Das Parlament: Herr Drobinski, im Vorwort Ihres Buches bemängeln Sie die mangelnde Distanz vieler Autoren, die über die katholische Kirche schreiben. Wie erklären Sie sich dies vor dem Hintergrund, dass die Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft abnimmt? Wäre hier nicht eher Gelassenheit zu erwarten?
Matthias Drobinski: Ich merke, dass viele Leute, die über die katholische Kirche schreiben, ein großes Maß an Emotionalität mitbringen - Religion ist eben etwas emotionales. Gerade beim Thema katholische Kirche liegen Ablehnung und Sympathie eng beieinander. Die einen wollen die Kirche verteidigen, wenn diese kritisiert wird, die anderen meinen, es sei eine Institution, der man den Todesstoß versetzen sollte. Da schwingen auch immer eigene Erfahrungen und Biografien mit.
Das Parlament: Warum überhaupt ein Buch über die katholische Kirche? Nur aus professioneller Neugier oder war es Ihnen als Katholik ein persönliches Anliegen?
Matthias Drobinski: Beides zusammen. Ich arbeite schon länger über die katholische Kirche und sehe das Gute wie das Schlechte, das Merwürdige und das Lustige, manchmal auch das Tragikomische. Zum anderen ist es die persönliche Neugier. Ich bin in dieser Kirche - doch was heißt das? In welchem "Laden" bin ich da angekommen und warum fühle mich ihm zugehörig? Es ist auch eine Spurensuche in der eigenen Kirche.
Das Parlament: Hat die Wahl eines Deutschen zum Papst auch eine Rolle gespielt?
Matthias Drobinski: Das hat sicherlich beim Verleger den Wunsch nach dem Buch vergrößert. Bei mir selbst eigentlich nicht. Man merkt natürlich, dass die Aufmerksamkeit durch die Papstwahl sehr gewachsen ist, die Deutschen sind wieder neugieriger geworden auf die katholische Kirche.
Das Parlament: Die Deutschen - auch die katholischen - gelten seit der Reformation bis heute als besonders kritisch gegenüber dem Papst und dem Vatikan. Wird diese prinzipielle Haltung durch die Exis-tenz der protestantischen Kirche in Deutschland zusätzlich belebt?
Matthias Drobinski: Dass es ungefähr gleich viele Protestanten wie Katholiken gibt, spielt eine Rolle. In überwiegend katholischen Ländern wie Spanien oder Italien ist das Verhältnis zu Rom wesentlich gelassener. In Deutschland nimmt man alles sehr ernst, arbeitet sich an den Buchstaben der Lehre ab, das ist eine sehr protestantische Grundhaltung. In romanischen Ländern nehmen die Menschen eine Enzyklika des Papstes zwar zur Kenntnis, diskutieren sie aber nicht so kritisch wie in Deutschland, sondern halten sich eben einfach nicht an die Vorgaben aus Rom.
Das Parlament: Dies ist ja sehr stark im Bereich der Sexualmoral der katholischen Kirche zu beobachten. Diese wird gerade in den Medien immer wieder kritisiert - obwohl sich vermutlich auch in Deutschland die wenigsten Katholiken von Rom Vorschriften machen lassen, ob sie Verhütungmittel einsetzen oder nicht. Ist dies nicht eine sehr einseitige Wahrnehmung, gäbe es in einer so großen Kirche nicht andere, vielleicht sogar wichtigere Probleme?
Matthias Drobinski: Es gibt tausende anderer Probleme, die man thematisieren müsste. Journalisten wissen natürlich, dass das Thema Sexualität ein großes Maß an Aufmerksamkeit erregt und schreiben auch deshalb darüber. Ich glaube, dass gerade unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. die Kirche und die Öffentlichkeit in eine negative Spirale geraten sind. Er hat dieses Thema immer wieder angesprochen, hat die Jugendlichen aufgefordert, nach den Geboten der Kirche zu leben. Da ist eine gewisse Entspannung bei Papst Benedikt XVI. zu beobachten. Keine lehramtliche Änderung, die wird es nicht geben, aber er bringt es nicht mehr mit der gleichen Verve vor wie sein Vorgänger.
Das Parlament: Papst Benedikt hat seit dem Beginn seines Pontifikats vor gut einem Jahr entgegen aller Vorbehalte gegen seine Person auch in Deutschland recht gute Noten bekommen. Verwundert Sie das?
Matthias Drobinski: Ja, mich verwundert es, wie vorsichtig und zurückhaltend er an sein Amt herangegangen ist - was ich sehr sympathisch finde. Deswegen glaube ich, dass er zurecht gute Noten bekommt. Manches Lob resultiert natürlich aus der Erleichterung: Der ist ja gar nicht so schlimm, wie wir dachten. Benedikt hat sich bislang klug zurückgehalten, er ist nicht so brachial wie Johannes Paul II. Er stürzt sich nicht mit dieser Lust in Konflikte. Auch seine Enzyklika "Gott ist die Liebe" ist sehr gut, weil sie sich auf das Wesentliche der Kirche konzentriert, die Frage der Liebe, vom Eros bis hin zur Solidarität.
Das Parlament: Sie beschreiben die Krisensymptome der katholische Kirche in Deutschland recht ausführlich, sehen ihre Existenz aber nicht bedroht. Zumindest dann nicht, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnt: die Kraft ihrer christlichen Botschaft und das Engagement für Gesellschaft und Staat. Täte sie dies nicht, drohe ihr der resignierte "Rückzug auf die schrumpfende Schar der absolut Kirchentreuen oder die Flucht nach vorne in den Fundamentalismus". Gibt es denn nicht noch eine dritte Möglichkeit, eine Art zweite Reformation?
Matthias Drobinski : Das kann ich mir nur schwer vorstellen, dafür fehlt auch die Figur eines Reformators. Ich fürchte eher, dass es zu einer inneren Spaltung der Kirche kommen könnte, dass viele Katholiken zwar katholisch bleiben, sich aber innerlich von ihr abwenden und resignieren. Das wäre sehr schlecht für die katholische Kirche.
Das Parlament: Herr Drobinski, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Alexander Weinlein.
Matthias Drobinski: Oh Gott, die Kirche. Versuch über das katholische Deutschland. Patmos Verlag, Düsseldorf 2006; 176 S., 18 Euro