Das Parlament: Seit Beginn der AIDS-Epidemie vor 20 Jahren haben sich in Deutschland ungefähr 67.000 Menschen mit dem Virus angesteckt; jährlich kommen ungefähr 2.000 Neuinfektionen hinzu. Wie erklären Sie sich diese niedrigen Zahlen im Vergleich zu globalen Werten von 40 Millionen infizierten Menschen?
Conny Mayer: In Deutschland wurde, insbesondere in den 80er-Jahren, als die Krankheit entdeckt wurde, sehr viel für Prävention getan. Das Bewusstsein ist deshalb bei uns glücklicherweise höher als in anderen Ländern der Erde.
Das Parlament: Worauf lässt sich der in den letzten Jahren beobachtete sorglosere Umgang Jugendlicher mit dem Thema AIDS zurückführen?
Conny Mayer: Es liegt sicher am Rückgang der Prävention und am Rückgang der gesellschaftlichen Diskussion über HIV/AIDS. In den 80er-Jahren wurde an den Schulen sehr intensiv diskutiert. Ein Trend, der nachlässt und dazu führt, dass Jugendliche nicht mehr so sensibilisiert sind, wie in den 80er-Jahren oder auch noch zu Beginn der 90er-Jahre. Ein zweiter wichtiger Grund ist, dass mittlerweile lebensverlängernde Medikamente existieren. Das erweckt vielleicht bei manchen Menschen den Anschein, HIV/AIDS sei eine Krankheit, die heilbar ist.
Das Parlament: Migranten aus Regionen mit einer sehr hohen AIDS-Quote wie in Südostasien aber auch Osteuropa bilden die zweitgrößte Gruppe der HIV-Infizierten in der Bundesrepublik. Müssen die Beratungsangebote für diese Zielgruppe nicht ausgebaut werden, und wie realistisch ist das angesichts sinkender staatlicher Zuschüsse für solche Angebote?
Conny Mayer: Wichtig ist, die Präventionsbemühungen, die Aufklärungsbemühungen aber auch die Betreuungsangebote bereits infizierter Menschen so aufrecht zu erhalten, wie das im Moment der Fall ist. Das ist angesichts leerer Kassen bei Bund, Ländern und Kommunen nicht ganz einfach. Aber ich werbe sehr dafür, insbesondere in den Vorsorgemaßnahmen nicht nachzulassen, gerade im Bereich der angesprochenen Zielgruppe.
Das Parlament: Wo sehen Sie die Schwerpunkte einer auch künftig erfolgreichen Präventionspolitik?
Conny Mayer: Ein Schwerpunkt muss die gezielte Information junger Menschen sein. Zweitens sollte mehr in die Aufklärung der großen Gruppe von Migrantinnen und Migranten investiert werden, die aus Ländern mit einer sehr hohen HIV-Quote zu uns kommen. Drittens muss aber auch eine gesellschaftliche Debatte über HIV/AIDS und die Folgen stattfinden. HIV/AIDS darf nicht stigmatisiert werden.
Das Parlament: Vom Nationalen AIDS-Beirat wird gefordert, die Prävention in Deutschland als Teil der Bekämpfung der globalen Epidemie anzuerkennen und entsprechend auch außerhalb der Landesgrenzen zu agieren. Welche Überlegungen und Strategien gibt es hierzu derzeit von politischer Seite?
Conny Mayer: HIV/AIDS muss einen noch größeren Stellenwert in der Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Wichtig ist, wenn man das Thema politisch betrachtet, die unterschiedlichen Bereiche besser zu bündeln. HIV/AIDS ist ein Thema in der Forschung in Deutschland, in der Entwicklungspolitik, im Gesundheitsbereich. All diese Anstrengungen müssen stärker koordiniert werden. Das gilt ganz besonders für die Ministerien in Berlin. Ein zweiter Punkt ist: Es gibt im Bereich HIV/AIDS eine sehr engagierte Szene aus Nicht-Regierungs-Organisationen, deren Empfehlungen wir politisch noch stärker aufgreifen und einbinden müssen.
Das Parlament: Gibt es für eine solche Bündelung derzeit konkrete Pläne?
Conny Mayer: Es gibt leider noch keine konkreten Pläne auf Seiten der Bundesregierung. Ich fordere, dass wir eine Art "Task-Force" zur Bekämpfung von HIV/AIDS einrichten, um die unterschiedlichen Ministerien stärker miteinander koordinieren zu können. Nehmen sie das Beispiel Osteuropa. Die Problematik, dass Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen und hier dazu beitragen, dass unsere Prävalenz höher wird, ist ja da. Für Osteuropa und HIV/AIDS ist aber de facto keines der beschriebenen Ministerien zuständig. Das können wir uns nicht leisten - wir müssen uns dieses Themas annehmen!