Eigentlich gilt Deutschland als zivilisiertes Land. Dennoch aber gibt es hierzulande in den so genannten eigenen vier Wänden mehr Gewalt als in den meisten anderen europäischen Ländern. Opfer sind in der Regel Frauen und Kinder. Eine Studie des Familienministeriums hat nun erschreckende Fakten offenbart: 58 Prozent von 10.264 befragten Frauen waren nach eigenen Angaben bereits sexuell belästigt worden, 37 Prozent hatten körperliche Misshandlungen zu erleiden, und etwa 13 Prozent waren schon einmal vergewaltigt worden.
Gewalt gegen Frauen war in diesem Land - und nicht nur hier - lange Zeit ein Tabuthema, obwohl es sich dabei keineswegs um ein Einzelphänomen handelt, worauf die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner hinweist. Das genaue Ausmaß sei noch immer unbekannt, aber Schätzungen gingen von 100.000 bis zu einer Million Opfern Jahr für Jahr aus. In den insgesamt rund 400 Frauenhäusern suchten jährlich bis zu 45.000 Frauen Schutz. In bis zu 95 Prozent der Fälle seien Frauen Opfer häuslicher Gewalt, wobei zu dem physischen das psychische Leiden komme. In der Vergangenheit habe, so Klöckner, niemand etwas bemerkt haben wollen, niemand habe etwas unternommen. Das habe sich in den zurückliegenden Jahren geändert: "Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen bieten für misshandelte Frauen und ihre Kinder Zuflucht. Mädchen und junge Frauen finden nach Gewalterfahrungen einen Ausweg in Mädchenhäusern. Durch das 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz werden Personen, die von ihren Lebenspartnern misshandelt werden, schneller und effektiver geschützt, als zuvor. Wer schlägt muss gehen."
Doch trotz aller bisherigen Fortschritte, reichen die gesetzlichen Regelungen nach Überzeugung von Julia Klöckner nicht aus. Neben dem primär zivilrechtlich wirkenden Gewaltschutzgesetz müsse zur effektiven Eindämmung der Gewalt gegen Frauen auf Bundesebene auch eine strafrechtliche Sanktionierung für das unzumutbare Nachstellen oder Verfolgen einer Person eingeführt werden, fordert sie. Die bisherigen Initiativen genügten nicht, um Frauen vor der vor allem psychisch wirkenden Gewalt zu schützen. Die Anstrengungen für eine Verbesserung der Gewaltprävention müssten überall aufgenommen und intensiviert werden. Vor allem aber, so die stellvertretende Vorsitzende der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion: "Über Gewalt gegen Frauen darf nicht geschwiegen werden, auch nicht von den Opfern selbst."
Angesichts der "erschreckenden Situation" müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen besser als bisher vor Gewalt zu schützen, stellt auch die FDP-Abgeordnete Sibylle Laurischk fest. Sexuelle Gewalt und Körperverletzung seien unter Strafe gestellt, daher gebe es hier keinen Handlungsbedarf. Begrüßenswert ist nach ihrer Ansicht vor allem die Möglichkeit des "Platzverweises" der gewalttätig gewordenen Männer durch die Polizei. Abgesehen von gesetzlichen Bestimmungen sei es jedoch wichtig, Schutzräume für misshandelte Frauen und Kinder zu schaffen und zu erhalten. Obgleich es seit rund 30 Jahren Frauenhäuser gebe, sei dem Thema "Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt" bislang nicht genügend Beachtung geschenkt worden. Erst langsam werde die gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Themas erkannt.
Sibylle Laurischk spricht sich entschieden dagegen aus, aus Sparzwängen Frauenhäuser zu schließen, und plädiert dafür, eine bundeseinheitlich verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern und Schutzräumen für häufig mit betroffene Kinder zu schaffen. Ihre eindringliche Forderung: "Wir dürfen nicht wegsehen, sondern müssen Wege aus der Not gestalten."
Die Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, warnt davor, die Ursache für gesellschaftliche Missstände allein im Fehlen von Gesetzen zu suchen. Seit 2001 verfüge Deutschland über ein modernes Gewaltschutzgesetz, das die Rechte der Opfer stärke. Mit dem Gesetz sei ein Perspektivenwechsel im Umgang mit häuslicher Gewalt vorgenommen worden. Nicht mehr das Opfer müsse die gemeinsame Wohnung verlassen, sondern der Täter. Die polizeiliche "Wegweisung" mache jeden Kontaktversuch der Täter strafbar.
Aber, so Irmingard Schewe-Gerigk, ein Gesetz allein erzeuge noch keine gewaltfreie Gesellschaft. Häusliche Gewalt sei heute zwar als gesellschaftliches Problem erkannt, werde aber nach vor wie tabuisiert. Der 1999 beschlossene "Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen" habe zum erfolgreichen Aufbau von Kooperationen und Strukturen auf lokaler Ebene geführt. Um so schlimmer sei es, dass Landespolitiker den Sparzwang zum Anlass nähmen, Frauenhäuser zu schließen, obwohl sie dringend benötigt würden - wie in Hamburg und Hessen geschehen und in Berlin geplant. Vor allem finanziell schlechter gestellte Frauen, beispielsweise Migrantinnen, hätten oft keinen anderen Ort, an den sie fliehen könnten. Die aktuelle Studie aus dem Familienministerium beweist daher für die Grünen-Abgeordnete: "Wir brauchen einen Ausbau der Infrastruktur, keinen Abbau."
Darauf, dass im deutschen, europäischen und internationalen Recht eine Vielzahl differenzierter gesetzlicher Regelungen existierten, die präventiv vor Gewalt schützen beziehungsweise repressiv ihre Anwendung mit Strafe bedrohten, erinnert die SPD-Abgeordnete Christel Humme. Dennoch zeigten die jüngsten Ergebnisse der ersten repräsentativen Studie, dass körperliche sowie sexuelle Gewalt gegen Frauen keine Ausnahme darstellten. Die Parlamentarierin verweist auf ein Ergebnis der Studie, nach dem es noch Defizite bei der Sanktionierung häuslicher Gewalt gibt. Christel Humme: "Nach der aktiven Arbeit der Polizei endet in vielen Fällen bei der Staatsanwaltschaft die staatliche Intervention ohne Bestrafung des Täters. Aber wir wissen auch: Nur wenige Frauen rufen die Polizei oder zeigen gar ihren Peiniger an. Dabei spielen Scham, Bloßstellung und Angst vor weiterer Eskalation der Gewaltsituation eine nicht unerhebliche Rolle. Somit steht nicht die Frage nach mehr gesetzlichen Regelungen oder schärferen Sanktionen im Vordergrund der Betrachtung, sondern wir müssen einen differenzierteren Blick auf die notwendigen Beratungs- und Hilfsangebote sowie Gewaltprävention werfen. Frauen benötigen niedrigschwellige und anonyme Beratungsangebote, sie benötigen gut geschulte Ansprechpartner, auch bei Ärzten, bei der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden - und sie brauchen, wenn sie diesen Weg gehen wollen, den Zufluchtshort Frauenhaus."
Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bedürfe es nach wie vor verstärkter Anstrengungen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, sagt die Sozialdemokratin Christel Humme und ist sich in dieser Forderung einig mit ihren Parlamentarier-Kolleginnen.