Was wir vor vier Jahren lasen, erforderte geradezu eine Fortsetzung. Als Hermann Weber, der Mannheimer Nestor der Geschichtsschreibung über die DDR, den deutschen Kommunismus und alle Facetten der deutschen Arbeiterbewegung, den ersten Teil seines Lebensberichtes und seiner Frau Gerda ("Damals, als ich Wunderlich hieß") vorlegte, endete dieses spannende Buch, das aus Biografie, Zeitzeugenbericht und historische Analyse bestand, bedauerlicherweise schon kurz nach der Geburtsstunde der Bundesrepublik. Nun legten Hermann und Gerda Weber mit ihrem "Leben nach dem 'Prinzip links'" nach.
Hermann Weber, als KPD-Mitglied einer der wenigen westdeutschen Absolventen (Deckname "H. Wunderlich") des ersten Zweijahreslehr-gangs an der SED-Parteihochschule "Karl Marx" von 1947 bis 1949 - erst in Liebenwalde, dann in Kleinmachnow bei Berlin -, wurde von der SED 1950 in den Westen zurückgeschickt, um für die KPD beziehungsweise die noch in ganz Deutschland auftretende Freie Deutsche Jugend (FDJ) zu arbeiten. Doch Weber brach erst mit dem Stalinismus, in der Bundesrepublik dann auch mit der KPD, aus der er und seine Frau Gerda schließlich ausgeschlossen wurden. Gerda Weber, aus sozialdemokratischem Elternhaus in Brandenburg stammend und ebenfalls Absolventin der Parteihochschule "Karl Marx", war etwas später Hermann im Auftrag der SED, aber auch wunschgemäß, in den Westen gefolgt, wo sie für den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) als 1. Sekretärin arbeiten sollte.
Dieser Teil des Lebensberichts der Eheleute Weber bezieht seine Spannung in erster Linie aus zwei Darstellungssträngen. Der eine schildert, wie aus einer als höchste Ausbildungsstätte für eine Parteielite geplanten Hochschule mit umfassendem Bildungsanspruch in nur wenigen Jahren eine reine Indoktrinationsmühle, eine Kaderschmiede für bis zur Selbstverleugnung gehorsame Parteifunktionäre wurde.
Auf der zweiten Ebene beschreiben die Webers anhand ihrer Erfahrungen beispielhaft, wie jungen, überzeugten Kommunisten der Glauben an eine humane, freiheitliche und kommunistische Zukunft von einem ständig verlogener werdenden Schulungssystem langsam aber stetig ausgetrieben wurde. Es gibt nämlich bei den Webers kein Saulus-Paulus-Erlebnis. Da ist eine Überzeugung in kleinen Schritten, jedoch unaufhaltsam zerbröselt. Weber und seine Frau hatten ihren Verstand nicht auf dem Altar einer potenziellen Parteikarriere geopfert.
Der "Wunderlich" schließt, nachdem man schon einen knappen Eindruck davon gewonnen hatte, mit welch denunziatorischer Niedertracht die stalinistische SED abtrünnige Mitglieder wie die Webers zu verfolgen begann.
Nun also liegt die Fortsetzung vor. Diesmal tritt Webers Ehefrau - und "Wunderlichs" Freundin - Gerda, die er 1951 in Düsseldorf geheiratet hatte, stärker in den Vordergrund. Im ersten Teil des Buches, der die Jahre von 1950 bis 1953 umfasst, erfahren wir, wie schwierig für die Webers der Ablösungsprozess von KPD, FDJ und den anderen Tarnorganisationen war - was von Zeitgenossen, die ein ganzes Leben lang ihr politisches Milieu nicht verlassen, kaum zu verstehen ist. Es war ein Kampf ums materielle und geistige Überleben. Der Stalinismus ist in den Köpfen der beiden (noch) kommunistischen Funktionäre längst überwunden - der Leninismus verschwindet langsamer. Ihren Abscheu vor dem Personenkult um Stalin können beide kaum noch kaschieren, dennoch ist der äußerliche Bruch mit der KPD nicht vollzogen. Die materielle Abhängigkeit von der Partei, gesundheitliche Probleme, alte Freundschaften, ausgeprägter Antifaschismus, eine beinahe schon grenzenlose Friedenssehnsucht und nicht zuletzt die restaurativen Tendenzen und der hysterische Antikommunismus in der jungen Bundesrepublik verhindern zunächst einen klaren Schlussstrich. Hermann wird von der SED nach Abschluss des Lehrgangs an der Parteihochschule "Karl Marx" als hauptamtlicher Funktionär der westdeutschen FDJ-Organisation, die 1951 verboten wird, in der Bundesrepublik eingesetzt. Er arbeitet als Chefredakteur des Zentralorgans "Das junge Deutschland", wird allerdings 1950 wegen "Beleidigung des großen Stalin" - er hatte eine aus zwei Sätzen bestehende Grußbotschaft des Diktators an das Ostberliner Deutschlandtreffen der Jugend nur in einem kleinen Kasten abgedruckt - zum Kulturredakteur degradiert. Aber nach dem Verbot der FDJ wird er wieder als Chefredakteur, jetzt illegal, berufen. Er landet deswegen schließlich im März 1953 in Essen in siebenmonatiger Untersuchungshaft. Damals zwar voller Bitterkeit und überzeugt, widerrechtlich verfolgt zu werden, vergleicht Weber im neuen Buch seine eigenen, vergleichsweise moderaten Haftbedingungen mit denen westdeutscher KP-Spitzenfunktionäre in den Stasi- und NKWD-Gefängnissen, die nur als Folter beschrieben werden können.
