Ob die 41-Jährige nach dem Absturz ihrer Partei auf ein historisches Tief die Bewährungsprobe besteht und sich selbst wie der SPD landespolitisch Profil und Durchschlagskraft zu verschaffen vermag, dürfte auch langfristig in Schwaben und Baden zu den spannendsten Themen gehören. Vogt selbst sagt, es sei noch keine Entscheidung über die Spitzenkandidatur in fünf Jahren getroffen: "Wir haben jetzt andere Sorgen, als uns um die Wahl 2011 zu kümmern."
Nach der schwierigen Klärung der Führungsfrage bei der SPD wird das Interesse an Vogt fürs erste aber wohl spürbar abnehmen. Stattdessen ist die Bühne in Stuttgart und auch in Berlin nun frei für Günther Oettinger, der bei den Stimmprozenten mit Erwin Teufel gleichzog und endgültig aus dem Schatten des Vorgängers getreten ist. Der 52-Jährige, dessen CDU nur knapp an der absoluten Mandatsmehrheit vorbeischrammte, kann jetzt mit eigener Autorität seine Kreise ziehen. Triumphgesten vermeidet Oettinger, doch wer hören will, spürt das gewachsene Selbstbewusstsein: Höflich bedankt er sich bei Kanzlerin Angela Merkel für den "leisen Rückenwind aus Berlin". Mehr nicht, und das darf so interpretiert werden: Ich, Günther Oettinger, habe die Wahl gewonnen, niemand sonst. Fortan kann der Schwabe auf gleicher Augenhöhe mit Roland Koch und Christian Wulff agieren. Den Bundesrat wird Oettinger indes nur begrenzt als Forum für seine Ambitionen nutzen können: In der Länderkammer wird der Koalitionspartner ein Wörtchen mitreden wollen.
Am Neckar stellen sich Oettinger keine Hindernisse in den Weg, nüchtern spricht er von einem "klaren Auftrag zum Regieren". Im Hochgefühl gerät in Vergessenheit, dass die CDU im Vergleich zu 2001 über 250.000 Stimmen eingebüßt hat: Bei näherem Hinsehen ist der Sieg so berauschend gar nicht. Gleichwohl kann der Ministerpräsident die Verhandlungen mit der FDP gelassen angehen, die sachpolitisch schon bis Ostern abgeschlossen sein sollen. Spektakuläres ist nicht zu erwarten, zumal beide Parteien seit jeher geräuschlos kooperieren. Interessant dürfte vor allem sein, wie Oettinger den Schuldenberg von 42 Milliarden Euro abbauen will, um 2011 erstmals ohne neue Kredite auszukommen. Die Etatkonsolidierung steht auch bei den Liberalen ganz oben an. Offen ist, wie Oettinger sein bislang vages Konzept zum Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen, mit dem er im Wahlkampf der SPD viel Wind aus den Segeln nahm, in die Praxis umsetzen will.
An einer Neuauflage des schwarz-gelben Bündnisses kann es kaum Zweifel geben: Die FDP sei "erste Option", betonte Oettinger gleich mehrfach in der Woche nach dem Urnengang, auch wenn es "keinen Automatismus" gebe. Die Unterredungen der CDU mit der Öko-Partei - bei schwarzem und grünem Tee - sind wohl nur als Drohkulisse gegenüber den Liberalen gedacht, um sie bei den Koalitionsverhandlungen zu domestizieren. Deren Vorsitzende Birgit Homburger sieht bei Oettinger denn auch den "durchsichtigen Versuch, die FDP unter Druck zu setzen". Immerhin spricht der Grüne Winfried Kretschmann von "ernsthaften und konstruktiven Gesprächen". Oettinger attestiert freundlich, zwischen Öko-Partei und Union existierten "Schnittmengen und Unterschiede".
Eine schlagkräftige Opposition wird Oettinger zum Start eher nicht in die Quere kommen. Mit 25 Prozent im Rücken dürfte eine geschwächte Ute Vogt kaum auftrumpfen können, zumal sie bei der Kür zur Vorsitzenden der 38-köpfigen Fraktion elf Gegenstimmen und drei Enthaltungen kassierte, eine neuerliche Hypothek. Diplomatisch spricht die angespannt wirkende Vogt nach ihrer Wahl von einem "ehrlichen Ergebnis", von nun an zähle, "was die Mehrheit entschieden hat".
Noch hat niemand in der SPD eine Erklärung für das Desaster am 26. März parat. Mehr als Feststellungen wie "schwer erwischt" (Vogt), "Wir haben wenig eigene Stärke" (der Abgeordnete Nils Schmid) oder "Wir haben ein Mobilisierungsproblem" (Ex-Fraktionschef Wolfgang Drexler) sind bislang nicht zu vernehmen. Im Wahlkampf vermochte Vogt, deren Angriffe gegen Oettingers Politikstil ins Leere liefen, keine Wechselstimmung zu erzeugen. Die Frage nach dem spezifisch Sozialdemokratischen als Alternative zur CDU blieb unbeantwortet.
Platzecks Kommentar, die Partei sei im Südwesten "strukturell nicht gut aufgestellt", klingt fast beschönigend. Die SPD ist ja nicht nur um acht Prozentpunkte auf 25,2 Prozent abgestürzt. Die Partei hat ein Drittel ihrer Wähler verloren: Statt 1,5 Millionen im Jahr 2001 machten nur noch eine Million Bürger ihr Kreuz bei der SPD - selbst 1996 (25,1 Prozent) waren es deutlich mehr. Viele Anhänger flüchteten in die Stimmenthaltung oder zur WASG. In Biberach, Freiburg-Ost und Tübingen zogen die Grünen an der SPD vorbei, in Freudenstadt landete man hinter der FDP auf Platz drei. Dass Vogt trotz ihrer schockierenden Niederlage nun sowohl Partei- wie Fraktionsvorsitzende ist, hat auch viel mit der dünnen Personaldecke und fehlenden Alternativen in der SPD zu tun.
Hoffnungsfroher können FDP und Grüne in die Zukunft schauen. Freudig erwähnt Justizminister Goll, dass die Liberalen "den größten Erfolg seit 1968 erzielt haben". Anders als bei der CDU ist das FDP-Personaltableau für die künftige Regierung schon sicher: Goll und Wirtschaftsminister Ernst Pfister sollen ihre Ämter weiter ausüben. Wenig spricht dafür, dass die FDP trotz ihres gewachsenen Gewichts mehr Einfluss in der Koalition erlangen kann.
Entgegen allen Spekulationen über Schwarz-Grün im Vorfeld des Urnengangs dürften die erstarkten Grünen auch dieses Mal vor den Toren der Macht bleiben: Allein schon die Atomenergie treibt einen tiefen Keil zwischen CDU und Grünen. Wollen täten so manche der eher konservativen Grünen im Südwesten ja schon gern. Die jetzigen Kontakte seien "nicht nur Höflichkeitsgespräche", sagt der Landesvorsitzende Andreas Braun. Als neuer Landtagsabgeordneter feiert der wirtschaftsliberale Oswald Metzger ein Comeback, ein eifriger Befürworter solcher Koalitionen. Die Unterredungen mit Oettinger verstehen die Grünen als Aufwertung und als Signal über die Landesgrenzen hinaus. CDU-Agrarminister Peter Hauk souffliert, die Grünen hätten eine "erstaunliche Wandlung" vollzogen. Mit ihrer Öffnung hin zur Union zielen die "Ländle"-Grünen auf Richtung Berlin. Man wolle sich "massiv in die Bundespolitik einmischen", kündigt Kretschmann an.