Als Thomas Schröder sich 1998 bei der Gemeinde Drochtersen für den Posten des Männerbeauftragten bewarb, hielt das die Verwaltung zunächst für einen Scherz. In der Presse sorgte Schröder mit seiner Bewerbung zwar für einige Schlagzeilen und wurde zum regionalen Medienstar - Männerbeauftragter wurde er nicht.
In Deutschland gibt es das Bundesministerium für Familie, Frauen, Kinder und Senioren. Die Bevölkerungsgruppe Männer fehlt in diesem Titel. Nun könnte man annehmen, dass Männer zum Bereich Familie gezählt werden (was dann wiederum die allein stehenden Männer nicht berücksichtigen würde) und dass sie vielleicht keinen eigenen Bereich in diesem Ministerium bräuchten. Aber das würde auch für Frauen gelten, diese Bevölkerungsgruppe ist explizit im Titel erwähnt. Offensichtlich hält die Politik eine eigene Politik für Männer nicht für notwendig. Zur Entlastung des Ministeriums muss erwähnt werden, dass es den Posten der Gleichstellungsbeauftragten gibt.
Dieser Begriff legt nahe, dass es auf das Geschlecht gar nicht mehr ankommt und dass sich Männer hier genauso zu Hause fühlen könnten wie Frauen. Kön-nen sie aber nicht. Denn das Bundesgleichstellungsdurchsetzungsgesetz legt fest, dass nur Frauen diesen Posten innehaben dürfen und dass die Gleichstellungsbeauftragte nur von Frauen gewählt werden kann. Ein weiteres Beispiel für die bestehenden Unterschiede bei der staatlichen Behandlung von Frauen und Männern ist das Thema Gesundheit. Während die Bundesregierung jährlich einen Frauengesundheitsbericht vorlegt, gibt es kein entsprechendes Äquivalent für Männer. Und das obwohl Männer, glaubt man den Statistiken, siebenmal häufiger an AIDS oder dreimal häufiger an Herz- und Kreislauferkrankungen sterben. Doppelt so häufig wie Frauen kommen sie durch Selbstmord ums Leben. Diese Zahlen genauer zu untersuchen und die Gründe dafür zu erforschen, um dann sinnvolle Präventionsmaßnahmen daraus zu entwickeln, stellt aus staatlicher Sicht offenbar kein lohnendes Ziel dar.
Zahlreiche Männerforen, die sich unter dem Dach der Kirchen oder privat organisiert haben, beklagen, dass der Staat sie bei ihren Anliegen im Stich lässt. Für den anderen Teil der männlichen Bevölkerung, stellt sich dieses Problem erst gar nicht. Denn nach wie vor haben Männer ein Problem damit, ein Problem zu haben - sprich, es zuzugeben. Otto-Normal-Mann sieht nach wie vor keine Notwendigkeit für einen Männerbeauftragten. Darauf weist der Soziologe Walter Hollstein von der Universität Bremen hin. Die tradierten Rollenmuster sorgen dafür, dass Männer gerade in Krisensituationen ein Image der Stärke aufzubauen suchen. Fremde Hilfe anzunehmen, auch von einer offiziellen Beratungsstelle, gilt vielen als Schwäche.
Hollstein fordert, dass sich die Politik der Probleme von Männern und Frauen gleichermaßen annehmen müsse, um eine aktive und sinnvolle Familienpolitik zu betreiben. In diesem Zusammenhang weist er auch auf Positivbeispiele aus dem Ausland hin. So leistet sich Österreich im Ministerium für soziale Sicherheit eine "Männerpolitische Grundsatzabteilung". Dort wird bei Männerforschung Basisarbeit geleistet; Männer werden durch Workshops und die Vermittlung zu NGOs ermutigt, sich ihrer spezifischen Probleme bewusst zu werden und sich zu ihnen zu bekennen. In anderen europäischen Ländern wie Finnland oder Schweden, gibt es staatlich finanzierte Väterkurse.
Brauchen wir also auch in Deutschland Männerbeauftragte? Ob bei einer Volksbefragung zu diesem Thema klare Mehrheiten zustande kämen, darf bezweifelt werden. Das kann aber für die Politik nicht das entscheidende Kriterium sein. Schließlich spielten bei der Einführung von Stellen für weibliche Gleichstellungsbeauftragte Mehrheitsentscheidungen zu Recht auch keine Rolle. Bedarf für die Arbeit von Männerbeauftragten ergäbe sich genug. So gibt es immer noch wesentlich mehr Frauen als Männer, die bei ihrem Arbeitgeber Elternzeit und längere unbezahlte Auszeiten beantragen, um sich besser um die Familie kümmern zu können. Nach wie vor sind spezielle staatliche Angebote für Männer im Scheidungsfall Mangelware. Viele Gerichte sprechen nach der Trennung automatisch das Sorgerecht der Mutter zu. Beim Besuchsrecht gibt es zwar leichte Verbesserungen. Häufig haben Männer aber vor dem Familienrichter immer noch die schlechteren Karten. Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit einer spezifischen Männer- beziehungsweise Jungenpolitik ist der Bereich Bildung und Erziehung. Der überwiegende Teil der Schulabbrecher, Schulschwänzer oder Frühkriminellen ist männlichen Geschlechts.
Hier müsste staatliche männerpolitische Arbeit einsetzen und sich mit speziellen Angeboten an diese Zielgruppe wenden. Gerade weil Männer oder gerade Jungen in der Pubertät wesentlich größere Schwellen-ängste haben, sich beraten zu lassen. Gewiss kann der Staat keine gesellschaftlichen Veränderungen oktroyieren. Aber er kann einen gesellschaftlichen Denk- und Umwandlungsprozess anstoßen. Dafür ist die Frauenpolitik das beste Beispiel. Auch wenn es in diesem Bereich nach wie vor Defizite gibt, kann dies kein Argument dafür sein, Männerpolitik nicht zu institutionalisieren. Unter Umständen stellt sich dabei heraus, dass sich beide Politikbereiche ergänzen, dass der eine dem anderen positive Anstöße verleihen kann.
Denn wenn Männer wie Thomas Schröder eine ei-gene staatliche Männerpolitik fordern und sich an dieser aktiv beteiligen wollen, sehen sie dies keineswegs als Kampfansage gegen Frauen. Oder, wie es die Männerpolitische Grundsatzabteilung im Ministerium für Soziale Sicherheit in unserem Nachbarland Österreich formuliert: "Die Männerpolitik (..) soll ein Auge auf das Ganze der Geschlechterpolitik werfen. (...) Die so entstandene zweite Säule verstärkt den geschlechterpolitischen Entwicklungsprozess."
Das wäre doch auch eine Vision. Und vielleicht würde Thomas Schröder dann tatsächlich noch Männerbeauftragter seiner Gemeinde.
Dr. Andreas Elter arbeitet als Journalist in Köln.