Ausländische Politiker haben häufig übertrieben, wenn sie bei Besuchen in Spanien etwas freundliches über den König Juan Carlos sagen wollten. Sie sprachen dann "vom jungen König, der den Spaniern die Demokratie geschenkt hat." Die Demokratie - nach vier Jahrzehnten Diktaktur - wurde den Spaniern natürlich nicht geschenkt; das spanische Volk - zumindest ein großer Teil - hat sich die Rechte und Freiheiten erkämpft.
Doch hat Juan Carlos manches dazu beigetragen, um den Übergang zu einem demokratischen System zu ermöglichen. In einem entscheidenden Moment, am Abend des 23. Februars 1981, hatte er den Ausschlag gegeben, um einen militärischen Staatsstreich gegen die Demokratie zum Scheitern zu bringen.
Der Diktator und General Francisco Franco hatte den Prinzen Juan Carlos, Sohn des eigentlichen Thronfolgers Don Juan von Bourbon, ausgewählt, sein Nachfolger im Amt des Staatschefs zu werden. Juan Carlos war im Spanien Francos erzogen worden, und er musste zu Lebzeiten des Diktators dessen Politik mitrepräsentieren, ohne aber bei irgendeiner politischen Entscheidung Francos gefragt oder konsultiert zu werden. Viele Spanier glaubten zunächst, der Prinz werde die Politik Francos weiterführen. Doch hatte Juan Carlos, schon bevor er den Thron bestieg, ausländischen Freunden gesagt, er wolle König in einer Demokratie sein, so "wie der Bundespräsident Staatschef in Deutschland ist". Auch hatte der Prinz - gewöhnlich über Mittelsmänner - Kontakte zu demokratischen Politikern aufgenommen, unter ihnen Vertreter der in der Diktatur illegalen Parteien.
Dem zuerst von ihm ernannten Ministerpräsidenten Adolfo Suárez - Reformer aus dem Franco-Regime - hatte er seine Vorstellungen über eine Umwandlung Spaniens in einen demokratischen Staat mitgeteilt. Doch weder der König noch Suárez hatten einen Plan. Sie ließen sich von den Ereignissen wie den Demokratie fordernden Demonstrationen oder den Verhandlungen mit Politikern der Linken und der Mitte leiten. Dabei mussten sie mit dem Widerstand der Rechtskonservativen und antidemokratischen Gruppen und Institutionen rechnen, die jede Reform ablehnten. Das waren in erster Linie die Streitkräfte, Inhaber der realen Macht im Lande; sie waren vom Diktator nicht nur zum Kampf gegen den Marxismus erzogen worden, vielmehr auch zur Abwehr der parlamentarischen Demokratie, von Franco abschätzig "Demoliberalismus" genannt.
Der König und Suárez haben, auch mit Erfolg, die Führer der linksgerichteten Parteien um Verständnis für ihre Rücksicht auf die so genannten faktischen Mächte ersucht, zu denen auch ein großer Teil der Wirtschaft und des Finanzkapitals gehörte. Der Verband der Bürgerkriegsveteranen und extreme Gruppen der ehemaligen Einheitspartei "Falange" organisierten konspirative Treffen gegen den Aufbau der Demokratie. Ihre Anführer wie der frühere Arbeits- minister Girón und andere, die unter Franco in kurzer Zeit sehr reich geworden waren, veröffentlichten Artikel voll drohender Andeutungen über einen notwendigen Schlag gegen die Demokratie, die "Spaniens geheiligte Traditionen" in Gefahr bringe, zu Unruhen und "allgemeinem Sittenverfall" führe.
Dem König kam in jenen schwierigen Zeiten zugute, dass er über eine doppelte Legitimität verfügte. Für die große Mehrheit der Spanier war er legitimer Staatschef, weil die Bevölkerung in einer Volksabstimmng die parlamentarische Monarchie als Staatsform akzeptiert hatte. Den rechtsextremen und frankistischen Teil der Militärs interessierte weder die demokratische Verfassung noch die Bestätigung von Juan Carlos durch eine große Mehrheit des spanischen Volkes; für sie war Juan Carlos der von Franco ausgesuchte Nachfolger, König durch den Willen und von Gnaden Francisco Francos. Die Verschwörer, die am 23. Februar 1981 putschten und das Parlament von der militarisierten Guardia-Civilpolizei besetzen ließen, versicherten, um Mitkämpfer zu gewinnen, der König sei über den Staatsstreichversuch informiert und mit dem Plan einverstanden. Manche Generäle und Admiräle, unter ihnen Oberkommandierende der einzelnen Militärregionen, sagten den Anführern der Verschwörung deshalb ihre Unterstützung zu, vergaßen diese Zusage aber gleich wieder, als Juan Carlos I. in einer kurzen Fernsehansprache den Putsch verurteilte.
