Thilo Hoppe (48), Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, tritt - wie man so sagt - gern leger gekleidet auf, trägt Vollbart und einen dichten Haarschopf. Unübersehbar sind seine blauen entschlossen blickenden Augen. Seit einem halben Jahr hat der frühere entwicklungspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Vorsitz im Entwicklungshilfeausschuss des Deutschen Bundestages inne. Jetzt sei er in gewisser Weise zum "Anwalt" für die Entwicklungspolitiker und -politikerinnen aller Fraktionen geworden, beschreibt er im Gespräch mit "Das Parlament" seine neue Rolle. Noch mehr als bisher suche er die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Seine Fähigkeit, zusammenzubinden und zu integrieren, werden ihm dabei helfen. Und selbstverständlich werde "sein" Ausschuss "die Entwicklungspolitik der Bundesregierung konstruktiv kritisch begleiten". Aber vor allem will Hoppe Themen früh besetzen, nicht erst dann diskutieren, wenn die wichtigen Entscheidungen bereits gefallen sind, sondern sich rechtzeitig einmischen und auf der Höhe der Zeit diskutieren. Ein Beispiel in der vergangenen Woche: die Anhörung des Ausschusses zur "Bekämpfung von HIV/AIDS in Entwicklungsländern". Ende Mai wird sich dann die Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) mit dem Thema befassen. Es geht darum, die Entwicklung der Fortschritte seit 2001 zu bilanzieren und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen.
Dass Hoppe heute auf Bundesebene Entwick-lungspolitik macht, hat auch mit einer Reise durch Peru und Bolivien Anfang der 80er-Jahre zu tun. Damals arbeitete er als Rundfunkjournalist. Es war seine erste Konfrontation mit furchtbarem Elend und himmelschreiendem Unrecht. Der Journalist und Religionspädagoge engagierte sich danach zunächst verstärkt mit journalistischen Mitteln für Nord-Süd-Gerechtigkeit, schrieb ein Buch über die Ursachen des Hungers in der Welt, brachte sich als Mitglied kirchlicher Gruppen ein. "Irgendwann habe ich erkannt, dass Presseartikel, Rundfunkfeatures und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGO) allein nicht reichen. Ich habe mich entschlossen, den direkten Weg zu wählen. Über die Bürgerbewegung 'Demokratie jetzt' und das 'Bündnis 90' bin ich über die Fusion zu Bündnis 90/Die Grünen gekommen - und nun seit 2002 Mitglied des Bundestages".
Hoppe weiß, dass auf dem Politikfeld von Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechten Erfolge nicht mal eben so eingefahren werden können. Er habe Bauchlandungen im ersten Abgeordnetenjahr wegstecken müssen. Aber 2004 sei es ihm gelungen, ein Bündnis zu schmieden, mit dem es möglich war, deutlich mehr Geld für die Entwicklungspolitik in den Bundeshaushalt einzustellen. "Man braucht dazu schon fast Fähigkeiten als Mediator, um die Klippen des Kompetenzgerangels - sowohl zwischen den verschiedenen Ministerien als auch zwischen Fach- und Haushaltspolitikern - zu umsegeln." Hoppe weiß, nicht nur weil er Journalist ist, dass das Was und das Wie der Kommunikation für politischen Erfolg wichtig sind. "Ein einzelner Bundestagsabgeordneter kann auch dann viel bewirken, wenn er sich auf einem Spezialgebiet fachkundig macht und sein Wissen und seine Anregungen in einer Art und Weise einbringt, die die Zuständigen in den Ministerien nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfinden. "So habe ich nach einer längeren Einzeldienstreise nach Niger Impulse zur Veränderung unserer Entwicklungspolitik gegenüber diesem Land geben können. Ob die Bekämpfung des Hungers dort jetzt besser gelingt, muss sich allerdings erst noch erweisen."
