Diese Situation ist vor dem Hintergrund der bis vor wenigen Jahren dominierenden frauenpolitischen Ansätze mit den Eckpunkten Frauenförderung, Frauen- beziehungsweise Gleichstellungsbeauftragte und Quotierung erklärlich. Männer waren in diesem Diskurs entweder nicht erwünscht, weil sie als politische Gegner empfunden wurden, oder sie gehörten zu den geduldeten Gesprächspartnern, denen entweder pauschal das Interesse an männlichem Machterhalt unterstellt wurde, oder denen die pro-feministischen Motive abgesprochen wurden. Die ernüchternde Bilanz in vielen Betrieben zur Frage der Wirksamkeit von Frauenfördermaßnahmen kann als Indiz gewertet werden, dass diese skeptische Grundhaltung vieler Frauen durchaus nicht unbegründet ist.
Müssen wir also zum Schluss kommen, dass Männer in Organisationen geschlechterpolitische Blind-gänger sind, deren explosives Potential sich immer dann zeigt, wenn männliche Privilegien und Besitzstände bedroht sind? Sind die Langlebigkeit männlich geprägter Organisationskulturen und die Hegemonie männlicher Verhaltensmuster in Organisationen unveränderlich? Oder gibt es möglicherweise gute Gründe, weshalb gerade Männer in Organisationen aufgrund eigener Interessen und Motivationen zu aktiven Förderern geschlechterdemokratischer Verhältnisse werden?
Mit Hilfe von Gender Mainstreaming (GM) als strategischem Konzept zur Entwicklung von Geschlechterdemokratie und -gerechtigkeit sollen Männer im Dialog mit Frauen (und Männern) einen eigenständigen Beitrag zur Förderung gleicher Entwicklungschancen von Frauen und Männern in Organisationen leisten. Sie sind eingeladen, den Mainstream (wörtlich: Hauptstrom) männlichen Denkens und Handelns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu reflektieren und in Richtung einer diskriminierungsfreien Praxis zu verändern. Es geht also um einen zielgerichteten Lern- und Entwicklungsprozess zur Umgestaltung betrieblicher Strukturen und individueller Verhaltensmuster, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern begründen und immer wieder reproduzieren. Damit wird in einer doppelten Perspektive neben der Verhaltensdimension die strukturelle Komponente betont, ohne die keine nachhaltigen Veränderungen in Geschlechterverhältnissen gelingen werden.
Die ersten praktischen Erfahrungen bei der Einfüh-rung von Gender Mainstreaming in Behörden, Verwaltungen, Unternehmen und Verbänden lassen erkennen, dass es den betrieblichen Akteuren nicht leicht fällt, diese theoretischen Ansprüche in der betrieblichen Praxis umzusetzen. Im ersten Schritt muss das Informationsbedürfnis der Verantwortlichen in den Betrieben befriedigt werden. Es muss darüber gesprochen werden, welche Chancen und welcher konkrete Nutzen für die Organisation und ihre Mitglieder mit der Einführung von GM verbunden sind. Diese Orientierungsphase verlangt von internen und externen Protagonisten des GM nicht selten ein hohes Maß an Geduld, Hartnäckigkeit sowie inhaltlicher und Gender-kompetenz. Das Thema ist insbesondere bei männlichen Entscheidern (noch) kein "Selbstläufer", dessen Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg unmittelbar einleuchtet.
Welchen eigenständigen Beitrag sollten Männer in diesen Veränderungsprozess einbringen beziehunsweise unter welchen Bedingungen dürfte sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Männer im Prozess des Gender Mainstreaming zu aktiven Mitgestaltern werden? Die Antwort liegt ziemlich klar auf der Hand: Männer müssen für sich einen konkreten persönlichen beziehungsweise beruflichen Gewinn erkennen können und zugleich muss für sie die Nützlichkeit der angestrebten Lern- und Entwicklungsprozesse nicth zuletzt auch aus organisationspolitischer Sicht deutlich werden.
