richtig, zum Wohle der Menschen auch mit autoritären Staaten Kooperationsformen einzugehen. Im Kampf gegen den Terrorismus dürften bestimmte bilaterale Projekte aber eher kontraproduktiv sein. Berlin pflegt freundschaftliche Bande mit Riad, die zuletzt im Oktober 2003 durch einen Besuch Gerhard Schröders ausgebaut worden sind. Für enge Beziehungen gibt es mehrere gute Gründe. Das Königreich nimmt eine strategisch bedeutende Stellung am Persischen Golf ein, ist Hüter der Heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina, verfügt über 25 Prozent der bekannten Welterdölreserven und scheint für deutsche Unternehmen ein zunehmend interessanter Absatzmarkt zu werden.
Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit aber auch immer wieder massiv den internationalen Islamismus gefördert, was sich bis 2001 symbolisch in der diplomatischen Anerkennung des Taliban-Regimes gezeigt hat. Auch wenn Osama Bin Laden bereits seit Jahren zum Sturz des Königshauses aufruft, weil dieses US-Truppenstationierungen auf heimischem Boden erlaubte, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Familie Al Saud nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern weltweit die Wahhabiten-Bewegung fördert. Diese zählt innerhalb des sunnitischen Islam zu den äußerst konservativen Glaubensrichtungen und lehnt Religionsfreiheit strikt ab, wenngleich dieses Recht in westlichen Ländern für eigene Einrichtungen regelmäßig eingefordert wird. Es wäre zu weit gegriffen, Saudi-Arabien als Auftraggeber von Attentaten zu bezeichnen. Innerhalb der Führung um König Fahd existiert jedoch eine radikalislamische Gruppierung, zu der vor allem Innenminister Prince Nayef gehört. Er wird von Experten in die ideologische Nähe der Al Qaida gerückt. Aus diesem Dunstkreis stammt auch Prinz Turki, ehemaliger Chef des saudischen Geheimdienstes und gegenwärtig Botschafter in Großbritannien. Er gilt als einer der zentralen Organisatoren des Aufstiegs der Taliban in den 90er-Jahren und soll vorübergehend mit Osama Bin Laden persönlich befreundet gewesen sein. Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass zumindest ein Teil der saudischen Führung terroristische Strukturen wenigstens ermöglicht hat.
Aus dieser Perspektive wirkt die Zustimmung der deutschen Behörden zum Bau der König-Fahd-Akademie in Bonn, die 1995 eröffnet worden ist, geradezu blauäugig. Sicherheitskreise gehen davon aus, dass diese Institution zum Anziehungspunkt radikaler Muslime geworden ist, die dort ihre Kinder unterrichten lassen. So ehrenwert das damalige Ansinnen auch war, einen Dialog der Religionen fördern zu wollen: Fraglich ist, ob dies der richtige Weg ist - und wieviel gleichberechtigten Dialog der Wahhabismus, der eine Ausbreitung des Islam und damit missionarische Ziele anstrebt, zulässt. Den an der König-Fahd-Akademie verwendeten und mittlerweile übersetzten Schulbüchern sind keine glaubwürdigen Anzeichen von Toleranz und Integrationswillen zu entnehmen. Vielmehr werden die Schüler systematisch mit antisemitischem, antiwestlichem und islamistischem Gedankengut indoktriniert. Daher sollten sowohl bestehende als auch künftige derartige Kooperationsprojekte Deutschlands mit Saudi-Arabien grundsätzlich überdacht werden.
Weitere Voraussetzung eines erfolgreichen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ist eine logische Abstimmung zwischen Innen- und Außenpolitik. Dies ist gegenwärtig nur bedingt der Fall. Während Soldaten der Bundeswehr am Hindukusch einen Beitrag dazu leisten, Anhängern der Taliban und der Al Qaida den Nährboden zu entziehen, ist die Bundesregierung weder willens noch fähig, konsequent gegen islamistische Gruppierungen auf deutschem Staatsgebiet vorzugehen und diese notfalls zu verbieten. Der Fall des Metin Kaplan ist hier nur die Spitze des Eisbergs. Erst nach den Anschlägen von New York und Washington D.C. wurde dessen 1984 gegründete Organisation "Kalifatsstaat" im Dezember 2001 verboten. Bis heute ist es nicht gelungen, den "Kalifen von Köln", der über Jahre gegen das Judentum, den NATO-Verbündeten Türkei und die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands gehetzt hat, auszuweisen.