Jedenfalls ist seiner Einschätzung nach Entwicklungspolitik aus der Nische herausgekommen, zum Beispiel durch die Kampagne "Deine Stimme gegen Armut". Und auch durch die Berichterstattung über die Tsunami-Katastrophe, die enorme Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die Partnerschaftsinitiativen, die dazu beitragen würden, dass viele Landkreise, Städte und Schulen in Deutschland nicht nur kurzfristig Spenden sammeln, sondern Partner in Sri Lanka und Indonesien auch langfristig beim Wiederaufbau unterstützen.
Sollen die Milleniumsziele bis 2015 erreicht werden, sind nach Hoppes Meinung deutlich mehr Geld und beherzte Reformen in den Entwicklungsländern erforderlich, aber auch eine effektivere Entwicklungspolitik insgesamt. Die Notwendigkeit einer Verdoppelung der Ausgaben habe eine Expertenkommission der Vereinten Nationen bereits dargestellt. "Dass große Misserfolge bei der Erreichung der Milleniumsziele für alle Menschen - also auch für uns im scheinbar so sicheren Europa - bedrohlich werden können, lässt sich ebenfalls aus vielen Szenarien von renommierten Instituten ablesen. Die globalen Umweltveränderungen - vor allem die Klimakatastrophe - die wachsende Kriegsgefahr, das Zunehmen des internationalen Terrorismus und ebenso das Anwachsen der Flüchtlingsströme sind keine Horrorszenarien, sondern realistische Prognosen für den Fall, dass es uns nicht gelingt, auf die Herausforderungen der Zeit mit Herz und Verstand zu reagieren", so der engagierte Parlamentarier.
Dass Handeln in einer globalisierten Welt vor der Haustür beginnt, belegt Hoppe auch als Gründungsmitglied von "Xertifix". Das ist ein Verein, der sich für die Zertifizierung von Steinen aus Indien einsetzt, die ga-rantiert ohne Kinderarbeit aus den Steinbrüchen gebrochen und bearbeitet werden. Außerdem unterstützt er Sozial- und Reintegrationsprogramme für Kinder, die aus der Sklavenarbeit befreit wurden. Für ihn ist gute Politik "eine Politik, die sich an der Umsetzung der unteilbaren und vollständigen Menschenrechte orientiert und dafür mit Herz und Verstand konkrete Handlungsoptionen und möglichst viele Bündnispartner sucht".
Zuhause ist der Bundestagsabgeordnete seit 21 Jahren in Ostfriesland. Er vertritt den Wahlkreis Aurich-Emden, zu dem unter anderem Ostfriesland und die friesischen Inseln gehören. Geboren ist er in Einbeck. Die Regionen und ihr Menschenschlag haben ihn weniger geprägt. Seine typische Fähigkeit sei, zusammenzubinden, zu integrieren, zu versöhnen. "Aber das hat auch eine Kehrseite", meint Hoppe, "weil die Fähigkeit, sich abzugrenzen, nein zu sagen und in Extremsituationen auch mal auf den Putz hauen zu können, dafür - na sagen wir mal - durchaus noch ausbaufähig ist." Hoppe ist verheiratet und hat vier Kinder. Musik ist ein Hobby, das ihm viel gibt. Er spielt Klavier, Gitarre und Charango, ein kleines südamerikanisches Zupf-instrument, und schreibt Kinderlieder. Musik hebt meistens einen Gefühlsstau auf, sagt er. "In manchen Situationen - zum Beispiel auf der letzten Weltbanktagung - hätte ich am liebsten laut geschrien. Nach dem Besuch von Kinderernährungszentren von 'Ärzte ohne Grenzen' in Niger hätte ich unendlich weinen können. In den offiziellen Gesprächen reißt man sich zusammen. Beim Musizieren - oft allein - kann ich alles herauslassen. Das Singen und Musizieren - mit anderen zusammen - schenkt auch Freude, und das gehört zum Zelebrieren der schönen Seiten des Lebens."