Kaum ein Thema aus dem parlamentarischen Betrieb eignet sich besser für heftige Auseinandersetzungen, gern auch mal unter der Gürtellinie: Wann immer es um die Fragen der Abgeordnetendiäten geht, ist Zoff programmiert. Doch das mediale Gewitter, das auf den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) einprasselte, nachdem er in der vergangenen Woche in mehreren Interviews über seine Gedanken hinsichtlich möglicher Diätenerhöhungen gesprochen hatte, überraschte dennoch in seiner Heftigkeit. Von Luxus-Pensionen war da ebenso die Rede wie von "überzogenen Privilegien" und "himmelschreiender Überversorgung" - bis sich der Ältestenrat des Bundestags dazu gezwungen sah, die Angriffe gegen Lammert als "verletzend" und "sachlich unbegründet" zurückzuweisen.
In der aufgeplusterten Empörung ging fast unter, was Lammert tatsächlich anregt: Der Bundestagspräsident schlägt vor, die Abgeordnetenbezüge in dieser Legislaturperiode allenfalls in der Höhe der allgemeinen Einkommensentwicklung anzuheben. Die Diäten sollen danach an die "von den statistischen Ämtern gemessenen durchschnittlichen Einkommen der Erwerbstätigen" angepasst werden. Das würde eine geringe Erhöhung der Diäten bedeuten. Mittlerweile seien die Abgeordnetenbezüge von der im Gesetz vorgesehenen Orientierung an den Bezügen von Richtern an oberen Bundesgerichten abgekoppelt.
Im Klartext heißt das: Obwohl die Diäten um mehr als zehn Prozent höher sein könnten, als sie tatsächlich sind, sollen die Abgeordneten diese "faktische Absenkung" nach Lammerts Vorstellungen "hinnehmen". Eine Korrektur auf die Größenordnung, die das Gesetz vorsieht, lehnt er ab - es dürfe aber auch nicht sein, dass "die Diskrepanz gegenüber dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen" und dem, was die Abgeordneten tatsächlich bekommen, "durch weitere vier Jahre immer noch größer wird". Der Bundestag habe die Abgeordnetenbezüge drei Jahre in Folge nicht angepasst - damit stehe die Praxis "in genauem Widerspruch zur öffentlichen Vermutung". Eine Reform der Altersversorgung ist, so Lammert, für den Beginn der nächsten Legislaturperiode möglich und "wünschenswert". Der Bundestagspräsident spricht sich dafür aus, die Regelungen der Alterssicherung für Abgeordnete "neu zu justieren" - dafür stünden mehrere Modelle zur Diskussion. Das so genannte Düsseldorfer Modell, bei dem die Abgeordnetenbezüge zwar deutlich erhöht wurden, nun aber auch voll versteuert werden und die Parlamentarier sich selbst um ihre Altersbezüge kümmern müssen, lehnt Lammert ab. Bei einem Spitzengespräch mit allen Fraktionen in der vergangenen Woche sei er zu dem Eindruck gekommen, es gebe zwar den Wunsch, zu einer Lösung zu finden, aber auch unterschiedliche Vorstellungen in den Parteien.
Dissens gibt es auch innerhalb der Fraktionen: Während Unionsfraktionschef Volker Kauder eine Reform der Altersversorgung ablehnt und sich für eine Versorgung ausspricht, die "der Bedeutung des Amtes und des Parlamentarismus" Rechnung trägt, verärgerte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger seine Parteispitze mit dem Vorschlag eines Stufenmodells. Danach sollten die Diäten um zehn Prozent steigen und die Pensionen gleichzeitig um zehn Prozent sinken. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD Olaf Scholz lehnt eine Erhöhung der Diäten derzeit ab: Es sei "politisch unklug", die Diäten zu erhöhen, ohne gleichzeitig das System der Altersversorgung neu zu regeln.
Die Liberalen favorisieren den Aufbau eines Selbstversorgungssystems. Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) plädierte dafür, dass sich die Abgeordneten künftig selbst um ihre Altersversorgung kümmern. Die Linksfraktion dagegen will "die Privilegien der Abgeordneten" abbauen. Sie sollten entweder in die gesetzliche Rentenversicherung oder in ein Versorgungswerk einzahlen. Auch die Grünen sind für eine Diätenreform - und halten Lammerts Vorschläge für "diskussionswürdig".