Elf Monate und elf Tage, von 1955 bis 1956, war der Tunnel in Gebrauch. Das Unternehmen hat 6 Millionen Dollar gekostet. Über drei angezapfte Leitungen konnten die Lauscher insgesamt 443.000 telegrafische und telefonische Verbindungen auf Tonbändern aufzeichnen, das ergab insgesamt 50.000 Magnetspulen. Eine Aktion, die zu Recht als eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen der Nachkriegsgeschichte gilt. Mit besonderem Zündstoff: Der sowjetische Geheimdienst KGB wusste von Anfang an vom Bau des Tunnels. Der britische Doppelagent George Blake hatte alles an die Sowjets verraten. Doch die unternahmen nichts. Sie wollten nicht Gefahr laufen, dass ihr wichtigster Agent auffliegt. So nahmen sie in Kauf, abgehört zu werden.
Die Vorgeschichte des Berliner Spionagetunnels begann in Wien, wo der britische Secret Intelligence Service (SIS) das sowjetische Fernmeldenetz erfolgreich angezapft hatte. Auch in Berlin wollte man die Telefonkabel, die das Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland mit Moskau verbanden, abhören. Wie in CIA-Berichten nachzulesen ist, waren die Sowjets 1951 dazu übergegangen, nahezu alle militärischen Nachrichtenverbindungen von drahtloser Kommunikation auf verschlüsselte Landleitungen umzustellen. Das war die Geburtsstunde des britisch-amerikanischen Tunnelbaus, genannt: Operation Gold/ Stopwatch.
Zur Lokalisierung der sowjetisch genutzten Telefonleitungen bedienten sich die Geheimdienstexperten einer Karte der Berliner Post aus dem Jahre 1938. Für den Bau des Tunnels wählten sie ein Gelände an der Schönefelder Chaussee im Ostteil der Stadt. Es wurde eine etwa 450 Meter lange Röhre mit einem Durchmesser von 1,90 Meter von Rudow (Neukölln) im amerikanischen Sektor nach Altglienicke (Treptow) im sowjetischen Sektor gegraben. Zur Tarnung der Arbeiten hatten die Amerikaner eine Radarstation auf westlicher Seite errichtet.
Die Informationen aus dem Tunnel waren wie ein Puzzle. Immerhin erfuhr der Westen, dass die DDR offiziell eine eigene Armee aufbauen wollte, was mit der Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) am 1. März 1956 schließlich auch geschah. Und sie hörten mittels der angezapften, oftmals privaten Telefonate zwischen Ost-Berlin und Moskau von der Geheimrede Chruschtschows. Viele in Ostdeutschland stationierte Militärs waren auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 in Moskau dabei, als Chruschtschow mit Stalins Politik abrechnete und Reformen forderte. Die Rede war so spektakulär und für das eigene Regime brisant, dass sie in der Sowjetunion erst 1989 veröffentlicht wurde.
Die eifrigen Ohrenzeugen von SIS und CIA erfuhren überdies von technischen Defekten der in der DDR stationierten T-52-Panzer der Roten Armee, konnten Einzelheiten über die Organisation des Generalstabes der sowjetischen Streitkräfte und die Operationen ihrer Agenten in Erfahrung bringen und sogar Material über sowjetische Abhöraktionen sammeln, inklusive des Hinweises, dass der KGB eine amerikanische Leitung in Potsdam abhörte. Im Kalten Krieg waren das kostbare Informationen.
Doch in den frühen Morgenstunden des 22. April 1956 war die Lauscherei vorbei. Auf der Suche nach einem defekten Telefonkabel entdeckten sowjetische Fernmeldetechniker den Tunnel. Was sie fanden, sah aus - so kommentierte die "New York Times" - "wie das Fernmeldezentrum eines Kriegsschiffes". Durch versteckte Mikrofone konnten CIA und SIS Gesprächsfetzen der Fernmeldetechniker mithören. "Ist ja fantastisch!", riefen die Techniker begeistert angesichts der imposanten Abhörtechnik, die sich ihnen im Tunnel offenbarte. Ein Ausspruch, der der neuen Ausstellung im Alliierten-Museum seinen Namen gab. Die westlichen Geheimdienstexperten horchten angestrengt und irritiert: War die Entdeckung Verrat oder Zufall? Der Westen war ratlos. Die Geheimdienste tappten im Dunkeln.