Auch Webers Frau Gerda saß inzwischen in Heidelberg in Untersuchungshaft wegen "Rädelsführerschaft in einer staatsfeindlichen Vereinigung". Sie war zur 1. Sekretärin des westdeutschen Büros des noch gesamtdeutschen DFB berufen worden, musste von diesem Amt allerdings aus Gesundheitsgründen bald zurücktreten. Sie tat dies ohne die erforderliche Absprache mit der KPD, was sie dann in der Haft und danach jegliche Unterstützung durch die Partei kostete. Obwohl der DFD nicht verboten war, wenn auch genauso aus Ost-Berlin ferngesteuert wurde wie KPD und FDJ, war Gerda einer Art Sippenhaft unterworfen worden. Selbst formale Gründe für ihre rechtsstaatlich fragwürdige Verhaftung gab es wohl nicht. Der DFD war eben eine kommunistische Tarnorganisation und in Zeiten des Korea-Krieges wurde oft auf westlicher Seite hysterisch antikommunistisch gehandelt.
Hermann Weber wurde im Oktober, seine Frau Gerda im Dezember 1953 aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Nachricht von der blutigen Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni in der DDR hat wohl ihrer beider Absicht, mit der KPD zu brechen, unumstößlich gemacht. Was nun folgte, war das Leben von "heimatlosen Linken". Da den Webers noch ein Prozess drohte, konnte ein rascher Austritt aus der KPD zum sofortigen Verlust jeglicher, auch materieller Unterstützung, erneut zu großer Armut und Hunger führen. Es musste also immer noch taktiert werden. Man muss im Detail nachlesen, mit welch abgrundtiefer Heimtücke die KPD nach der Haftentlassung gegen die zwei Genossen vorging, die ein Jahr zuvor bei ihrer Verhaftung noch als herausragende Friedenskämpfer hochgejubelt worden waren.
Hermann und Gerda Weber haben in der Jugend ihres Lebens einen Neuanfang gewagt, in einer Phase, in der die wenigsten ihr politisch-ideologisches Zuhause aufzugeben bereit sind. Es war die Einsicht in die nicht mehr zu überbrückende Kluft zwischen ursprünglich humanistischen Zielen der kommunistischer Theorie und einer verlogenen und erfolglosen Praxis. Im September und Oktober 1954 wurden beide Webers aus der KPD ausgeschlossen, Hermann allerdings so statutenwidrig-dilettantisch, dass er noch von sich aus austreten konnte.
Bevor sich die Webers endgültig dem Aufbau einer bürgerlichen Existenz zuwenden konnten, hatten sie noch eine absurde Hürde zu überwinden: Gegen beide wurde doch noch wegen Hermanns Funktion in der westdeutschen FDJ-Führung und Gerdas Tätigkeit als Spitzenfunktionärin im erst 1957 verbotenen DFD Prozesse eröffnet, allerdings bald danach auch wieder eingestellt. Der Bericht der Webers darüber mutet heute wie die Schilderung einer grotesken Clownerie an, war aber zu Zeiten von KPD-Verbot, Notstandsgesetzgebung und Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes in der Innenpolitik der Bundesrepublik traurige Realität.
Als Sozialdemokraten nach dem "Prinzip links" zu leben, sich also für einen "humanen, freiheitlichen und antistalinistischen Sozialismus" einzusetzen, haben die Webers vorgemacht. Sie sind seltene Vorbilder für politische und intellektuelle Redlichkeit.
Hermann und Gerda Weber: Leben nach dem "Prinzip links". Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Christoph Links Verlag, Berlin 2006; 480 S., 19,90 Euro.
Hermann Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Aufbau-Verlag, Berlin 2002; 445 S., 25 Euro.