Metin Kaplan hat es sowohl Regierung als auch Opposition einfach gemacht, ihn zur unerwünschten Person zu erklären. Weitaus problematischer sind Gruppierungen, die mit gezielten Camouflage-Taktiken arbeiten. Der Verfassungsschutz geht in seinem jüngsten Bericht vom Mai 2004 davon aus, dass im vergangenen Jahr 24 islamistische Organisationen mit circa 30.950 Mitgliedern in Deutschland aktiv waren. Hinzu kommen Tausende von Sympathisanten, die über zahlreiche Moscheen und Islamische Zentren eingebunden werden.
Die mit Abstand stärkste Organisation ist die türkische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), die über 26.500 Mitglieder verfügt. Nach wie vor sieht sie Necmettin Erbakan, der für die islamistische Wohlfahrtspartei von 1996 bis 1997 für kurze Zeit türkischer Ministerpräsident war, als geistigen Führer an. Die IGMG strebt danach, für ihre Anhänger schariatische Lebensbedingungen innerhalb der deutschen Gesellschaft zu schaffen. Der Verfassungsschutz warnt deshalb: "Bezüglich der von der Organisation angestrebten Ziele zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem nach außen vertretenen Anspruch und intern an die Mitglieder gerichteten Verlautbarungen. [...] Auch Versicherungen von IGMG-Funktionären, die Wertordnung des Grundgesetzes vollinhaltlich anerkennen zu können, ist mit Skepsis zu begegnen."
Nachdenklich sollte auch die Aussage des Verfassungsschutzes stimmen, wonach in Deutschland circa 1.300 Anhänger der ägyptischen Muslimbruderschaft aktiv sind. Sie war 1928 von Hassan al-Banna gegründet worden, blickt auf eine äußerst militante Vergangenheit zurück und gilt als ideologisches Vorbild der Al Qaida. Die hierzulande mitgliederstärkste Gruppierung innerhalb der Muslimbruderschaft ist die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD), die wiederum zu einem von 19 Mitgliederverbänden des Zentralrats der Muslime gehört. Dessen Vorsitzender, Nadeem Elyas, ist von "Report Mainz" in einer Sendung vom 21. Juli 2003 kritisch dargestellt worden. Redakteure des Südwestfunks hatten herausgefunden, dass er in den 70er- und 80er-Jahren in den Vereinsregisterakten der IGD geführt worden war. Der Bericht zitiert zudem Hartwig Möller, den Chef des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen, der Elyas als Repräsentanten der Muslimbruderschaft bezeichnet. Nach seiner Auffassung seien insgesamt sogar mindestens neun der 19 Vereine, die unter dem Dach des Zentralrates der Muslime kooperieren, der Muslimbruderschaft zuzurechnen. Elyas behauptet zwar stets, kein Muslimbruder zu sein. Nicht nachvollziehbar ist dann jedoch, warum er weiterhin auf seiner Internetseite für die IGD wirbt. Ein offener Unterstützungsaufruf für Osama Bin Laden hätte eine vergleichbare Qualität! Vor diesem Hintergrund ist es kaum zu glauben, dass Elyas eine derart angesehene gesellschaftliche Stellung besitzt, die ihn nicht nur zum anerkannten Gesprächspartner von Regierung und Opposition macht. Auch der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau ließ in offiziellen Reden wie jener vom 24. März 2003 nicht den geringsten Zweifel an den friedvollen Absichten von Nadeem Elyas aufkommen. Ja selbst Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, scheinen die Berichte des Verfassungsschutzes zu den Verflechtungen der Muslimbruderschaft nicht zu stören. Regelmäßig nimmt er mit Elyas an gemeinsamen Veranstaltungen teil.
Diese Beispiele zeigen, dass die deutsche Außenpolitik in sich nicht logisch strukturiert und auch nicht systematisch mit der Innenpolitik verbunden ist. Lebensgefährliche Einsätze wie jener am Hindukusch, wo das deutsche Feldlager "Camp Warehouse" in Kabul regelmäßig mit Raketen beschossen wird, lassen sich kaum rechtfertigen, solange die Konsequenzen bilateraler Beziehungen nicht richtig durchdacht und Freiräume gewaltbereiter Muslime in Deutschland nicht eingeengt werden. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom" und der ISAF macht zwar grundsätzlich, unter den gegenwärtigen Bedingungen aber nur sehr begrenzt Sinn.