Diese Kurzgeschichte ist Mitte der 80er-Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten entstanden. Sie spielt in der Umbruchsphase, als das Erdöl das Leben am Golf grundlegend verändert. "Es ist die Suche nach den Wurzeln und die Sehnsucht nach dem Schönen, nach Idealen. Die nostalgische Sehnsucht nach dem Perlentauchen, nach langen Fahrten auf dem Meer, einfach nach dem Leben mit der Natur, hat unser literarisches Schaffen lange bestimmt. Die meisten Kurzgeschichten sind in der Vergangenheit angesiedelt, obwohl fast keiner der Schriftsteller die Zeit damals erlebt hat", so Nasir adh-Dhahiri, Leiter des Schriftstellerverbandes in den Vereinigten Emiraten.
Es ist die verständliche Suche nach der Vergangenheit, nach etwas Bleibendem in einem Land, das sich noch im Aufbau befindet. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind eine Föderation von sieben Scheichtümern, die sich 1971, nach dem Abzug der Briten, zusammengeschlossen haben. Noch in den 50er-Jahren, vor der Entdeckung des Erdöls, lebten die Bewohner der Küstenstädte von Perlenfischerei und Fischfang, während sie im Landesinneren als Beduinen umherzogen. Heute zählen die VAE zu den Ländern mit dem höchsten pro-Kopf-Einkommen der Welt.
In den vergangenen Jahren gab es einige Anstrengungen im Bereich der Kultur, besonders in Sharjah. Das kleine erdölarme Emirat leistet sich eine repräsentative Nationalbibliothek, Theatertage, eine Kunstbiennale und eine jährlich stattfindende Buchmesse. Eine zweite Buchmesse gibt es in der Hauptstadt Abu Dhabi, organisiert von der Cultural Foundation, die sich seit Anfang der 80er-Jahre darum bemüht, in der Hauptstadt ein kulturelles Leben zu schaffen. Oper, Theater, klassische Musik, Kinofestivals und Vorträge ziehen vor allem arabische und westliche Bewohner Abu Dhabis an. Mit Buchprojekten, Übersetzungen und Hörbüchern versucht die Culturale Foundation, im gesamten Verlagswesen der arabischen Welt mitzumischen.
Trotzdem gehen von diesem Teil der arabischen Halbinsel keine künstlerischen Impulse in die arabische Welt aus. Das wäre auch zuviel verlangt, meint die Lyrikerin und Journalistin Hamda Khamis, die in Sharjah lebt. Als der wirtschaftliche Aufschwung einsetzte, konzentrierte man sich auf den Aufbau der Infrastruktur. Es sei leicht, meint die Dichterin, wenn man das nötige Geld hat, in einem Jahr oder weniger ein Schloss zu bauen. Aber es sei sehr schwer, auch wenn man über Milliarden verfüge, innerhalb von zehn oder 20 Jahren gebildete Menschen heranzuziehen. "Kultur braucht einen Hintergrund, der über lange Zeit gewachsen ist."
Ganz anders dagegen Kuwait. Viele kuwaitische Intellektuelle blicken wehmütig auf die 60-er und 70er-Jahre zurück. Damals wurde der Name des kleinen Emirats nicht nur mit Erdöl in Verbindung gebracht. 1958 erschien zum ersten Mal die populäre Kulturzeitschrift "al-Arabi", die bis heute preisgünstig in der ganzen arabischen Welt vertrieben wird. Einige Jahre später wurde "Alim al-Marifa" gegründet, die sich schwerpunktmäßig kulturellen und politschen Themen widmete.
Ein weiteres ehrgeiziges Projekt war die Reihe "Theaterstücke der Welt". Ihr verdanken viele arabische Leser den ersten Kontakt zu den Werken des europäischen Theaters. Gleichzeitig galt Kuwait als ein wichtiges Zentrum für das arabische avantgardistische Theater. In diese Jahre fiel auch die Blütezeit der liberalen Ära. Die Presse war relativ frei, und das Land empfing viele arabische Arbeitsmigranten. Der Einbruch kam Ende der 70er-Jahre. Vor dem Hintergrund der Iranischen Revolution, der Besetzung der Moschee von Mekka und des Iranisch-Irakischen Krieges fürchtete die Regierung mit der Familie al-Sabah an der Spitze um die innere Stabilität des Landes und schränkte die Grundfreiheiten ein, die in der kuwaitischen Verfassung garantiert sind.
