Seit Mai steht fest: Die drei einsamen Betontürme auf dem Gelände der Berliner Topographie des Terrors - die bislang zwölf Millionen Euro teure Bauruine des Schweizer Architekten Peter Zumthor, deren Weiterbau infolge von Insolvenzen, internem Zwist und notorisch kleinmütiger Berliner Kultur- und Baupolitik seit Jahren stagniert - sollen demnächst für weitere drei Millionen abgerissen werden. Nach bald zwei Jahrzehnten Diskussion und Planung wollen Bund und Land nach einem neuen Wettbewerb einen weniger aufwendigen Bau an der Stätte des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts, des "Hausgefängnisses" der Gestapo, der Zentralstelle des organisierten Nazi-Terrors zwischen Niederkirchner- und Wilhelmstraße errichten.
Seit dem 28. Oktober sind die Baufahrzeuge auf dem Gelände aufgefahren: abrissbereite Maschinen derselben Bauleute, die zuvor die Türme errichtet haben. Eine Farce, oder anders: ein "kulturkrimineller Akt", wie es in jenen Tagen der Maler und Schriftsteller Urs Jaeggi bei der neuerlichen Vorstellung des Projekts durch Zumthor in der überfüllten Akademie der Künste bezeichnete. Am 30. Oktober hat diese dann auf ihrer Mitgliederversammlung einen Aufruf an die Staatsministerin für Kultur verfasst, mit der Bitte, den Abriss der Türme zu stoppen, bis Klarheit über das weitere Schicksal des Geländes herrscht. Eine Unterschriftenaktion des Architekten Bernhard Strecker wiederum warb an dem Akademie-Abend nicht nur für eine sofortige Rücknahme des Abriss-Beschlusses, sondern auch für interimistische kreative Bespielung des ruinösen, nach dem Kriege "tief enttrümmerten" Geländes und, Spenden sammelnd, für den Weiterbau. Ein internationaler Architekten-Appell für Zumthors Bau ist dieser Tage ebenfalls ergangen: Architekten wie Norman Foster und Renzo Piano, ihrerseits Berlin-erfahren, haben sich dem Protest bereits angeschlossen, ebenso eine Vielzahl von Künstlern und Schriftstellern. Indessen gelang es dem Berliner Anwalt Peter Raue und seinem Mitstreiter Klaus Goecke noch in allerletzter Minute, beim Verfassungsgericht einen einwöchigen Aufschub des für den 15. November vorgesehenen Abriss-Datums zu erzielen. Zwar scheint mit dem ersten Gerichtsentscheid die Urheberrechtsfrage für Zumthor negativ geklärt, nicht aber die mögliche "Verletzung der Persönlichkeitsrechte". Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht den Abriss bis zum 29. November ausgesetzt. Ein nochmaliges Bedenken sollten Sache und Kosten, so oder so, uns wert sein. Denn nachträglich fällt auf: Fast nichts von der offenbar heftigen inhaltlichen Auseinandersetzung drang über all die Zeit nach außen, fast nur der ständige Streit um die Kosten und deren notorische Steigerung, welche die Öffentlichkeit nur noch genervt zur Kenntnis nahm - die Vorbereitungen für einen Schlussstrich unter diese leidige Debatte und das ganze Projekt waren getroffen: Frau Weiss und die Berliner Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer beschlossen, ohne den Architekten darüber zu informieren, im Mai den Abriss. Eine Pressemitteilung Zumthors von Ende Mai, in der dieser zu den nach seiner Ansicht völlig unberechtigten Vorwürfen Stellung nahm, wollte offenbar keiner mehr drucken. Erst jetzt, in den Tagen des für den Senat überraschend vor Gericht erwirkten Aufschubs, ließen sich Frau Weiss und Frau Junge-Reyer zum persönlichen Gespräch mit dem Architekten herbei.
