Schaut man sich die endlose Serie der indiskreten Fotos an, versehen mit einfühlsamen oder auch dreisten Kommentaren zum Einkaufs-, Autofahr- oder Dating-Verhalten von Stefanie, Caroline, Märtha Louise - schon die Tatsache, dass sie alle beim Vornamen genannt werden, suggeriert ein nahezu intim-paternalistisches Verhältnis -, dann bekommt man ein Gefühl für den Belagerungszustand, unter dem sich die Prominenz ganz allgemein und die Königsfamilien noch einmal im Besonderen befinden. Die Medien müssen in der Tat für sie so etwas darstellen wie eine Plage, die sie nie mehr loswerden.
Tatsächlich hat sich spätestens seit Prinzessin Dianas Tod, der sich - was immer die genauen Unfallursachen auch waren - auf der Flucht vor Paparazzis ereignete, die Vorstellung verfestigt, dass die Medien eine fast lebensbedrohliche Belästigung darstellen und man ihr Vorgehen und ihre Einblicke beschränken und reglementieren müsse. Doch auch wenn man diese Einschätzung teilt, fiele es doch schwer, gleich die Abschaffung der Boulevardpresse zu fordern. Irgendetwas an ihr scheint auch wieder notwendig oder zumindest auf die Befriedigung ganz legitimer Bedürfnisse von Seiten der Leser und Zuschauer ausgerichtet. Und noch weiter gedacht: Wo, wenn nicht in der Boulevardpresse, begegnen uns die Königsfamilien denn überhaupt noch? Was wüssten wir von ihnen ohne "Gala", "Bunte", "Neue Post" und "Spiegel der Frau"? Anders herum gefragt: Sind die modernen Monarchien Europas nicht eigentlich bereits Medien-Monarchien? Ist es nicht vielleicht sogar so, dass der europäische Adel als anachronistisches Überbleibsel aus vordemokratischer Zeit seine heute recht unangefochtene Stellung im Grunde den viel bescholtenen Medien zu verdanken hat?
Von ihren ersten Anfängen an standen die modernen Massenmedien im Verdacht, für die Zerstörung von etwas sehr Wertvollem verantwortlich zu sein, von etwas, das lange als Wesen der Monarchie angesehen wurde, nämlich der "königlichen Würde", eine spezifische Aura, die wohl als Zwitter zwischen Naturphänomen und religiösem Erleben aufzufassen ist. Der Vorwurf, dieses flüchtige, aber konstituierende Moment durch banales massenhaftes Abbilden zum Verschwinden zu bringen, erging insbesondere an die visuellen Medien. Wilhelm im Ornat und Pickelhaube auf dem Marktplatz und derselbe im Fernsehen, das kann nicht das gleiche sein, meinte noch Medienphilosoph Vilem Flusser. Man ist schnell versucht, dem zuzustimmen, wird doch in unserer Mediengesellschaft die Erinnerung an das "Echte" und "Authentische" so hoch gehalten wie sonst nur der Glaube an das "Gute" Buch. Jedoch zeichnet sich die gängige Medienkritik durch die Tendenz aus, den alltäglichen Umgang der Mediennutzer außer Acht zu lassen. Für den normalen Fernsehzuschauer ist die Gewöhnung an mediale Vermittlung nämlich nicht immer gleichbedeutend mit einer Gewöhnung an Verblendung, sondern besteht aus dem geübten Umgang mit medialen Übersetzungsvorgängen. Soll heißen: Wir sehen etwas im Fernsehen, wir wissen, es wäre etwas Anderes, vor Ort dabei zu sein, und wir verrechnen das eine mit dem anderen. Wer regelmäßig fernsieht, wird vom Medium hinlänglich darüber aufgeklärt, wie Sendungen zustande kommen. Dass kaum ein Beifall spontan ist und kaum ein längerer Text frei vorgetragen wird - der geübte Zuschauer weiß, dass es sich dabei um mehr oder weniger sorgfältig inszenierte Illusionen handelt. Und was die Aura betrifft: Wenn die Medien sie zerstören könnten, wären sie zwar einerseits die besten Aufklärungsorgane, weil sie den Zuschauer befähigten, "dahinter" zu schauen - aber andererseits würden sie gerade das kaputt machen, von dem sie selbst am meisten profitieren.
Von heute aus lässt sich sagen: Ja, es wurde Aura zerstört. Das öffentliche Bild und damit auch das Ansehen der Adelsfamilien in der Gegenwart verglichen mit dem von vor 50 Jahren hat sich grundlegend gewandelt. Wahrscheinlich muss man sogar zugeben, dass der Adel heute sehr viel weniger Respekt in der "gemeinen" Bevölkerung genießt als noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Diese Veränderung haben wir nicht nur, aber wahrscheinlich zum größten Teil, der Wirkung der Massenmedien zu verdanken. Es wäre jedoch falsch zu glauben, die Medien hätten die Aura oder das Ansehen der Monarchen sozusagen dekonstruktivistisch zersetzt oder banalisiert, kam doch durch sie auch wieder eine neue Wirkungsweise hinzu: nämlich die Ausstrahlung mittels einer speziellen Art von "medialer Aura". In allen Schichten, und so auch dem Adel, gibt es Personen, die besonders gut in den Medien "rüberkommen". Prinzessin Diana war eine davon, beziehungsweise: Sie war ein herausragendes Beispiel für "Medien-Aura". In Bezug auf ihren beliebtesten Beinamen könnte man sagen: Sie war mehr eine Königin des Tabloids als eine der Herzen.