Auch nach dem Zweiten Golfkrieg 1991und der Befreiung Kuwaits von irakischer Besatzung kehrte das liberale Klima von einst nicht zurück. Im Gegenteil. Die Buchmesse von Kuwait-City ist bei den arabischen Verlegern wegen ihrer besonders strengen Zensur gefürchtet. Und die seit den 80er-Jahren erstarkten Islamisten haben bereits einige Intellekteulle und Schriftsteller wegen angeblicher Verletzung religiöser Grundsätze vor den Kadi gezerrt. Kommt es soweit, kann es für den Autor gefährlich werden.
Diese Schikanen kennt der saudisch-arabische Literaturkritiker Abdallah al-Ghadhami, der sich in seinem Werk für die Modernisierung der Gesellschaft einsetzt, nur zu gut. In einem Buch mit dem Titel "Die Frau und die Sprache zum Beispiel" geht er der männlichen arabischen Sprache auf den Grund und zeichnet mögliche Veränderungen auf.
Sein Werk stößt bei einigen religiösen Gruppen seiner Heimat auf heftigen Widerstand. Prediger wetterten gegen seine Bücher von der Kanzel herab. Einige erklärten ihn sogar für einen Abtrünnigen. Al-Ghadhami nimmt diese Angriffe erstaunlich gelassen. Er versteht dieses Vorgehen als Teil des Veränderungsprozesses einer Gesellschaft. Die Angriffe seien eine Art Wehen, die das Land durchmachen müsse.
Saudi-Arabien gehört zu den konservativsten Ländern in der arabischen Welt. In dem Königreich, das Ibn Saud vor 72 Jahren gründete, ist der Wahhabismus die offizielle religiöse Richtung. Es ist eine puritanische Erneuerungsbewegung aus dem 18. Jahrhundert, die alle Neuerungen ablehnt und zu den Usprüngen der Religion zurückwill. Die strengen Regeln des Wahhabismus prägen alle Bereiche des Lebens im Land. So wird auch penibel darauf geachtet, dass kein Schrifttum in Umlauf ist, das die Einheit Gottes in Frage stellt. Nach Auffassung der wahhabitischen Gelehrten trifft dies beispielsweise auf die islamische Mystik zu. Aus diesem Grund stehen Werke prominenter islamischer Mystiker wie al-Halladj (gestorben 922) oder an-Niffari (gestorben 965) auf dem Index.
Auch für den Alltag gelten strenge Vorschriften. Das bedeutet Geschlechtertrennung in allen Lebensbereichen, die Verpflichtung für alle Muslime, die Gebetszeiten einzuhalten, und Kleidungsvorschriften für beide Geschlechter. Eine Sittenpolizei überwacht die Einhaltung der religiösen Ordnung. Das kulturelle Leben ist von diesen Regeln ebenfalls betroffen. Theater und Musik gibt es nur im Rahmen von Kulturvereinen, die sehr beschränkte Möglichkeiten haben. Theater wird nur von Männern gespielt und ausschließlich vor männlichem Publikum. Es gibt weder Musikhochschulen noch Kunstakademien.
In der Gesellschaft glaubt man, dass es sich für Frauen nicht gehört, an künstlerischen Aktivitäten teilzunehmen, weil es zum gesellschaftlichen Zerfall und zu moralisch verbotenen Taten führe. Mit diesen Vorwänden werden die Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannt. Auf der Buchmesse, die jedes Jahr in Riad stattfindet ist die Messe nur an zwei halben Tagen für Besucherinnen zugänglich. Auch für Verlegerinnen gibt es keine Ausnahme. An Lesungen dürfen sich nur Männer beteiligen. Die Veranstaltung wird dann über Video in einen separaten Frauensaal übertragen.
Die Umsetzung der wahhabitischen Gebote ist in Riad besonders streng. In der Hafenstadt Jeddah im Osten des Landes dagegen herrscht eine lockere Atmosphäre. Die Wahhabiten konnten sich im Hijaz nie richtig durchsezten. Die Sittenpolizei muss sich zurückhalten und schreitet gegen gemischt-geschlechtliche Veranstaltungen, wie etwa die Buchmesse in Jeddah, nicht ein.
