So schnell werden in Bremen nur selten Ämter neu besetzt. Bereits vier Tage nach dem Rücktritt von Jugend- und Sozialsenatorin Karin Röpke wegen des "Falles Kevin" hat der SPD-Landesvorstand einstimmig eine Nachfolgerin nominiert: die bisherige Geschäftsführerin des DRK-Landesverbands Bremen, Ingelore Rosenkötter. Und so schnell waren wohl noch nie Sozialarbeiter ausgeschwärmt, um nach weiteren Problemfamilien zu suchen.
Der zweieinhalbjährige Kevin war Anfang Oktober tot in der Wohnung seines drogensüchtigen Vaters gefunden worden. Obwohl der 41-Jährige als gewalttätig galt und die Jugendbehörde eine Amtsvormundschaft für das Kind übernommen hatte, war es beim Vater geblieben. Die Behörde bot ihm zwar allerlei Hilfestellungen an, aber wie es dem Jungen ging, überprüfte monatelang niemand wirklich. Als Kevin schließlich doch in eine Pflegefamilie gebracht werden sollte, war es zu spät.
Senatorin Röpke beschloss noch am selben Abend, nach viereinhalb Amtsjahren zurückzutreten. Ihren Abgang hatte die Grünen-Opposition schon länger gefordert - wegen eines anderen Vorgangs: Die Sozialdemokratin sei politisch verantwortlich für eine Korruptionsaffäre an einer städtischen Klinik. Röpkes Staatsrat (Staatssekretär) Arnold Knigge hatte deshalb bereits sein Amt abgegeben, und die Grünen wollten nun auch die Ressortchefin per Misstrauensantrag von ihrer Aufgabe entbinden. Doch darüber musste die Bürgerschaft gar nicht mehr abstimmen, denn statt der Klinikaffäre brachte nun Kevins Tod die eigentlich all-seits geschätzte 51-Jährige zu Fall.
Röpke hatte sich selber um den Vorgang gekümmert, aber nicht das Nötige bewirkt. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) war von einem Kinderheim, in dem Kevin nach dem Tod seiner Mutter für 16 Tage gelebt hatte, darauf angesprochen worden, dass der Junge keinesfalls zum Vater zurückkehren dürfe. Böhrnsen hatte diese Warnung an Röpke weitergegeben; die wiederum hatte ihre Fachleute beauftragt, dem Fall "besondere Aufmerksamkeit" zu widmen -und trotzdem kam die amtliche Hilfe am Ende zu spät. Damit sich dieses "unverzeihliche Versagen", so Bürgermeister Böhrnsen, nicht wiederholt, hat die gerade frisch eingearbeitete Staatsrätin für Soziales, Birgit Weihrauch, ein Sofortprogramm gestartet: 600 Familien, die in den letzten zwei Jahren mit dem Jugendamt zu tun hatten, werden jetzt darauf überprüft, ob ihre Kinder "sicher und wohlbehalten" untergebracht sind. Die ersten 95 Eltern mit knapp 150 Kindern waren bereits an der Reihe, nämlich jene, die als drogensüchtig oder stark alkoholabhängig gelten. Einige von ihnen (die genaue Zahl ist nicht bekannt) wurden zu Hause besucht. Keine Kontrollbesuche waren nötig bei Familien, deren Kinder ohnehin schon in Heimen oder Pflegefamilien leben oder die regelmäßig von Familienhelfern besucht werden. Erstes Ergebnis der Aktion: Nur in zwei Elternhäusern sah das Amt Handlungsbedarf. Die beiden Kinder wechseln jetzt schneller als zunächst geplant in eine Übergangspflegestelle.
Ein enormer Aufwand, den gut 60 aller 90 "fallfüh-renden Sozialarbeiter" des Amtes leisten müssen. Un-terstützung erhalten sie von Beschäftigten freier Trä-ger - was zusätzlich Geld kostet. Und es wird noch teurer: Künftig sollen alle Kinder aus schwierigen Verhältnissen zweimal wöchentlich von Sozialarbeitern, Erzieherinnen, Lehrkräften, Ärzten oder Hebammen gesehen werden.
"Irgendwo müssen wir das Geld hernehmen", sagt Staatsrätin Weihrauch, ohne zu wissen, woher. Aber Regierungschef Böhrnsen hat ja die Devise ausgege-ben: "Das Wohl eines jeden Kindes steht über jeder Haushaltslage." Er protestiert deshalb auch gegen die geplante Unternehmenssteuerreform: "Wir dürfen den Staat nicht immer weiter ausbluten lassen." Wenn Röpkes Nachfolgerin Ingelore Rosenkötter (53) auf der nächsten Bürgerschaftssitzung Mitte November gewählt wird, dürfte niemand sie beneiden. Das Ressort ist für fünf Bereiche auf einmal zuständig: Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales. Manche nennen es auch "Vermischtes Elend". Kleiner Lichtblick für die ausgebildete Bankkauffrau, die bisher auch den Landessportbund leitet und eigentlich erst zur Bürgerschaftswahl im Mai 2007 erstmals ein SPD-Abgeordnetenmandat übernehmen wollte: Sie bekommt einen zweiten Staatsrat an die Seite gestellt -den SPD-Abgeordneten Joachim Schuster. Auch das Parlament hat bis zur Wahl noch viel zu tun: Auf Betreiben der Grünen sollen zwei Untersuchungsausschüsse klären, ob die Klinik-Korruptionsaffäre durch mangelnde Aufsicht des Röpke-Ressorts begünstigt wurde und ob zum Tod von Kevin auch der ständige Spardruck beigetragen hat.