Plötzlich war mir viel wichtiger, wie all die anderen zu sein", erinnert sie sich, "und all die anderen hatten schließlich auch ein Handy, tolle Klamotten und keine Milch in der Hand, wenn es in die Pause ging." Das Handy verschafften ihr ihre Eltern und klugerweise auch eine Guthabenkarte (Prepaid), die immer erst im nächsten Monat ersetzt wurde.
Mit den Klamotten und erst recht mit den Knabbereien und den Softdrinks gestaltete sich das Mithalten schwieriger - die kaufte ihr, jedenfalls in dem gewünschten Umfang, nämlich niemand. Vera begann sich Geld zu leihen, erst bei ihrer besten Freundin, dann bei ihrem großen Bruder. Schließlich pumpte sie ihre Oma an, von der sie dachte, dass die es mit der Tilgung vielleicht nicht so genau nähme - was sich leider als Irrtum herausstellte.
Jetzt ist Vera 16 und hat 300 Euro Schulden; nicht die Welt, aber doch viel mehr, als sie die nächsten Jahre zurückzahlen können wird. Ihr Minijob in einem Blumenladen wirft zwanzig Euro in der Woche ab. Die benötigt sie dringend, um im Vergleich mit ihren Mitschülern nicht gnadenlos zurückzufallen. Bis zum Abitur werden noch mehr als drei Jahre vergehen; dass sie danach neben der Universität zu überschüssigem Geld kommt, ist zumindest unsicher. Die große Einnahmequelle Jugendweihe liegt dummerweise auch schon hinter ihr. So bleibt ihr zurzeit nur das Warten auf den nächsten Geburtstag, um wieder von ein paar Euro Schulden herunterzukommen. Aber wenn sie ehrlich ist, ist auch das nicht sonderlich realistisch: Auch das Geld ist bereits verplant.
Spätestens seit der Erfindung der Mobiltelefone samt ihrer unwiderstehlichen Zusatzfunktionen SMS-Schreiben und Klingeltöne-Downloaden ist Verschuldung unter Jugendlichen ein reales, aber auch ein Modethema geworden. In jedem Jahr schlagen das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas oder die Arbeiterwohlfahrt Alarm, weil in ihren Beratungsstellen immer häufiger Minderjährige mit ungeöffneten Briefumschlägen voller zu Recht vermuteter Rechnungen auftauchen.
Wer schon mit 16 verschuldet ist, dem kann schließlich mit 18 viel Schlimmeres blühen. Mit Erreichen der Volljährigkeit verführen nicht mehr nur Downloads, Hotlines und bunte Bonmots, sondern auch das eigene Konto zum Dauershopping. Immer noch gewähren viele Banken bereits 18-Jährigen großzügig einen Überziehungskredit - reagieren dann aber schnell sehr zickig, wenn das Geld nicht, samt Zins und Zinseszins, zurückgezahlt wird. Im schlimmsten Fall droht dann schon Jugendlichen ein Eintrag bei der Schufa, bei der bundesweit alle Kredite verzeichnet werden. Und mit negativem Schufa-Eintrag, das weiß jeder, der es je versucht hat, gibt es nie einen Mietvertrag. Und auch selten eine Lehrstelle.
Darüber, wie ernst es statistisch um die Verschuldung von Jugendlichen bestellt ist, gehen die Meinungen auseinander. Die Schufa veröffentlichte soeben eine repräsentative Untersuchung, die sie selbst wenig alarmierend fand: "Nur sehr wenige Kinder und Jugendliche geraten in die Nähe gefährlicher Überschuldung", sagte der Schufa-Vorsitzende Rainer Neumann bei der Veröffentlichung der Studie "Jugend und Geld 2005" in Berlin. "In der Regel" gehe der Nachwuchs sehr verantwortungsvoll mit Geld um.
Die Zahlen, die eine Befragung von 1.000 Kindern und ihren Eltern zutage fördert, bieten allerdings Raum zur Interpretation: Sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren haben Schulden, und zwar statistische 72 Euro. 0,4 Prozent stehen mit 100 bis 950 Euro in der Kreide. Ein Ergebnis, das die Auftraggeber als "ganz normal auf dem Weg zum marktkonformen Konsumenten" nannte - und die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) als "alarmierend" bezeichnete. Die Ministerin rechnete nämlich offenbar nicht mit "nur" sechs Prozent Schuldenmachern, sondern mit der Gesamtzahl der Betroffenen: Auf die Bevölkerung hoch gerechnet haben etwa 380.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland Schulden. Von der Leyen appellierte an Eltern wie Schulen, sich stärker der Vermittlung von Finanzkompetenz zu widmen: "Es gibt keinen Anlass, sich zufrieden zurückzulehnen."