In der saudi-arabischen Gesellschaft haben sich trotz aller Widrigkeiten Schriftstellerinnen und Künstlerinen einen Namen gemacht, auch über die Grenzen Saudi-Arabiens hinaus. Eine davon ist die Dichterin Fauzia Abu Khalid. Sie ist 1956 in der Hauptstadt Riad geboren, studierte in ihrer Heimat und in den USA Soziologie und lehrt heute an der Frauenuniversität Ibn Saud. Sie empfindet das Schreiben im Königreich als ständige Herausforderung: "Das kreative Schreiben benötigt ein Höchstmaß an Freiheit. Man muss die Fesseln in sich selber überwinden. Aber es gibt noch weitere, äußere Fesseln. Nicht nur die politische Macht, sondern auch die gesellschaftliche Kontrolle, die mächtiger sein kann als die Politik. Die Menschen wachen eisern über ihre Traditionen." In ihren Gedichten behandelt sie ihre Erfahrungen in der patriarchalen saudischen Gesellschaft. In einem Gedicht vergleicht sie das Schicksal der neugeborenen Mädchen mit dem altarabischen Brauch, Neugeborene lebendig zu begraben. Weil die Dichterin keine fremden Eingriffe in ihrer Lyrik duldet, veröffentlicht sie ihre Gedichte außerhalb des Königreiches.
Abu Khalid ist kein Einzelfall. Die meisten saudischen Schriftsteller, auch die Prominenten unter ihnen, geben ihre Bücher im arabischen Ausland heraus. Dazu gehören der bereits verstorbene Dissident Abdallah Al-Qasimi, der Romancier Abdarrahman Munif, der ehemalige saudische Botschafter in London und derzeitiger Wasserminister Abdallah al-Qusaibi, der politische Essayist und Romancier Turki Al-Hamad bishin zu dem jungen Romancier und Journalisten Abduh Khal.
Die Autoren versuchen in Saudi-Arabien eine Einfuhrgenehmigung für ihre Werke zu bekommen, meist ohne Erfolg. So müssen sie in die Nachbarländer Bahrain oder in die Vereinigten Arabischen Emirate fahren, um ihre eigenen Bücher zu kaufen und natürlich alles andere, was im Königreich verboten ist.
Fauzia Abu Khalid schreibt regelmäßig in saudischen Tageszeitungen. Im Gegensatz zu ihrer Lyrik nimmt sie dabei Zensur in Kauf. Schließlich will sie über politische und gesellschaftliche Fragen mitdiskutieren. Sie übt sich wie viele andere Kollegen auch in der Kunst, am Zensor vorbei zwischen den Zeilen dem Leser ihre Gedanken mitzuteilen.
Vielleicht liege es an dieser Fülle von Restriktionen, die den großen saudischen Roman bis jetzt verhindert haben, meint Abu Khalid. Es gäbe niemand, der die Erfahrungen der Menschen auf der Arabischen Halbinsel in der Weise wiederspiegeln würde, wie Nagib Mahfus die städische ägyptische Gesellschaft. Abdallah al-Ghadhami ist da anderer Meinung. Er glaubt, dass die saudiarabische Literatur ohne weiteres mit der Literatur anderer arabischer Länder konkurieren kann. Es gibt junge Autoren, die es nicht scheuen, heikle soziale Probleme zu behandeln. Zum Beispiel die junge Autorin Laila adj-Djuhani, die in ihrem Erstling eine ungewollte Schwangerschaft in den Mittelpunkt stellt.
Für den Kritiker ist Radja Alim zur Zeit die wichtigste Schriftstellerin im Königreich. Sie hat zahlreiche Romane und Theaterstücke veröffentlicht. Alle Romane spielen in ihrer Heimatstadt Mekka. Alim verwendet eine sehr anspruchsvolle klassische arabische Sprache, die dem Leser viel Geduld abverlangt, aber ihn dafür mit einer Welt voller Erotik und Zauberei belohnt. Und stets spielen Frauen die Hauptrolle: "Wären die Bücher von Radja Alim vor 20 Jahren erschienen, dann hätten sie die Landschaft der neuen arabischen Literatur verändert", davon ist al-Ghadhami überzeugt. Heute sei sie zwar bekannt, habe aber wenig Publikum. Die schnellebige Zeit verlange nach sparsameren und weniger anstrengenden Texten.
Mona Naggar arbeitet als Islamexpertin und Übersetzerin in Bonn.