Die CSU kommt nicht zur Ruhe: Auch nach ihrem Parteitag in Augsburg geht die Diskussion über ein Ende der Amtszeit von Ministerpräsident Edmund Stoiber weiter. Inzwischen hat der ehemalige Parteichef Theo Waigel, der bereits früher als Stoiber-Kritiker hervorgetreten war, Öl ins Feuer gegossen. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk riet er dem 65 Jahre alt gewordenen Stoiber indirekt, bei der Bayernwahl 2008 nicht mehr anzutreten - was jedoch Stoibers feste Absicht ist.
Begleitmusik zu der Diskussion über die politische Zukunft des CSU-Vorsitzenden ist eine Umfrage von Anfang Oktober. Danach liegt der Beliebtheitsgrad des Parteichefs und Ministerpräsidenten weiterhin deutlich unter dem der CSU, die nach einer Erhebung von Infratest dimap bei einer Landtagswahl nur noch mit 49 Prozent der Stimmen rechnen könnte. 57 Prozent lehnen eine neuerliche Kandidatur Stoibers für das Ministerpräsidentenamt ab. Offensichtlich nehmen ihm immer noch viele Wähler seine überraschende Berlin-Flucht vor einem Jahr übel.
Umso kämpferischer trat Stoiber auf dem CSU-Parteitag im Augsburger Messezentrum auf. Hier diskutierten die Delegierten die offiziellen Themen, den Leitantrag Bildung und Wissen sowie einen ersten Teil des neuen Grundsatzprogramms. Zelebriert wurde daneben ein demonstrativer Schulterschluss mit der CDU. Dabei ging es der Parteiführung aber auch um die Verbesserung der Stimmungslage angesichts breiter Unzufriedenheit mit der Großen Koalition in Berlin. Stoiber und die von den Delegierten mit viel Beifall bedachte CDU-Vorsitzende Angela Merkel riefen dazu auf, verstärkt die Erfolge der Regierungsarbeit herauszustellen. Vorzugsweise in kleineren Gesprächskreisen standen freilich die Sorgen der Delegierten um sinkende Wählergunst und die ungeklärte Frage der Stoiber-Nachfolge im Mittelpunkt. Zwei Jahre vor der Land-tagswahl scheuen die meisten Mandatsträger einen öf-fentlich ausgetragenen Kandidatenstreit, der der Partei mehr schaden würde als ein vielleicht geschwächter Stoiber. Hinzu kommt, dass die wenigsten eine klare personelle Alternative sehen.
Aus der Reihe der Schweigenden tanzte CSU-Vorstandsmitglied Gabriele Pauli, Landrätin von Fürth. Vor Kameras und Mikrofonen erklärte sie freimütig, Stoiber solle bei den Landtagswahlen 2008 nicht mehr antreten. Ein weiterer Kritiker, der von Stoiber vor Jahren als Justizminister gefeuerte Alfred Sauter, bekam für seinen Parteitagsantrag, die Amtszeit des Ministerpräsidenten auf zehn Jahre zu begrenzen und ihn direkt vom Volk wählen zu lassen, nur ein paar Dutzend Stimmen. Gleich zum Auftakt der Veranstaltung hatte sich Stoiber aber über Rückenwind freuen dürfen: Strahlend vermeldete er einen "sensationellen Erfolg für Bayern". Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte von drei deutschen Hochschulen zwei bayerische Universitäten (die Ludwig-Maximilian Universität und die TU München) als Elitehochschulen auserkoren.
Den CSU-Kongress wertete Stoiber sogleich als "Seismograph für die Stabilität der Großen Koalition". Eindringlich verlangte er "absolute Geschlossenheit", sobald die häufig unterschiedlichen Lösungsansätze in streitigen Diskussionen zusammengeführt worden seien. Der Parteitag solle auch ein Zeichen für die Geschlossenheit mit der CDU setzen. Das taten die Delegierten umgehend und spendeten Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Auftritt mehr als vier Minuten stehend Beifall - etwa so viel, wie Stoiber selbst nach seiner Parteitagsrede am folgenden Tag bekam.
