Auf Deutschlands Universitäten rollt eine Welle von Studierenden zu. Nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz werden geburtenstarke Jahrgänge, Verkürzung der Schulzeit und der Trend zur Akademisierung dazu führen, dass nach 2010 nicht mehr zwei, sondern 2,7 Millionen junge Menschen studieren. Bereits in den nächsten drei Jahren wird mit einem Ansturm von 90.000 zusätzlichen Studienanfängern auf die ohnehin schon überlasteten Universitäten und Hochschulen gerechnet. 2011 bis 2013, wenn der Studentenandrang seinen Höhepunkt erreicht, wird es aller Voraussicht nach statt heute 350.000 jedes Jahr 440.000 Erstsemester geben.
Nach mehreren Jahren, in denen die Warnungen der Hochschulrektorenkonferenz vor unhaltbarer Überfüllung deutscher Hörsäle weit gehend ungehört verhallten, tut sich nun etwas. Bund und Länder haben sich auf die Grundzüge eines Hochschulpakts verständigt. Kurz gesagt will der Bund knapp eine halbe Milliarde Euro zur Schaffung neuer Studienplätze bereitstellen. Weitere 700 Millionen Euro sollen in die Forschung investiert werden. Mit Hilfe einer Aufstock-ung aus den Töpfen der Länder soll dafür gesorgt werden, dass sich das Verhältnis von Lehrenden zur Zahl der Lernenden an deutschen Universitäten nicht weiter verschlechtert. Zurzeit kommen auf jeden Professor in Deutschland gut 50 Studierende; 2012 könnten es 70 sein.
Inhaltlich würde Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) den Hochschulpakt gern mit der Einführung einer neuen Berufsgruppe an deutschen Universitäten verknüpfen: Mindestens 3.000 so genannte "Lecturer" sollen sich künftig vornehmlich der Lehre widmen. Die Konzentration auf den Unterricht von Studenten ist allerdings das einzige, was man bisher über den "Lecturer" weiß. Darüber, mit welchem Status, in welcher Besoldungsgruppe und mit wie viel oder wie wenig Recht auf Forschung sie in die Universitäten einziehen sollen, herrscht weit gehend Unklarheit. Lediglich der Deutsche Hochschulverband, die größte Interessenvertretung deutscher Professoren, hat Eckpunkte vorgeschlagen: Danach soll der "Lecturer" zwölf bis 14 Semesterwochenstunden lehren, und, falls er noch am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere steht, auch die Möglichkeit zur Weiterqualifikation - beispielsweise zur Habilitation - bekommen.
Der wissenschaftliche Nachwuchs - also jene, die sowohl die Studierenden von morgen unterrichten als auch die Forschung konkurrenzfähig machen sollen, steht allerdings nicht nur dem Modell "Lecturer", sondern der gesamten Organisation der deutschen Wissenschaftslandschaft höchst kritisch gegenüber.
Zwei Tage lang kamen in der ersten Oktoberwoche 270 überwiegend junge Wissenschaftler mit Verantwortlichen aus Universitäten, Ministerien und Wissenschaftsorganisationen zusammen, um darüber zu reden, wie sie sich die Zukunft der Wissenschaft vorstellen. Unter dem Titel "Karrierewege in Wissenschaft und Forschung" hatten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesbildungsministerium eingeladen. Fünf Workshops widmeten sich der gesamten Bandbreite der möglichen Laufbahnen: von den Wegen zu Promotion, Juniorprofessur und Habilitation über die wissenschaftliche Arbeit nach der Habilitation, den Weg und Rückweg in das und aus dem Ausland bis hin zur Durchlässigkeit der Wissenschaft zu außeruniversitären Organisationen. Durchgängig war dabei das Thema präsent, wie schwierig es für den viel versprechenden Nachwuchs ist, im deutschen Wissenschaftssystem dauerhaft Tritt zu fassen.
