Die meisten Unions-Landtagsabgeordneten machen in den Wahlkreisen Stimmung für den 51-Jährigen. Ein Kongress der Jungen Union (JU) bedenkt Schavan zwar mit freundlichem Beifall, enthusiastisch gefeiert aber wird deren Gegenspieler: "Oettinger for Ministerpräsident" steht auf einem Transparent, das dessen Fans auch bei den Rededuellen der Kontrahenten auf den sechs Regionalkonferenzen ausrollen. Sozialausschüsse, Kommunalverband, Wirtschaftsrat, mehrere CDU-Kreisvorstände: An Aufrufen pro Oettinger mangelt es nicht.
Der Freundeskreis der Ministerin indes hält sich offiziell zurück, über die Motive wird gerätselt. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Teufel und Partei-Generalsekretär Volker Kauder auf der Seite Schavans stehen und hinter den Kulissen Strippen ziehen. Vor allem der Noch-Regent in der Villa Reitzenstein, der von den Frondeuren des Fraktionschefs bei einer intrigranten Schlammschlacht zum Rücktritt getrieben wurde und dessen Staatsminister Christoph Palmer auf dem Höhepunkt des Grabenkriegs den Bundestagsabgeordneten und Oettinger-Freund Joachim Pfeiffer ohrfeigte, protegiert die Ministerin. Allein, der 65-Jährige, den mit der von einer katholisch-konservativen Intellektualität umwehten 49-Jährigen eine Seelenverwandtschaft verbindet, ergreift öffentlich nicht Partei, ja, er taucht nicht einmal bei den Regionalkongressen auf. So bleibt es bei indirekten Signalen: Teufel berief nach dem Rücktritt Palmers den bekennenden Schavan-Sympathisanten Ulrich Müller zum neuen Staatsminister -- den er als Umweltminister im Sommer entlassen hatte.
Die Befragung der 81.000 Mitglieder über die Kür des künftigen Ministerpräsidenten, deren Ergebnis am 2. Dezember verkündet wird, markiert für die Südwest-CDU Neuland. Ein Parteitag Mitte Dezember und die Wahl des neuen Regierungschefs durch die CDU/FDP-Mehrheit im Parlament nach dem Ausscheiden des Amtsinhabers im April vollziehen den Basisentscheid nur noch formell. Alles hängt also vom Mitgliedervotum ab, und dabei spielen die Rededuelle mit Oettinger und Schavan eine zentrale Rolle.
Aber sieht so ein harter Kampf um die Macht aus? Die stets lächelnden Matadore vermeiden tapfer jede Attacke auf den Konkurrenten, Oettinger spricht gar von einem "Freundschaftsspiel". Beim JU-Konvent konstatiert ein Delegierter, zwischen den beiden Aspiranten gebe es doch "vollkommende Übereinstimmung". In der Tat sind politische Differenzen nicht auszumachen.
Im badischen Rust nicken sich die beiden Gegner öfter zustimmend zu, wenn der andere am Mikrofon für eine Energieversorgung auch mit Atomkraft, für die Schonung der Polizei bei Stellenstreichungen, für die Förderung von Existenzgründungen, für Schuldenreduzierung, für Bürokratieabbau, für mehr Ganztagsbetreuung und für manches mehr plädiert. Der kämpferisch agierende Oettinger profiliert sich vor allem als Wirtschaftspolitiker und fordert längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, Schavan schwelgt ab und an im Grundsätzlichen, verlangt eine "Politik aus christlicher Verantwortung" und wettert gegen eine "Politik der Beliebigkeit". Pünktlich zum Start der Regionalkonferenzen verkündete die Ministerin ihre Forderung, in Moscheen müsse auf Deutsch gepredigt werden - ein beifallumrauschter Knüller im parteiinternen Wahlkampf.
Beim Umgarnen der jeweiligen regionalen Basis mit landsmannschaftlicher Folklore lassen sich die Kontrahenten nicht lumpen. In Rust trägt die Rheinländerin Schavan besonders dick auf: "Tiefe Wurzeln" hat sie in Südbaden geschlagen, in Freiburg hat sie ihre Doktorarbeit geschrieben, im Schwarzwald urlaubt sie, ja, selbst Wein hat sie am Oberrhein schon gekauft. Oettinger definiert sich als "Stuttgarter Schwabe", lobt aber Baden als Deutschlands "schönsten Garten", was bei Württemberg nur ein wenig der Fall sei.
Aber es wird auch mit Haken und Ösen gekämpft. Organisiert reisen Oettinger-Fans in Bussen zu den Regionalkonferenzen, um für ihr Idol zu powern: In Rust besetzen sie die erste Stuhlreihe und stehen nach Oettingers Rede beim Applaus auf, um das 1.000-köpfige Publikum mitzureißen - was jedoch misslingt. Ein Griff in untere Schubladen ist es dann, wenn ein CDU-Mitglied die Ministerin allen Ernstes fragt, warum sie keine Kinder habe. Der Fraktionsvorsitzende weist bei seinen Auftritten stets auf Ehe und Sohn hin: "Kinder zu haben ist die Logik des Lebens überhaupt", ruft er vor der JU aus. Ein böser Tiefschlag gegen Schavan dann bei der Regionalkonferenz in Tuttlingen: Ein Besucher unterstellt der Politikerin eine Neigung zu Homosexualität. Die weist diesen Angriff als "schäbig, absurd und Rufmord" zurück.
Andererseits lässt Schavan ein Faltblatt verteilen, in dem allerlei Unterstützer von einer Freiburger Diplombraumeisterin bis zu BDI-Präsident Michael Rogowski die Ministerin mit Lob überschütten, sie habe eine "enorme Ausstrahlung", "weibliches Einfühlungsvermögen", einen "nüchternen Blick", sei "liebenswürdig", eine "starke Frau". Peinlich nur, dass ein Renommier-Unternehmer wie Berthold Leibinger überhaupt nicht erbaut war, sich ohne sein Wissen auf dieser Liste wiederzufinden. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt sagte einen Schüler-Besuch in seiner Uhinger Firma ab, nachdem auch Schavan dabei publicityträchtig aufkreuzen wollte.
Nach einer Umfrage liegt in der Bevölkerung Oettinger knapp vor Schavan, hat bei den CDU-Wählern jedoch mit 47 zu 29 Prozent die Nase vorn. In Rust hält sich der Applaus für beide die Waage. In Heilbronn, so die Messung von Journalisten, rangiert Oettinger mit 110 Sekunden vor Schavan mit 50 Sekunden. Auch dieses Spiel gehört dazu.