Nüchtern betrachtet ist es eine paradoxe Situation: Im Jahr 2004 ist ein Bundesland, das von Sozialdemokraten und demokratischen Sozialisten regiert wird, immer noch im Besitz eines monarchischen Unternehmens. Seit ein paar Jahren gehört die "Königliche Porzellanmanufaktur" (KPM) zwar nicht mehr dem Land Berlin, sondern der zur Landesbank gehörenden Investitionsbank Berlin. Auch damit aber bleibt der Berliner Senat mittelbar der Eigner des Traditionsunternehmens - bis ein privater Investor gefunden wurde. Der Haken an der Sache: Jeder potenzielle Käufer übernimmt nicht nur ein seit fast 250 Jahren bestehendes Unternehmen, sondern auch jede Menge Verpflichtungen.
Seit dem Mauerfall steckt die Manufaktur, in der heute noch von Hand Porzellan produziert wird, tief in den roten Zahlen. Kein Wunder also, dass als potenzielle Investoren vor allem solche gehandelt werden, die nicht nur dem Porzellan, sondern auch der Historie des Unternehmens etwas abgewinnen können: Der Kultur-Manager Helmuth von Maltzahn zum Beispiel, der mit einem verbesserten Marketing-Konzept nicht nur mehr Geschirr verkaufen, sondern auch die Geschichte Preußens wieder lebendig machen will. Oder der Enkel des letzten deutschen Kaisers, Franz Wilhelm Prinz von Preußen, der auf das Konzept "Porzellan, Kultur und Tourismus" setzen will.
Tatsächlich ist die Königliche Porzellan Manufaktur auch für eine Stadt in republikanischen Verhältnissen ein Kulturgut von unschätzbarer Bedeutung: Im Jahre 1763 kaufte der Preußenkönig Friedrich der Große persönlich die erst zwei Jahre zuvor gegründete Manufaktur. Für 225.000 Reichstaler. Der Überlieferung nach orderte Friedrich II. bis zu seinem Tod ein Service nach dem anderen im Gesamtwert von 200.000 Talern. Unter seiner Ägide entstand auch der Blauton "bleu meurant", der bis heute das Markenzeichen der KPM ist.
Aber königlich, 86 Jahre nach Abschaffung der Monarchie in Deutschland? Selbstverständlich, sagt die KPM-Sprecherin Constanze Brunn. Erstens fühle man sich nach wie vor der Tradition der Manufaktur verpflichtet; zweitens habe sich an dem Qualitätsanspruch seit der Zeit Friedrichs II. nichts geändert. Drittens, sagt Brunn, wäre es "auch aus Sicht des Marketing nicht klug, auf den Begriff zu verzichten". Königlich - das heiße für den gemeinen Zivilisten doch bis heute: ein Siegel allererster Güte. Wer den Hof beliefert habe, dem werde man doch nicht unterstellen, dass er dort Ware zweiter Wahl hingeschickt habe. Oder? Das sieht auch das Oberlandesgericht München so, das in einem Urteil vor ein paar Jahren festhielt: Egal ob man mit der Bezeichnung "Königlich" oder "Hoflieferant" verbinde, dass das Unternehmen einst im Besitz des Königshauses war oder doch zumindest den Hof beliefert habe: Beide Titel gälten als "Qualitätsmerkmal" und dürften nicht zu Unrecht, also nur von Unternehmen, die ihn vor 1918 tragen durften, verwendet werden.
Bayern ist das Bundesland, in dem immer noch die meisten Hoflieferanten residieren - aber auch jenes, in dem am häufigsten wegen angeblicher oder tatsächlich missbräuchlicher Verwendung der Auszeichnung prozessiert wird. Juristisch ist die Lage so: Königlich darf sich nur ein Unternehmen nennen, das einst im Besitz der Königsfamilie war. Das Prädikat "Königlich Bayerischer Hoflieferant" aber hatte - anders als bei den englischen "Royals" zum Beispiel - nie etwas mit einem tatsächlich bestehenden Lieferverhältnis zu tun. Chancen auf den Titel hatten nur bayerische Staatsangehörige, die seit mindestens sechs Jahren ein Geschäft leiteten, deren "Vermögens-, Kredit- und Familienverhältnisse" einwandfrei und deren "königstreue Gesinnung" unzweifelhaft war. Ferner musste das Geschäft "erstklassig" sein und "Gewähr für eine günstige Fortentwicklung" bieten. Das Attribut erlosch mit dem Tod - und jeder Nachfolger musste sich erneut würdig erweisen.
Bis heute sind es vor allem Familienunternehmen, die sich in die Tradition des Hoflieferanten stellen. Das außerhalb Bayerns bekannteste dürfte das Delikatessengeschäft Dallmayr sein. Seit 1895 ist "der Dallmayr" im Besitz der Familie Randlkofer. Gegründet wurde das Geschäft im Jahre 1700 von der Familie Dallmayr. Sunny Randlkofer, die Sprecherin, ist die Schwiegertochter von Georg Randlkofer, der das Unternehmen gemeinsam mit dem Bremer Kaffeekaufmann Wolfgang Wille leitet. "Wir sind ein Traditionshaus", sagt sie, "und wir sind stolz darauf, einst 16 Höfe in ganz Euiropa beliefert zu haben. Wer kann das schon von sich behaupten?" Tatsächlich vertreibt Dallmayr noch heute einen Wein mit dem Namen "Hoflieferant"; und jedes Päckchen Kaffee der Marke "Prodomo" ist mit dem Zusatz "ehemals königlicher Hoflieferant" versehen.
"In Bayern steht das Prädikat ‚königlich' ganz ohne Frage für Tradition und Qualität", sagt auch Barbara Kosler. Die Münchnerin hat im vergangenen Jahr eine Ausstellung in der Residenz über Geschichte und Geschichten der Königlich Bayerischen Hoflieferanten konzipiert. Und fand heraus, dass die meisten Geschäfte den Titel immer noch mit Stolz und Überzeugung tragen. Andere, wie das Kaufhaus Ludwig Beck am Marienplatz, hätten auf den Status allerdings irgendwann im Laufe des vergangenen Jahrhunderts verzichtet. "Manchem ist das zu piefig oder zu unmodern", sagt Kosler, "die Regel ist das aber nicht". Vielleicht, fügt sie hinzu, sei es nördlich des Mains schwer zu verstehen, woher das Festhalten an der Tradition rühre: "Mit einem Augenzwinkern", resümiert die Münchnerin, sähe sich so mancher doch heute noch gern als Untertan der Prinzregenten-Familie.
Jeannette Goddar arbeitet als freie Journalistin in Berlin.