Am Abend des 23. Februar 1981 warteten 40 Millionen Spanier viele Stunden auf ihren König und Staatschef. Juan Carlos I., seit gut fünf Jahren König von Spanien, war als einziger innerhalb der Führungsspitze des Staates auf freiem Fuß. Regierungschef Suárez, das gesamte Kabinett und die gewählten Abge-ordneten wurden von Angehörigen der Guardia Civil im Kongressgebäude festgehalten. Am späten Nachmittag dieses 23. Februars war das geschehen, was viele seit Jahren befürchtet hatten: Ein Teil der spanischen Streitkräfte hatte sich gegen den jungen demokratischen Staat erhoben. Rundfunk- und Fernsehsender waren von den Aufständischen besetzt; in der großen Region Valencia hatten die Militärs schon die zivilen Behörden entmachtet und die Panzer auf die Straße geschickt; in anderen Städten und Regionen war die Lage unentschieden oder unklar.
Die erste Nachricht über den Verbleib des Königs kam mehrere Stunden nach dem Überfall auf das Parlament vom Regierungschef der autonomen Region Katalonien, Jordi Pujol. Juan Carlos habe ihm, Pujol, telefonisch gesagt, er arbeite ununterbrochen für die Rettung der Demokratie. Doch weder Jordi Pujol noch die Spanier hatten Grund, ruhig zu bleiben. Mehrere Stunden nach dem Überfall erhielten die Parlamentsbesetzer Unterstützung von Militärs aus der Panzerdivision Brunete, die mit Hauptmann Pardo Zancada, wegen seiner rechtsradikalen Ansichten bekannt, in das Parlament eindrangen, um dem Überfallkommando unter Leitung von Oberstleutnant Tejero beizustehen.
Von einer hochschwangeren Abgeordneten, die freigelassen wurde, erfuhren die draußen wartenden Journalisten, dass die wichtigsten Parteiführer, unter ihnen der amtierende Ministerpräsident Suárez, der Chef der sozialistischen Opposition und spätere Ministerpräsident Felipe González und der bekannte Eurokommunist Santiago Carrillo, aus dem Plenum herausgeführt und in einen Nebenraum gebracht worden waren. Den Beginn der Parlamentsbesetzung konnten die Fernsehzuschauer außerhalb Spaniens miterleben. Die Putschisten hatten eine Kamera übersehen und diese nicht, wie alle anderen, zerschlagen. Von dieser Kamera aus kamen die Bilder direkt ins spanische Fernsehen und von dort in die Eurovision. Der Überfall auf das spanische Parlament war so der erste Putschversuch, der vom Fernsehen direkt übertragen wurde.
Der König wurde genauso wie fast alle anderen Spanier von dem Überfall auf das Parlament und dem Putschversuch überrascht. Er und seine engsten Ver-trauten mussten zunächst herausfinden, wer in ihrer Umgebung, vor allem unter den Militärs am Königshof, loyal geblieben und wer möglicherweise in den Staatsstreich verwickelt war. Doch konnte der König sich schnell versichern, dass wichtige Militärs wie der Staatschef des Heeres, Generalleutnant Gabeiras, und der Oberkommandierende der Panzerdivision Brunete nicht in der Verschwörung steckten.
Juan Carlos telefonierte an diesem bis dahin wichtigsten Abend seines Lebens auch lange mit seinem Vater, Don Juan von Bourbon in Lissabon. Don Juan, ein überzeugter Demokrat, riet seinem Sohn Juan Carlos erwartungsgemäß, mit aller Energie, doch mit taktischem Geschick sich dem Putsch entgegenzustellen. Das bedeutete, der König musste mit den Oberkommandierenden der Militärregionen, die möglicherweise in die Verschwörung verwickelt waren, sich aber noch nicht offen zum Putsch bekannt hatten, reden und ihnen deutlich machen, dass der Staatsstreich auch ein Akt der Meuterei gegen ihn, den König und Oberkommandierenden der spanischen Streitkräfte, darstellte.
Der damalige spanische militärische Geheimdienst, "Cesid" genannt, bestand zur Hälfte aus demokratischen Offizieren und zur anderen Hälfte aus Putschisten. Die Mitglieder des Geheimdienstes verbrachten ihre Zeit damit, sich gegenseitig zu überwachen und zu annullieren. Deshalb konnten sie weder dem König noch der Regierung stichhaltige Informationen über die Verschwörung geben. Die Ansprache von Juan Carlos um 01.15 Uhr über das Fernsehen war militärisch knapp, bestand vor allem aus Befehlen an die aufständischen Generäle und wiederholte in wenigen, aber eindeutigen Worten "die Treue der Krone zum demokratischen Prozess und zur Verfassung", die sich das spanische Volk gegeben hatte. Der Oberkommandierende der Region Valencia zog daraufhin seine Truppen zurück und wurde ins Gefängnis eingeliefert. Die Besetzer des Parlaments gaben am Morgen des 24. Februars auf.
Der König hatte einen Erfolg des Putsches verhindert, und die Monarchie hatte unter den Spaniern - ein nicht gerade begeistert monarchistisches Volk - viele neue Freunde gewonnen. Juan Carlos I. wird jedenfalls mit seiner Leistung in der Putschnacht als eine der positivsten Figuren unter den spanischen Königen seinen Platz in der Geschichte des Landes einnehmen. Auch in Zukunft wird die Popularität der Institution und Staatsform Monarchie in Spanien vor allem vom Verhalten des Monarchen abhängen.
Walter Haubrich arbeitete lange Jahre für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Spanien.