Von links schiebt der Roboterarm eine Rückbank durch die Luft, rechts liegen in einer Plastikkis-te blitzblanke Motorblöcke. Ein paar Arbeiter sitzen gerade beim Pausentee, ein Sicherheitsplakat nennt "10 Gründe, warum ich auf meine Hände achtgeben soll". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fühlt sich zu Hause hier, "das sieht ja genauso aus wie in einem Betrieb in Wolfsburg", sagt er. Aber Steinmeier ist nicht zu Hause, er ist weit weg von Wolfsburg. Er ist bei Volkswagen Argentinien, zur Betriebsbesichtigung in einem Vorort von Buenos Aires.
Viktor Klima, ehemals österreichischer Bundeskanzler und heute Chef der argentinischen VW-Filiale, führt Steinmeier durch die Firma. "Es macht Sinn, hier zu investieren", sagt Klima und rattert haufenweise positive Standortfaktoren herunter: die Zentral-bankreserven und die Wachstumsraten, die Verkaufszahlen und das gut ausgebildete Personal. Die deutschen Unternehmer, die den Außenminister auf seiner Reise nach Südamerika begleiten, hören aufmerksam zu - und machen sich so ihre Gedanken.
Denn einerseits wächst der Wohlstand in der Region in atemberaubendem Tempo - und in Argentinien mit zweistelligen Raten vorneweg. Andererseits aber hängen zwei dicke Wolken über dem Wirtschaftswunder: Das für Unternehmer so hässliche Wort von der "Verstaatlichung" macht die Runde. Und der grenzüberschreitende Warenverkehr in der Freihandelszone Mercosur ist ins Stocken geraten.
Zu Beginn seiner Südamerikareise ist Steinmeier kaum aus dem Flugzeug in Chile gestiegen, da verkündet Boliviens Präsident Evo Morales die Verstaatlichung der Öl- und Gasvorkommen. In der Weltpresse sind Fotos zu sehen von Soldaten, die Tankstellen und Förderanlagen besetzen. Steinmeiers Reise hat damit ihr Thema - "zunächst war von gar nichts anderem mehr die Rede", sagt ein Beamter. Beim Mittagessen in der Börse von Buenos Aires, einem üppigen Protzbau aus Argentiniens Belle Epoque mit viel Marmor und Gold, findet Steinmeier dann für einen Diplomaten deutliche Worte: Er spricht von den "Irritationen, die dieser Schritt ausgelöst hat"; sagt, er sei "sehr skeptisch, ob sich das als vorteilhaft für die bolivianische Wirtschaft erweisen wird". Denn das Land mit einer Armutsrate von mehr als 60 Prozent und hoher Arbeitslosigkeit bräuchte dringend ausländische Investoren. Die allerdings werden die Verstaatlichung des Energiesektors kaum als Lockgesang verstehen. Bolivien hat nach Venezuela die zweitgrößten Gasvorkommen in Südamerika, die Nachbarn Brasilien und Argentinien importieren massiv. Beide Länder müssen sich jetzt auf einen kräftigen Aufschlag auf die Gaspreise gefasst machen, Bolivien fordert 65 Prozent mehr.
"Das ist das Neue an Morales", sagt ein deutscher Unternehmer aus Steinmeiers Begleitdelegation: "Es geht hier nicht gegen US-amerikanische Interessen, wie etwa bei Hugo Chavez. Es geht gegen die Nachbarn und es geht gegen Europa." Schließlich ist neben Petrobras die spanische Repsol-YPF der größte Investor in Bolivien. Und schließlich kann die argentinische Regierung in ihrem Kampf gegen die Inflation - letztes Jahr stiegen die Preise um 12,3 Prozent - höhere Gaskosten nicht wirklich brauchen.
Der Aufschwung in der Region, angefeuert von hohen Rohstoffpreisen und dem Importhunger der asiatischen Wunderwirtschaften, schien bislang ungebremst. Argentinien etwa hat das Niveau von vor der Krise wieder erreicht und expandiert mit rund neun Prozent jährlich - "chinesische Wachstumsraten", wie Außenminister Steinmeier lobt.
Die Verstaatlichungen könnten aber nicht nur den Boom bremsen, auch politisch sorgt Morales für Unruhe: Dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva wird vorgeworfen, er habe zu lasch auf die Attacke gegen den Staatskonzern Petrobras reagiert - eine Gefahr für seine Kampagne zur Wiederwahl im Oktober. In Peru, wo am 4. Juni in einer Stichwahl über den Präsidenten abgestimmt wird, ziehen inzwischen beide Kandidaten mit Verstaatlichungsversprechen durchs Land. Und selbst in Argentinien wird darüber spekuliert, ob Präsident Nestór Kirchner nach der Nationalisierung der Post, einiger Zuglinien und des größten Wasserversorgers nicht auch nach dem Energiesektor greifen könnte. Laut Umfragen hätte er die Mehrheit der Bevölkerung dabei hinter sich.
Jene deutschen Firmen, denen Steinmeiers Reise Argumente für ein Engagement in der Region in die Hand geben soll, macht das nachdenklich. Betont lobt Steinmeier denn auch die Rechtssicherheit, die der Staat in Deutschland den Unternehmen gewähre.
Im argentinischen Außenministerium, da wo Buenos Aires so vornehm ist wie Paris, muss Frank-Walter Steinmeier dann Stellung nehmen zu einem Konflikt, der ihm ferner kaum sein könnte: dem Streit zwischen Uruguay und Argentinien um den Bau zweier Papierfabriken am Grenzfluss. Zur Sache selbst will sich Steinmeier zwar nicht direkt äußern. Aber dass die durch den Streit belastete Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur "Anlass zur Sorge gibt", das will er doch gesagt haben. "Denn nur als Wirtschaftsblock wird man der weltweiten Konkurrenz gewachsen sein", sagt Steinmeier und wirbt für Integration nach europäischem Vorbild.
Doch Argentinien sorgt sich vor möglichen Umweltschäden durch den Bau der Fabriken und klagt deshalb vor dem Internationalen Gerichtshof. Uruguays Regierung glaubt, dass purer Neid auf die Arbeitsplätze dahintersteckt - und droht mit Ausstieg aus dem Mercosur zugunsten eines Freihandelsabkommens mit den USA. Auch Paraguay fühlt sich von den Schwergewichten Brasilien und Argentinien bevormundet. Zwischen den beiden Großen vereinbarte Sonderregelungen zum Schutz der jeweils heimischen Industrie haben dazu geführt, dass mittlerweile kaum noch ein Produkt zollfrei über die Landesgrenzen im Mercosur verschifft werden kann.