Die Ebene des persönlichen Gewinns für Männer durch die Entwicklung geschlechterdemokratischer Verhältnisse lässt sich an vielen Beispielen zeigen. Veränderte Lebens- und Arbeitsbedingungen, die die Eindimensionalität und die kulturelle Hegemonie des traditionellen männlichen Lebensentwurfs zu Gunsten von Vielfalt und Wahlmöglichkeiten aufbrechen, schaffen ein gesundheitsförderliches, diskriminierungsfreies und vielfältiges Umfeld, in dem sich Männer und Frauen im Dialog als gleichberechtigte Partner begegnen können. Ein hierarchiearmes und diskriminierungsfreies Umfeld in Arbeitsorganisationen kann Männern helfen, ihre Beziehungs- und Teamfähigkeit zu verbessern und ein insgesamt gelasseneres Verhältnis zur Erwerbsarbeit zu gewinnen. Anforderungen aus Beruf und Familie lassen sich in geschlechterdemokratischen Verhältnissen auch für Männer besser vereinbaren als zuvor. Die Abwesenheit einer männlichen Rhetorik von Kampf, Marktmacht und Herrschaftsausübung könnte außerordentlich wohltuend auf die soziale Konstruktion von Männlichkeit wirken, weil jenseits dieser seit langem tradierten männlichen Werte und Normen erweiterte Handlungsoptionen für Männer in der Arbeitswelt deutlich werden. Ein verbesserter Kontakt auch zu den männlichen Kollegen im Arbeitsumfeld kann dabei Gefühle von Entfremdung, Einsamkeit und Überforderung zu Gunsten von Werten wie Solidarität, Gemeinschaft und Geborgenheit ablösen.
In vielen Organisationen sind die entscheidenden Positionen in der betrieblichen Hierarchie noch immer überwiegend von Männern besetzt. Die betriebliche Wirklichkeit wird durch männliche Organisationsprinzipien geprägt. Männliche Entscheider lassen sich durchaus für Geschlechterdemokratie und -gerechtigkeit gewinnen, wenn ihnen deutlich wird, dass ihre Entscheidungen unter Anwendung von Strategie und Instrumenten des GM bessere Ergebnisse hervorbringen als zuvor. Entscheidend ist, dass sie verstehen und erfahren, wie mit Hilfe dieses Ansatzes die geschäftspolitischen Ziele einfacher, schneller und sicherer erreicht werden.
Organisationsintern wird die gleichberechtigte Berücksichtigung von männlichen und weiblichen Perspektiven bei allen Entscheidungen zu einer Kultur von Transparenz und Teilhabe beitragen, die eine motivierte und engagierte Belegschaft wachsen lässt. Eine dialogorientierte Form der Auseinandersetzung über fachliche, geschlechtsbezogene und organisationspolitische Fragen trägt dazu bei, dass Männer und Frauen sich als Konfliktpartner erkennen, die zu fairen Kompromissen zwischen den Geschlechtern fähig sind. Hinzu kommt, dass eine Organisation, die sich offensiv gegenüber Kunden und Geschäftspartnern für Geschlechterdemokratie und Geschlechtergerechtigkeit engagiert, zu einer gefragten Geschäftspartnerin wird, die mit gutem Beispiel voran geht.
Der Imagegewinn dürfte mittelfristig auch am Arbeitsmarkt dafür sorgen, dass die Rekrutierung hochqualifizierten Personals leichter gelingen wird - zumal es sich in der heutigen demografischen Situation kein Betrieb mehr leisten kann, auf hoch qualifiziertes, weibliches Fachpersonal zu verzichten. Darüber hinaus gehören Maßnahmen eines zielgruppenspezifischen Marketings unter Berücksichtigung geschlechtsbezogener Wirkungsmuster inzwischen zum kleinen Einmaleins jedes erfahrenen Marketingexperten. Beides trägt zur Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit bei.
Eines ist sicher: Die Arbeitswelt verändert sich in immer kürzeren Zeitabständen und alle, die heute Entscheidungen zu treffen haben, tragen eine hohe Verantwortung für die Menschen in den Betrieben. Frauen und Männer sichern durch ihre Leistungsfähigkeit und ihre Flexibilität den Erfolg eines Unternehmens.
Zur Verantwortung von Geschäftsführungen, Vorständen und Führungskräften gehört aus politischen und ökonomischen Gründen, dass Entscheidungen getroffen werden, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht. Gender Mainstreaming als Strategie und Instrument ist vor diesem Hintergrund eine sehr willkommene Möglichkeit für Männer in der Arbeitswelt, ihre Position und Rolle, aber auch die männlichen Werte, Regeln und Normen der Organisation zu überprüfen und im Dialog mit Frauen zu überdenken. Das Ziel einer geschlechterdemokratischen Normalität jenseits von Diskriminierung und struktureller Gewalt ist in vielen Organisationen noch lange nicht erreicht.
Der Autor ist Sozialwissenschaftler und arbeitet als Organisationsberater in Hamburg.