Anfang der neunziger Jahre ging ein Aufatmen durch die bundesdeutsche Kulturszene. Eine schon damals als unübersichtlich gescholtene Förderpraxis von Kommunen, Ländern, Bundesregierung und Stiftungen wurde erstmals umfassend beleuchtet: Angela Birmes und Peter Vermeulen hatten ihr "Kursbuch Kulturförderung" - eine Art Ratgeber - auf den Markt gebracht. Ohne sich in kulturpolitischen Appellen oder kulturtheoretischen Abhandlungen zu verfangen, lieferte das Autorenteam notwendiges Handwerkszeug für Künstlerinnen und Künstler, Kulturpädagogik, Kulturveranstalter und Kulturmanagement. Die Publikation reagierte mustergültig auf ein seit fast zwei Jahrzehnten anhaltendes Wachstum der Kulturförderlandschaften und auf den damit einhergehenden Prozess ständiger Ausdifferenzierung von Programmen und Strukturen.
So vielgestaltig wie das Kunst- und Kulturgeschehen werden mit einer zeitlichen Verzögerung auch die Fördergegebenheiten ausfallen, ließe sich vor diesem Hintergrund unbedarft vermuten. Genauer betrachtet, manifestieren sich in den Verfahren der Kulturförderung jedoch kulturpolitische Absichten, manchmal auch nur Strategien einer Situationsbewältigung. Es gehört zum Dilemma bundesdeutscher Förderpraktiken im Kulturbereich, dass diese konzeptionell wenig erschlossen sind, dass selten Finanzierungs- und Förderkontexte betrachtet und im zeitlichen Verlauf kaum evaluiert, geschweige denn revidiert werden. Förderberichte, die - bezogen auf erklärte Intentionen - über Erfolg oder Misserfolg Auskunft geben, haben auf kommunaler, Länder- oder Bundesebene Seltenheitswert. So setzt sich in der Folge das Bild eines auf Addition beruhenden Fördermosaiks zusammen.
Die erste Konjunktur der bundesdeutschen Kulturförderung resultierte aus der sozialliberalen Aufbruchstimmung nach 1969. Hinter dem Anspruch, Kulturpolitik habe als Gesellschaftspolitik wesentlich zur gesellschaftlichen Demokratisierung beizutragen, formierten sich Anfang der siebziger Jahre gleich mehrere Vorhaben: Es galt, die Lebensqualität der Städte zurückzugewinnen, allen sozialen Schichten und allen Altersgruppen den Zugang zur Kultur zu ermöglichen, kulturelle Bildungsdefizite zu beheben, schließlich zur aktiven Teilhabe am Kulturleben zu animieren. Breit gefächert entfalteten sich entsprechende Förderprogramme. Ihr Markenzeichen wurde es, dass sie überwiegend jenseits der etablierten bürgerlichen Kultureinrichtungen Projekte der Soziokultur, der Film- und Medienarbeit, der Stadterneuerung, der Kulturpädagogik, der kulturellen Jugendbildung und der freien Kunst- und Kulturszene finanzierten. Die prosperierende Wirtschaftsentwicklung erlaubte es, die neuen Anliegen zu verwirklichen, ohne eine wirkliche Finanzierungskonkurrenz zum Bestand ausrufen zu müssen.
Auf ähnliche Weise reagierten Kulturförderungen auf das Erstarken von pluralen Lebensstilorientierungen, Selbstverwirklichungsmilieus, zivilgesellschaftlichen Bestrebungen und interkulturellen Lernerfahrungen. Begleitende kulturelle Äußerungen erfuhren ihre Unterstützung in zusätzlichen Förderprogrammen. Allerdings entwickelte sich mit der Wiedervereinigung und dem wirtschaftlichen Strukturwandel in den neunziger Jahren allmählich die Einsicht, dass der distributive Wohlfahrtsstaat wohl nicht alle kulturellen Artikulationen und Prozesse finanziell würde fördern können. Spätestens mit dem Hinzutreten kultureller Institutionen und kultureller Milieus aus der einstigen DDR stellten sich schwierige Entscheidungsfragen: Sollten Klubs und Kulturhäuser, Errungenschaften der kulturellen Massenarbeit oder Formationen zivilgesellschaftlicher Opposition, für die es keine bundesdeutschen Entsprechungen gab, weiterhin durch die Kulturpolitik gefördert werden ?
Eingedenk begrenzter materieller Ressourcen und einer begründeten Skepsis vor zu viel staatlicher Zuständigkeit neigt die Kulturförderung heute zur Berücksichtigung genehmer Trends. Die Kulturwirtschaft als Wachstumsbranche kennt den unternehmenden Geist und verlangt allenfalls nach Investitionshilfen. Die Erlebnisgesellschaft fordert leicht konsumierbare Kunst- und Kulturprodukte mit hohem Unterhaltungswert, zu deren Herstellung die einst missachtete Kulturindustrie eingeworben werden kann. Und im wirtschaftlichen Standortwettbewerb zwischen Kommunen stehen die Inszenierung und das Marketing einer Gemeinde obenan, wenn von Kultur geredet wird. Folglich appelliert die Kulturpolitik mit Überschwang an bürgerschaftliches Engagement, einsatzfreudige Sponsoren und risikobereite Kulturunternehmen. Mit dem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel geht auch ein gewandeltes Selbstverständnis kulturpolitischer Akteure einher: Es ist beliebt, Kulturförderungen in parlamentsferne Stiftungen einzubinden und diese operativ handeln zu lassen. Auch gerieren sich Kulturveranstaltungen nunmehr allzu gern als Kulturveranstaltungs-Agenturen, die ihre Partner nach Gusto und Auftragslage suchen. Und eine böse Vermutung wäre es, zu unterstellen, dass das Bemühen um Public-Private-Partnership in Kulturprojekten habitusformende Auswirkungen haben könnte. Die Bereitschaft zur Inszenierung, zum Design und zur Machtausübung, mithin der Hang zu einer Refeudalisierung des Kulturlebens können durchaus als Signaturen - nicht als einzige Wesensmerkmale - gegenwärtiger Kulturpolitik gewertet werden. Ob damit die Idee vom lebenswerten, demokratischen Gemeinwesen und einer möglichst breiten aktiven Teilhabe aller am Kulturgeschehen aufgebraucht ist, sei dahingestellt.
Doch es bleibt zu diagnostizieren, dass sich auch Kulturförderungen im neuen Gewand bestimmter Versäumnisse schuldig machen: Noch misslingt es meist, partnerschaftliche Absprachen zwischen Förderern und Geförderten auf der Basis von Kontrakten zu fixieren. Noch immer mangelt es an konzeptionellen Darlegungen zu Förderabsichten, -praktiken und -ergebnissen; eine Förderung in thematischen Mustern, die etablierte Kultureinrichtungen einbezieht, ist wenig erprobt. Noch immer fehlt es an Förderstrukturen, die den wirtschaftlichen Erfolg eines Kulturprodukts veranschlagen und nicht nur mit verlorenen Zuschüssen operieren. Noch ist die Bereitschaft der Förderer, mehrjährige Verbindungen mit den Geförderten einzugehen, zu gering ausgebildet. Noch fehlen adäquate Förderzusammenhänge für unsere längst interkulturelle Lebenswirklichkeit. Und dass die europäische Integration in der Kulturförderung nur äußerst schwerfällig erfasst wird, ist häufig genug beklagt worden.
Es lohnt also, weiter um die Kulturförderungen zu streiten - nicht nur wegen der Finanzausstattungen. Über ihren Wert allerdings entscheidet, dass nicht zuerst gefördert wird, was kleidet, sondern was es schwer hat.