Denn wenn es den ausspähenden Blick der Medien nicht gäbe, diese Form der Berichterstattung mit ihrer Mischung aus Dichtung und Wahrheit, die einen zufällig fotografierten Seitenblick zum Eifersuchtsdrama hoch zu stilisieren vermag, dann hätte es Diana die Königin der Herzen auch nicht gegeben. Diana - die viel beneidete und doch unglückliche, die betrogene Gattin und essgestörte junge Frau - war ein moderner Mädchenroman in Fortsetzungen.
Die königlichen Familien sind der Boulevardpresse liebster Rohstoff für eine endlose Soap-Opera. Ganz wie bei fiktionalen TV-Vorbildern ist es ein Erzählstoff, der an den Interessen einer weiblichen und älteren Klientel ausgerichtet ist. Es sind klassische Frauenthemen, die ihn bestimmen: schwierige Verhältnisse zu Schwiegermüttern, unerfüllte Kinderwünsche und unverhofftes Kinderglück. Die Entsagungsleistungen und Einsamkeiten von Ehegattinnen an der Seite ehrwürdiger Männer - hier werden sie besprochen und bedauert. Die typisch weiblichen Beziehungsfantasien von Mutterglück und Aufgehen in der Paarsymbiose - hier werden sie bedient. Es ist ein fast erschreckend altmodisches Bild, das die adligen Familien Europas hier abgeben; mit um so größerer Spannung wird deshalb der Einbruch des modernen Lebens in diese trauten Sphären verfolgt: Schwierigkeiten wie Magersucht und Drogenabhängigkeit, uneheliche Kinder und männliche Beziehungsunfähigkeit. Worauf man bislang allerdings vergeblich wartet, ist ein offenerer Umgang mit Homosexualität.
Zwar liefert sämtliche Prominenz dieser Real-Life-Soap-Opera zu, aber die Adelsfamilien bilden darin so etwas wie den Grundstock. Anders als etwa Hollywoodstars kommen sie nicht aus der Mode oder können darauf hoffen, eines Tages vergessen zu werden und zurück zu kehren in die Anonymität. Vor allem in Ländern, die keine Monarchen mehr haben, wie der Bundesrepublik, bildet der Adel nur noch den Rohstoff zu einem Gegenwartsroman im Modus des Kitsches. Ideologiekritisch betrachtet sind diese Erzählungen von erschreckender Affirmativität. Das Milieu könnte kaum konservativer und traditioneller sein. Aber darin liegt wohl auch das Geheimnis ihrer Beständigkeit: Die Königsfamilien verkörpern in der großen Medienerzählung eine Art Urfamilie, und damit tatsächlich so etwas wie Heimat und Herkunft. Sie sind Repräsentanten, nicht mehr einer Regierung oder Exekutive, sondern einer Landeskultur. Wer etwas über den Katholizismus der Spanier erfahren wollte, konnte dafür keine bessere Gelegenheit finden als die Hochzeit von Kronprinz Felipe und seiner Letizia. Im "Typisch-Sein" nämlich sind die Monarchenfamilien den Hollywoodstars weit überlegen. Auch sind sie in der physischen Erscheinung um einiges weniger "perfekt" als diese und bilden schon deshalb willkommene Identifikationsangebote.
Was sich in den gerichtlichen Auseinandersetzungen niederschlägt, die jüngst wieder mit dem "Caroline-Urteil" Schlagzeilen machten, ist der Kampf der Prominenz und speziell der Adelsfamilien um die Autorschaft an der "großen medialen Erzählung". Die längste Zeit seiner privilegierten Existenz hatte der Adel seine Inszenierung nämlich selbst in der Hand. Es gehörte geradezu zur Definition von "Hoheit", dass sie mit Theatralisierungen und Ritualisierungen regierte, ihre Macht und Befugnisse symbolisch fürs Volk in Szene setzte. Mit der realen Entmachtung und der Einführung der Massenmedien wurde diese Inszenierungshoheit gleich von zwei Seiten bedroht.
