Kritik an den Massenmedien gibt es seit deren Bestehen. Es wird pauschalisiert, polemisiert, aber auch zurecht gerückt: Wir verkommen alle, die Ethik in den Medien geht zum Teufel, das Niveau weicht der Quote. Aber was ist von den Medien und deren Machern überhaupt zu erwarten? Ist die Debatte moralisch überfrachtet? Und muss man Ethik nicht auch in der Ausbildung vermitteln, bevor man sie einfordern kann? Mit diesen Fragen setzte sich die zweitägige Fachtagung "Medienethik" in Leipzig auseinander, die von der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert worden war.
Helmut Thoma, Ex-Chef bei RTL, sagte, erlaubt sei, was Quote bringt. Nach diesem Grundsatz richteten sich die privaten Medien von Anfang an, aber auch die öffentlich-rechtlichen immer häufiger. Sendungen, die nicht genügend Zuschauer erreichen, werden aus dem Programm gestrichen. Casting- und Quiz-Shows, Schönheits-OPs, Semi-Promis auf der Alm oder im Dschungel laufen in der Flimmerkiste, solange es Leute gibt, die einschalten. Erlaubt ist alles. Doch der ethische Standpunkt fragt nicht nach der Erlaubnis. Er fragt danach, was gut und richtig ist. Darin unterscheidet sich die Medienethik vom Medienrecht.
Doch was sind überhaupt ethische Medien-Standards? Im Printbereich haben sich die Journalisten und Verleger schon 1973 auf einen Pressekodex geeinigt. In ihm schrieben sie fest - in einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung - wie sie ihre Berichterstattung betreiben wollen. Stichworte wie Achtung vor der Wahrheit, Menschenwürde, Verzicht auf unangemessen sensationelle Darstellung und redaktionelle Unabhängigkeit sind darin festgelegt.
Den Pressekodex kann man aber nicht ohne weiteres auf den Rundfunk übertragen, stellte Klaus Beck, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Greifswald, klar. Radio und Fernsehen unterliegen anderen Gesetzen, weil sie anders arbeiten. Eine Liveberichterstattung beispielsweise kann man nur schwer kontrollieren - eben, weil live gesendet wird. Zudem ist das Fernsehen stärker als der Print-Journalismus auf Bilder angewiesen. Mitunter würden da, so Beck, manipulierte Bilder, gestellte Bilder, alte Bilder verwendet werden. Der Zeitdruck, unter dem viele Journalisten arbeiten, tue sein übriges.
Doch Journalisten haben nicht nur Zeitdruck, sondern vor allem wirtschaftlichen Druck - das betonte Sven Gösmann, stellvertretender Chefredakteur der "Bild"-Zeitung. Für sein Blatt gelte das nicht: "Wir können es uns leisten, Anzeigen auch mal abzulehnen", sagte er. Viel schwieriger sei das bei kleinen Lokalzeitungen, so Gösmann. Dort könnten große Anzeigenkunden Druck auf die Redaktion ausüben. Die "Bild", das Blatt, das in den vergangenen Jahren am häufigsten wegen Verletzung des Pressekodex gerügt wurde, verteidigte er: "Sie würden staunen, wie viele Bilder wir nicht veröffentlicht haben."
Weil der Redaktionsalltag es den Journalisten also schwer macht - aufgrund des Zeitdrucks, der immer schneller einsetzbaren Technik, dem Konkurrenzdruck und dem wirtschaftlichen und redaktionellen Druck, mit immer weniger Leuten noch mehr zu produzieren - forderte Beck neue Qualitätsstandards für den Rundfunkbereich. "Es gibt viele rundfunkethische Richtlinien, doch die sind zu abstrakt", sagte der Wissenschaftler, der sich aktuell mit diesem Thema beschäftigt. Um die Situation zu verbessern, müsse man den Journalisten im Alltag helfen: mit Ansprechpartnern, die im Zweifelsfall beraten und einem Qualitätsmanagement in der Redaktion.
Am wichtigsten sei es aber, dass die Medienmacher selbst ihre Arbeit überprüfen. "Ich habe die idealistische Idee von der Selbstregulierung", sagte Beck. Von starren Reglements hält er nicht viel - eher schon von informellen Gesprächen mit Kollegen oder Experten. Ähnlich sieht das auch Matthias Viertel, Direktor der evangelischen Akademie Hofgeismar: "Es gibt eine Sehnsucht nach Tabellen, nach abfragbarem Wissen. Doch damit werden wir im ethischen Bereich nichts erreichen", so Viertel, der auch journalistisch arbeitet. Nach seinem Willen sollen die Medienmacher selbst von Fall zu Fall prüfen, was sie senden oder schreiben wollen, und was nicht.
Der Journalist ist also in der Pflicht. Und ein gewisses Berufsethos gibt es natürlich schon lange - beim einen mehr, beim anderen weniger. Daran solle man sich doch orientieren, schlägt Ernst Elitz, Intendant des DeutschlandRadios und Deutschlandfunks vor. Nur Fakten berichten, die Vielfalt der Meinungen darstellen, keine Unterhaltung unter der Gürtellinie liefern und keinen "Schlüsselloch-Journalismus" betreiben, das seien einige der Richtlinien. Außerdem soll man "dem Publikum in Geschmacklosigkeit nicht noch voraus sein", so sein Appell.
Doch werden diese Standards in der Ausbildung auch vermittelt? Formell jedenfalls nicht. "Das DeutschlandRadio hat seine Kriterien nie aufgeschrieben", musste Elitz bekennen. Kollegin Ingrid Kolb, die seit 1995 die Henri-Nannen-Journalistenschule leitet, setzt auf die Praxis: "Die ständige Diskussion ist wichtiger als einzelne Unterrichtseinheiten", sagte sie. Auch an ihrer Schule wird Medienethik als eigenständiges Fach nicht gelehrt. In Hamburg lernt der journalistische Nachwuchs aber von Profis, die ihren Beruf auch als gesellschaftliche Aufgabe sehen. Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der "Süddeutschen Zeitung", hält dort Seminare - der im letzten Jahr verstorbene Herbert Riehl-Heyse tat das auch. "Was das Publikum wollte, interessierte ihn nicht", sagt Kolb über Riehl-Heyse. Rückgrat habe er den Schülern vermittelt. Von solchen Vorbildern lerne man besser, als durch graue Theorie.
Doch was Kolb von ihren Schülern aus der Praxis hört, schockiert selbst die erfahrene Journalistin. Gegen eine anders denkende Mehrheit kann sich auch der bestgeschulte Nachwuchs nicht durchsetzen. Kolb: "Wenn die Medien insgesamt ihre Prinzipien aufgeben, ist der Einzelne mit seinem Ethos am Ende."