Wir sind trotz Untergangsstimmung und Schlussstrichhoffnung mit der Buße, der sinnfällig überbordenden Ablasszahlung noch lange nicht fertig, so wenig wie mit dem Ort des Geschehens, der Taten und Täter selbst - egal ob der Abriss erfolgt oder nicht. Ein Nachdenken, bevor die investierten Millionen Mark und Euro tatsächlich als sinnlose Verschwendung Ort und Gedenken zusätzlich belasten, bevor neue Skandale und weitere Farcen drohen, ein Nachdenken also lohnt, nicht zuletzt darüber, welche Erinnerung uns welche Kosten wert ist und wie sich dies auch in der Geschichte des Topographie-Geländes mit Zumthors Bau als bisher letzter architektonischer Antwort spiegelt. Denn Erinnerung, Gedenken, die Normalitätssucher wissen es längst, kostet große Summen, werden förmlich zum Luxus und dieser wieder zum "Opfer" - auch darum erinnern wir uns nicht eben gerne. Ein bisschen leichter allenfalls fällt das Erinnern, und Bezahlen, dort, wo es sich, wie beim "Holocaust-Mahnmal", nicht nur monumental manifestiert, sondern dabei auch weniger konkret den Tätern als abstrakter den Opfern gilt. Auf eigentümliche Weise scheint solch symbolisch überhöhtes, sublimiertes Opfer-Gedenken angenehmer, die Kosten schmerzen weniger. Wogegen dem Topographie-Gelände als dem authentischen, ganz unsublimen Ort der Täter seit je sein sinnfällig Anrüchiges anhaftet, was über lange Zeit das Projekt, trotz seines unumstrittenen Dokumentationswerts, immer wieder ins (auch finanzielle) Abseits (ver)drängte. Erst mit dem siegreichen Entwurf Zumthors l993 ließ es sich "gleichwertig" den großen Erinnerungsarchitekturen (Jüdisches Museum und Holocaust-Mahnmal) zuordnen. Doch die substantielle Differenz zu ihnen blieb erhalten: Der Ort der Taten ist mit seinen Resten und historischen Spuren der Ver-wüstung ein sinnlich sprechendes Dokument, das der Architekt als solches in seinen Bauentwurf integriert hat. Es ermöglicht, in seinen sichtbaren Spuren, im nachhallenden Schrecken über Verhör und Folter, nicht nur eine Ahnung jenes Terrors, sondern - und dies ist das Entscheidende, das nur allzu leicht übersehen, überhört, vergessen wird! - darunter auch den Schrei der Opfer zu vernehmen: Unsere Anteilnahme wird konkret. Der auch an jenem Akademieabend aufflammende konzeptionelle Streit des Architekten mit der Stiftung beruht so gesehen auf einer falschen, ja fatalen Alternative. Der von ihrem ehemaligen, in diesem Jahr unter Protest zurückgetretenen Direktor, dem Historiker Reinhard Rürup, vertretene didaktische Anspruch nach Information und Belehrung vor aller Sinneserfahrung, der er misstraut, gibt der zu dokumentierenden Geschichte zwar einerseits Recht, tut dem gestaltenden Architekten wie dem Spuren suchenden Besucher zugleich aber auch unrecht.
Nur zwei Alternativen vermögen von diesem Scheinwiderspruch zu befreien: Die eine hatte sich bereits anfangs in dem als Provisorium belassenen, nur mit den sparsamsten Mitteln markierten und so den Besucher sowohl bewegenden wie belehrenden Gelände dargestellt - doch diese Chance kehrt nicht wieder! Bleibt also nur, als einzig sinnvolle Alternative, der Weiterbau des Begonnenen, die Realisierung jenes Entwurfs, der beide Ansprüche auf eindrucksvolle Weise vereint: den authentischen, mit den Resten von Kellern und Zellen, von Schutthügel und Mauerrelikt sowohl Täter wie Opfer und Nachgeschichte sinnlich evozierenden Ort, wie auch das umfassend informierende Dokumentations- und Begegnungszentrum. In seiner puren architektonischen Sprache, in der von allen Symbolismen freien Stab-Konstruktion, in deren Entgrenzung von Innen und Außen, dem ständig wiederholten Spiel von Licht und Dunkel, vermag ein solcher Bau nicht nur die Schuld und Schmerz und Hoffnung immer wieder neu aufrührende Erinnerung auszudrücken, sondern sie auch mit dem notwendigen Wissen zu verbinden. Solche Erinnerung, sprich Bußfertigkeit kostet! Auch ihren vorläufig unbußfertigen Preis. Er ist ebenso unbehaglich wie die Erinnerung selbst - doch unabdingbarer, nicht (mehr) verdrängbarer Teil unserer Kultur. Darum: Nicht abreißen! Nichts verdrängen! Nicht wieder alte und neue Gelder sinnlos verschwenden! Weiterbauen! Zumindest warten, nachdenken, bis auch diese Buße bezahlbar, weil solches Erinnern, sprich Spuren sichern und Spuren lesen, uns kostbar geworden ist.