Dass man sie durch Ausschluss der Medien nicht einfach zurückgewinnt, das hat Queen Elisabeth bereits bei ihrer Krönung begriffen und zum Ausdruck gebracht. Ihre Berater und ihr Kabinett hatten entschieden, das damals noch in den Kinderschuhen steckende Fernsehen bei den Feierlichkeiten in der Westminster Abbey nicht zuzulassen - mit der Begründung, das grelle Licht der Scheinwerfer und die Hitze würden die emotionale und physische Belastung der zu krönenden Prinzessin unzulässig vergrößern. Hinter den Kulissen wurde auch gemunkelt, dass die Peers sich um ihr verbürgtes Privileg gebracht sahen, als einzige unmittelbare Zeugen bei der Krönung dabei zu sein. Als Sir Winston Churchill der jungen Elisabeth den Beschluss des Kabinetts mitteilte, dass ihr die Strapaze der Live-Übertragung nicht zuzumuten sei, soll sie ihn höflich daran erinnert haben, dass schließlich sie es sei, die gekrönt würde, und nicht das Kabinett, und dass ihrer Ansicht nach alle Untertanen die Möglichkeit erhalten sollten, sie zu sehen.
Die Krönung von Elisabeth II. am 2. Juni 1953 wird heute als Geburtstunde der Fernseh-Live-Übertragung gefeiert. Zum ersten Mal in der Geschichte des Mediums verfolgten mehr Menschen das Ereignis am Bildschirm als am Radio. Die Beschreibungen der Übertragung betonen immer wieder, wie würdig der Senderahmen war und wie diskret sich die Moderatoren verhielten. Von solcher Zurückhaltung kann man heute nur noch träumen. Im Nachhinein muss man auch feststellen, dass die Live-Übertragung der Krönung dem Medium Fernsehen mehr geholfen hat als der Monarchie. Wie danach nur noch die Mondlandung hat sie zur Popularisierung der Geräte und des Mediums beigetragen, ganz zu schweigen vom Anschub des Verkaufs und der Erprobung neuester technischer Möglichkeiten.
Elisabeth II., so heißt es in einem Eintrag in einer Internetenzyklopädie, verdanke ihre große Popularität den Medien. Sie seien es gewesen, die sie dem Volk näher gebracht haben, und das, obwohl ihr Auftreten stets sehr formell und unemotional war und noch immer ist. Einen Bruch erlitt ihre immense Beliebtheit erst seit Mitte der 80er-Jahre, als die "Tabloids" die unglücklichen Ehegeschichten ihrer Kinder auszuschlachten begannen. So schlug die Medienfreundlichkeit, die Elisabeth II. bei sich selbst noch so geschickt durch ihre "Eckigkeit" und Beherrschtheit konterkarierte, auf einmal zurück. Mit den ganz realen Geschichten von Anne und Marc, Andrew und Fergie, Charles und Diana, in denen sich jeder Bürger wiedererkennen konnte, zeichnete sich ab, dass die einmal geladenen Kameras nicht so einfach wieder hinaus gebeten werden konnten.
Im September dieses Jahres machte das so genannte "Caroline-Urteil" Schlagzeilen. Die Prinzessin von Monaco bekam auf europäischer Ebene bestätigt, wofür sie seit Jahren kämpft: dass Privatfotos von ihr nur noch veröffentlicht werden dürfen, wenn ein "berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit" daran besteht. Die Boulevardpresse protestierte heftig, sprach von Zensur und dem unverbrüchlichen Recht auf freie Berichterstattung, schließlich bestehe ein legitimes Interesse daran, "gesellschaftliche Leitbilder", wie sie Caroline nun mal darstelle, "realistisch" abzubilden. So gut man Carolines Kampf um das Recht am eigenen Bild nachvollziehen kann, fragt man sich doch auch, ob sie mit der Unterbindung der Berichterstattung über ihr Privatleben nicht auf längere Sicht die eigenen Interessen untergräbt. Was ist Glamour noch wert, wenn er nur noch hinter verschlossenen Türen stattfindet?
Einen anderen Weg, die Hoheit über die eigene Inszenierung zurück zu erlangen, hat Prince Charles in jüngster Zeit eingeschlagen. Er holte sich als Pressesprecher den früheren "communications director" von Manchester United ins Haus. Mit diesem Schritt, der noch vor ein paar Jahren als unziemlich gegolten hätte, bewies Charles aber vielleicht ein ähnlich vorausschauendes professionelles Kalkül, wie es seine Mutter 1953 an den Tag gelegt hatte. Monarch zu sein ist heute tatsächlich ein Beruf, den man mit dem des Fußballprofis durchaus vergleichen kann. Dass Kameras und Reporter dabei sind, ist ungeheuer wichtig, für den einen beim Spiel, für den anderen beim Händeschütteln und Wohltätig-Sein. Und die Einblicke ins Private müssen gezielt gewährt werden, weil sie das Unterpfand der Popularität sind. Und Charles braucht Popularität wie ein Fußballer den Torerfolg; sie zu erlangen ist aber ohne Medien heute nicht mehr möglich. Weshalb man wohl tatsächlich konstatieren müsste: Ohne Medien - gäbe es zumindest in Europa auch keine Monarchen mehr.
Barbara Schweizerhof ist Redakteurin der Wochenzeitung "Freitag".