Die Sowjets begannen nun nach der "offiziellen" Entdeckung eine Propagandaschlacht gegen den Wes-ten. Sie luden nach Karlshorst zur Pressekonferenz. Der damals 28-jährige Fotograf Heinz Junge erinnert sich, wie ihn ein sowjetischer Hauptmann fragte: "Hast du Blitzflash? Hast du alles für Fotos über und unter der Erde?" Daraufhin fuhr der Offizier mit Junge zum Tunnel. Junge fotografierte nach seinen Anweisungen. "Es war drinnen dunkel", erinnert sich Junge noch heute, "und als der Hauptmann eine schwere Eisentür öffnete, blendete grelles Neonlicht."
Im Westen zollte man der eindrucksvollen Operation des amerikanischen und britischen Geheimdienstes Respekt; bis mit Hilfe eines polnischen Überläufers 1961 der SIS-Mitarbeiter George Blake als sowje-tischer Doppelagent enttarnt werden konnte. Jener, der die Tunnelpläne dem KGB schon verraten hatte, als diese noch in der Planung waren. Hatten die geheimen Lauscher also nur tonnenweise Geschwätz abgehört? Oder sorgfältig präparierte Falschmeldungen? Blake, der 1961 in London zu 42 Jahren Haft verurteilt worden war und seit seiner Flucht 1966 aus dem Londoner Gefängnis in Moskau lebt, ist sich sicher, "dass 99,9 Prozent der Informationen (dennoch)… echt waren". Der KGB schützte seinen Agenten, dem er den vielsagenden Decknamen "Diomid" (Diamant) gegeben hatte, auch nach seiner Flucht in die Sowjetunion. Nach der Entdeckung des Tunnels durch die sowjetischen Fernmeldetechniker mischte die DDR in der Propagandaschlacht mit. Sie ließ den Bauern Paul Noack zetern: "Jetzt wird mir vieles klar über das schändliche Treiben der Amerikaner vor zwei Jahren, als sie angeblich eine Radarstation bauten… Ahnungslos bestellte ich mein Feld, während unser aller Sicherheit durch das schändliche Vorgehen bedroht wurde." Grund zur Klage hatte Noack in der Tat: Ihm waren die Bäume auf dem Feld vertrocknet, die er über dem Tunnel angepflanzt hatte.
Die DDR fühlte sich jedoch nicht zuständig für eine Entschädigung. Sie bot ihm an: "Wenn Sie gegen den Senat (von Berlin, d. Red.) klagen, zahlen wir die Wiederaufforstung als Vorfinanzierung der Entschädigungssumme", erinnert sich Dagmar Feick, Noacks Tochter. Noack klagte, unterstützt von dem auf solche Fälle spezialisierten Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul. Dieser war als Jurist häufig im Auftrag der DDR-Regierung vor West-Berliner Gerichten tätig. Einen juristischen Sieg konnte er in diesem Fall - ähnlich wie in anderen Prozessen - nicht erringen.
Das Schicksal des Tunnels geriet vier Jahrzehnte in Vergessenheit. Bis im Jahre 1997 zwei ehemalige Spione, der Russe Sergej Kondraschow und der Amerikaner David Murphy, auf einer Pressekonferenz ihr gemeinsames Buch "Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin" vor einem bei Bauarbeiten gefundenen, sieben Meter langen Tunnelsegment vorstellten.
Dieser damals gefundene Tunnelabschnitt ist restauriert im Alliierten-Museum zu sehen. Die Ende April beginnende Ausstellung wird mit einem zweiten, bisher nicht präsentierten Tunnelteil aufwarten: "Es handelt es sich um das letzte authentische Stück, das vom Museum in Zusammenarbeit mit der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2005 geborgen werden konnte", erläutert der Kurator der Ausstellung, Bernd von Kostka.
Ein Rätsel ist für die Ausstellungsmacher allerdings eine Mauer aus Ziegelsteinen im Tunnel. Wann und vor allem wozu genau sie entstanden ist, konnte bisher nicht beantwortet werden.
Ausstellung zur Geschichte des Berliner Spionagetunnels vom 27.
April bis 24. Oktober 2006.
Täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs
geschlossen. Eintritt frei.
www.AlliiertenMuseum.de