Insbesondere die Gruppe, die mögliche Karrierewege nach der Promotion diskutierte, äußerte Unmut über das Bestehende und auch über die angedachte Einführung eines ganz neuen Typs von Lehrpersonal. "Wir brauchen einen Ausbau des Bestehenden und kein Parallelsystem", erklärte Sandra Pott, habilitierte Germanistin, die zurzeit in London lehrt. Statt der Schaffung einer neuen Personalkategorie mahnte sie mehr Flexibilität und verlässliche Perspektiven für den Nachwuchs, der heute in eine weit gehend unklare Zukunft blickt. "Exzellenz braucht attraktive Bedingungen", fasste Pott zusammen. "Davon sind wir in Deutschland weit entfernt." Im Detail kritisierten die Habilitanden, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Professoren immer wieder dieselben Stolpersteine auf dem Weg in die Wissenschaft: Der klassische Weg zur Habilitation ist zu lang; nicht nur, aber auch weil die selbstständige Forschung häufig zu kurz kommt. Grundsätzlich begrüßt wurde die Schaffung der Juniorprofessur - die allerdings nur wenige Jahre nach ihrer Einführung schon wieder mehr auf dem Rückzug als auf dem Vormarsch ist und sich in einigen großen Fächern, beispielsweise Jura, bis heute nicht durchsetzen konnte.
Dazu kommt: Das deutsche Wissenschaftssystem ist in den Augen derer, die es prägen (sollen), zu wenig durchlässig und eine Einbahnstraße unklarer Länge: "Am Ende gibt es nur zwei Wege", konstatierte der Physiker Steffen Berg. "Entweder bekommt man eine Professur oder Hartz IV."
Im Gegensatz zu dem deutschen Flaschenhalsprinzip, an dessen Ende viele Habilitierte um wenige Professuren kämpfen und so lange auf wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen ausharren, bis sie nach zwölf Jahren die Universität verlassen müssen, lobte Berg das System in den USA. "Die Postdoc-Phase ist überschaubar, danach folgen mit dem Drei-Stufen-System ,Assistant Professor', ,Associate Professor' und ,Full Professor' drei mögliche Karrierestufen. Das schafft Klarheit und Sicherheit."
Sicherheit schafft dort aber auch ein Prinzip, dessen Fehlen in Deutschland auf der Tagung durchgängig beklagt wurde: "Tenure Track", die Verknüpfung befristeter wissenschaftlicher Stellen mit der Option auf eine unbefristete Anstellung. In Deutschland scheitert "Tenure Track" nicht zuletzt an dem in der deutschen Hochschullandschaft immer noch üblichen Verbot von Hausberufungen. Dass es auch hier gute Argumente für "Tenure Track" gibt, fasste der Kanzler der Technischen Universität Darmstadt, Hanns Seidler, zusammen: ",Tenure Track' fördert die Unabhängigkeit, motiviert und stärkt die Identifikation mit der Hochschule."
Beklagt wurde aber nicht nur der Mangel an wissenschaftlichen Dauerstellen, sondern auch die häufig intransparente Vergabe der Professuren seitens der nicht öffentlich tagenden Berufungskommissionen. Außer mehr Transparenz und Effizienz forderte Sandra Pott auch einen regelrechten "Mentalitätswandel" im Umgang mit potenziellem Personal: "Die Bewerber müssen das Gefühl haben, gewollt zu werden - und nicht, der Universität lästig zu sein."
Dafür, sich stärker um den Nachwuchs zu bemühen, spricht nicht zuletzt die anhaltende Abwanderung in die Vereinigten Staaten. Geschätzte 30.000 bis 60.000 deutsche Wissenschaftler lehren und forschen an US-amerikanischen Hochschulen. Steffen Berg, der mehrere Jahre in Princeton tätig war und heute in der Forschungsabteilung eines Energiekonzerns arbeitet, wies darauf hin, dass nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Selektion stattfindet. "Die besten Wissenschaftler überlegen sich am längsten, ob sie zurückkehren", so Berg, "und so wie die Lage zurzeit ist, bleibt die Mehrheit weg."
Auch wenn der Drang in die Vereinigten Staaten in den Naturwissenschaften wesentlich ausgeprägter ist als in Geistes- und Sozialwissenschaften, befasste sich auch die Berliner Tagung in einem eigenen Workshop mit dem Phänomen: Unter dem Motto "Brain Circulation" wurde diskutiert, warum Leute gehen, warum sie zurückkehren und wie ausländische Wissenschaftler nach Deutschland gelockt werden könnten. Neben allen oben genannten Punkten, die sich verbessern ließen, lässt sich die wesentliche Erkenntnis in einem Satz zusammenfassen: Die gefühlte Unsicherheit unter jungen Wissenschaftlern ist enorm. Und nur wer sie verkleinert, schafft Anreize, nach Deutschland zurückzukehren.