Stehend und mit rhythmischem Klatschen wurde die unter Techno-Klängen einziehende Bundeskanzlerin empfangen. Stoiber versicherte der "lieben Angela" angesichts der bevorstehenden Phase schwieriger Entscheidungen, "wir wollen und werden das gemeinsam schultern". Und die CDU-Vorsitzende erklärte prompt, nur gemeinsam und in Geschlossenheit könne die Union Erfolg haben. Auch eine Mahnung hinsichtlich des unionsinternen Streits um die Gesundheitsreform.
Gleichzeitig bedeutete Merkel, dass Geschlossenheit bei den Menschen nicht ankommen dürfe wie ein "Nein, aber", sondern dass daraus ein "Ja, aber" werden müsse. Dazu zählte sie die bisherigen Erfolge ihrer Regierung auf: die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ebenso wie die verbesserte Beschäftigungslage und die Anstrengungen für Spitzenforschung und Familien. Schröder hätte seinerzeit bei so einer Entwicklung "die Glocken läuten lassen", meinte Merkel.
Doch auf dem Parteitag schrillten angesichts der zum Teil depressiven Stimmungslage an der CSU-Basis eher die Alarmglocken. Stoiber versuchte sie mit einer wuchtigen Rede zu übertönen und den Delegierten klarzumachen, wie erfolgreich und kraftvoll er seine schwierige Aufgabe zum Wohle Bayerns und der Partei meistere - quasi als sein eigener Nachfolger, wie ein Delegierter scherzhaft meinte. Die CSU, so Stoiber, sei eine wirkliche Volkspartei - "das ist unser größter Schatz" - diese Kraft zur Integration aller Schichten müsse immer neu gepflegt und ausgebaut werden.
Zum "Markenkern" der CSU gehöre nicht nur "das Kritisieren, Besserwissen und Nörgeln", wie der Parteichef mit ungewohnter Selbstironie meinte. Es gehöre auch dazu, Verantwortung zu übernehmen für die Menschen auf allen Ebenen. Und die CSU übernehme Regierungsverantwortung in Berlin, auch wenn es schwierig sei.
Die Sorgen in der Partei angesichts schlechter Umfra-gewerte versuchte er mit einer aktuellen Erhebung zu zerstreuen, wonach seine Partei wieder 53 Prozent der Wählerstimmen erhalten habe: "Lasst euch nicht verunsichern", rief Stoiber, das seien ohnehin nur "Wasserstandsmeldungen". Offensiv verteidigte der CSU-Chef seinen Widerstand gegen diverse SPD-Pläne und schilderte, wie er die Kommunen bei der Unterbringung von Hartz-IV-Empfängern vor einer Milliardenbelastung bewahrt habe. Vor einem Jahr habe er hier noch im Alleingang gekämpft, heute würden auch alle anderen Länder die CSU-Position vertreten. Wenn es dann heiße, "Edmund Stoiber, der Dickschädel", oder wenn er bei der Ablehnung von SPD-Vorschlägen als "Mister No" tituliert werde, sei das für ihn eine "Ehrenauszeichnung für die Verfolgung bayerischer Interessen".
Scharf grenzte er sich gegenüber der SPD ab. Es könnten noch wesentlich mehr Fortschritte in Berlin erreicht werden, wenn der Koalitionspartner bei vielen Themen nicht auf der Bremse stehen würde. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen Angriffe auf die Kanzlerin, die von der SPD angemahnt worden sei, Führungsstärke zu beweisen. Angesichts der Erblast von sieben Jahren SPD-Politik hätten es Union und Angela Merkel nicht nötig, sich von "Herrn Beck" rügen zu lassen. Deutlich forderte der CSU-Chef eine Föderalismusreform II mit einer klaren Schuldengrenze für alle Länder. Bayern mit seinem Haushalt ohne neue Schulden bleibe zwar solidarisch, "doch wir sind nicht bereit, für die Schulden anderer Länder die Verantwortung zu tragen", so der bayerische Ministerpräsident.
Der Leitantrag des CSU-Vorstands mit dem Titel "Beste Bildung, beste Chancen", der die politischen Vorgaben für Wissens- und Wertevermittlungen vom Vorschulalter bis zum Hochschulabschluss aufzeigt, wurde von den Delegierten angenommen. Positiv aufgenommen wurde auch der erste Teil des neuen CSU-Grundsatzprogramms, das der Leiter der Grundsatzkommission, Landtagspräsident Alois Glück, bis zum kommenden Jahr komplett präsentieren will.