Das wäre allerdings angesichts der Schuldensituation der Allgemeinheit ohnehin absurd: Geschätzte fünf Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet, geben also in jedem Monat mehr aus, als sie haben. Hochburgen sind Berlin und das Ruhrgebiet. Dort hat fast jeder zweite Rechnungen offen. Und wenn man den Jugendbegriff, wie gemeinhin üblich, ein bisschen weiter fasst als bis zum 18. Geburtstag sieht die Lage schon ganz anders aus: Unter den 13- bis 24-Jährigen sind nach Erkenntnissen des Bundesverbandes Deutscher Inkassounternehmen schon zwölf Prozent überschuldet. Kritiker wie die Verbraucherzentralen werfen der Schufa nun Verharmlosung, aber auch Voreingenommenheit vor - unterstützt wurde die Erhebung nämlich vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) und dem Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM); beides Verbände, die heftig dafür werben, dass mit dem neuen Telekommunikationsgesetz keine Einschränkungen für die Handynutzung von Minderjährigen eingeführt werden. Da passt es zumindest nicht schlecht, wenn ein Zahlenwerk zu dem Schluss kommt, dass nicht das Handy, sondern Fast Food die Hauptschuldenquelle für Jugendliche ist. Wobei man bei genauerem Hinsehen sagen muss, dass nicht nur die Verwendung von Prepaid-Karten inzwischen Konsens in Elternhäusern ist, sondern auch, dass letztere statistisch die Hälfte der Telefonkosten übernehmen.
Dass jeder Zehn- bis 17-Jährige 47 Euro im Monat flüssig hat, ist schon nicht nichts. Insgesamt aber meldete die "KidsVerbraucherAnalyse" im vergangenen Jahr zum wiederholten Male einen neuen Rekord: Sechs Milliarden Euro stehen den sechs Millionen Sechs- bis 13-Jährigen zur Verfügung - und das sind, Rezession hin oder her, gut 17 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Jugendliche unter 19 Jahren verfügen sogar über eine Kaufkraft von 20 Milliarden Euro - in Form von Taschengeld, viel häufiger aber als Weihnachts- oder Geburtstagsgeld.
Kein Wunder also, dass Minderjährige nicht nur schützenswerte Neukonsumenten sind, sondern auch eine wunderbare Zielgruppe für einen immensen Werbemarkt: Wesentlich häufiger als Schuldenstände werden Kaufkraftanalysen von Jugendlichen veröffentlicht - von Marktforschern, die Jugendliche immer nur "Kids" nennen und auf der Suche nach immer neuen Marktlücken und Verführmethoden sind. Die jedes Jahr viel beachtete "KidsVerbraucherAnalyse" zum Beispiel, veröffentlicht vom Egmont Ehapa-Verlag, der jede Menge Kinder- und Jugendzeitschriften auf den Markt wirft, hat vor allem den Zweck Anzeigenplätze zu verkaufen - und redet nicht lange darum herum, was für eine wunderbare Zielgruppe sie bedienen: "Kids haben ein "ausgeprägtes Markenbewusstsein", heißt es da, das sie - ganz wichtig! - auch bei ihren Eltern durchsetzen könnten. Und: "Kids essen und trinken nur, was ihnen schmeckt und tragen, was ihnen gefällt." Zudem ist der Werbebranche längst geglückt, dass bis zu 70 Prozent der Kids sofort "Magnum" sagen, wenn sie nach Eis gefragt werden und "Nutella", wenn jemand "Nusscreme" meint. Das ist ein Traum für jeden Unternehmensstrategen - und unter Jugendlichen mit ihrem ausgeprägten Trend- und Konformitätsbewusstsein ein leicht zu erfüllender.
Was für die einen ein gefährdeter Minderjähriger mit Schulden ist, ist für die anderen eben ein erfahrener Marktkenner mit enormer Finanzkraft.