Kraft trifft Raum" prangt im Frühjahr 2006 vor der Hamburger Kunsthalle in großen Lettern. Eine überdimensionale Werbeleinwand überzieht die eingerüstete Fassade des Lichtwark-Baus. Doch kein Plakat in eigener Sache hängt hier, stattdessen erobert ein 100.000 Euro teurer Sportwagen lasziv den öffentlichen Raum. Ein deutscher Autohersteller hatte sich das etwas kosten lassen. Und Uwe Schneede, bis Januar des Jahres noch Direktor des Hauses, konnte so zum Ende seiner Laufbahn eine Bruce-Nauman-Arbeit erwerben. Die "Freunde der Kunsthalle" hatten ihm diese nicht finanzieren wollen.
Das Hamburger Verhüllungsszenario ist symptomatisch für die Situation an Deutschlands öffentlichen Museen. Jahresempfänge von Firmen in den Samm-lungsräumen, Blockbuster-Ausstellungen zu Casper David Friedrich, Caravaggio und zur Chinesischen Gegenwartskunst, die mehrere 100.000 Besucher anziehen sollen. Dazu Sponsoren, die mit ihrer Unterstützung Produktwerbung in und an Museen betreiben: Unter dem Druck fehlender Finanzmittel sehen sich viele Häuser gezwungen, neue Wege zu beschreiten.
Seit Mitte der 90er-Jahre haben immer mehr bundesdeutsche Museen den Weg von der bürokratisch verwalteten Kunsthalle zum modern gemanagten Wirtschaftsunternehmen beschritten. Begriffe wie Marktnähe, Kundenorientierung, Controlling und Kostensenkung prägen seitdem den musealen Kunstbetrieb. Die Hamburger Kunsthalle etwa wurde 1999 in eine Stiftung öffentlichen Rechts umgewandelt und muss sich nun als Wirtschaftsunternehmen bewähren. "Als deutlich wurde, dass die Konsolidierungsprogramme der Freien und Hansestadt noch jahrelang anhalten würden", erinnert sich Schneede, "haben wir gesagt: So geht es nicht weiter. Bloß Forderungen nach mehr Geld zu stellen, das bringt nichts." Heute erwirtschaftet die Hamburger Kunsthalle ihre Finanzmittel zur Hälfte selbst.
Die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Mäzenen bestimmt das Tagesgeschäft. In der Folge haben sich auch Typus und Aufgabenbereich des Museumsdirektors radikal verändert. "Es ist seit den 60er-Jahren von Amerika aus kommend so, dass immer mehr Museumsdirektoren, die Kunsthistoriker waren, durch Wirtschaftsmanager ersetzt werden", bedauert der neue Chef der Hamburger Kunsthalle Hubertus Gaßner: "Ich bin Verleger, Fundraiser, Personalchef, Kunsthistoriker. Ich bin Ansprechpartner für die Künstler und ihre Sorgen, Regionalpolitiker, Unterhaltungsdame und Redenschreiber." Der neue Führungsstil verlangt nach Multitasking.
Sonderausstellungen erscheinen als Allheilmittel, um die Einnahmen zu erhöhen. Mit ihnen lassen sich jene Sponsoren gewinnen, zumeist Großkonzerne, die das Kulturereignis für Werbezwecke in eigener Sache nutzen. Besucherzahlen gelten als Messlatte des Erfolgs. Mit ihnen läßt sich die Wirksamkeit der von den Firmen als steuermindernde Betriebsausgaben veranschlagten Investition nachweisen. Kritiker dagegen sprechen von der unheilvollen Tendenz, dass die Museumsprogramme allmählich populistisch werden, weil Kunstwerke als absatzfördernde Werbeträger für Wirtschaft und Tourismusverbände benutzt werden.
Geraten Ausstellungen mit aufklärerischem Impetus zu weniger publikumsträchtigen Themen nicht zwangsläufig ins Hintertreffen? Schließlich hängt der öffentliche Widerhall einer Ausstellung wesentlich von der Höhe des Werbeetats ab. Und der ist nur hoch, wenn genügend Sponsoren angebissen haben.
Gerade Ausstellungen in kleineren Häusern hätten weniger Erfolg, weil hier kaum Mittel für PR und Marketing zur Verfügung stünden, bilanziert Jan Hoet, künstlerischer Direktor am Herforder MARTa - die Abkürzung steht für Möbel (M), Kunst (ART) und Architektur und Ambiente (a). Dort versucht der charismatische Belgier seit Mai 2005 den Spagat zwischen Ausstellungsinhalten und Sponsoring herzustellen: "Das Problem ist heute: Wie kann ich die Versöhnung zwischen Öffentlichkeit, Politik, privaten Unterstützern und individuellen Sammlern realisieren?" Bis vor kurzem schien dem ehemaligen Documenta-Leiter das gelungen zu sein. Die lokale Wirtschaft in Ostwestfalen-Lippe habe man in das Herforder Museum für Design, Kunst, Architektur und Ambiente einbinden können, so Hoet, wenngleich das Fundraising noch hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei. Seit Mai 2005 besteht das Haus und hat bislang rund 180.000 Besucher angelockt. Viele davon kamen wegen Frank Gehry, der den Herforder Museumsaltbau um einen sehr expressiven Gebäudekomplex ergänzt hat. Erste-Liga-Architektur in der Provinz.
Allerdings wird Hoet zukünftig für Budgetüberschreitungen haften müssen. Ein Novum in Deutschland. Der Hintergrund: Durch Probleme in der Bauphase ist der ambitionierte Museumsbau teurer geworden als geplant. Um sich gegen Kritiker zu wehren, die ihm Missmanagement und Fehlkalkulation vorwar-fen, hatte sich Hoet zu diesem Schritt entschlossen. Jetzt wolle er das Sponsoring intensivieren. Auch MARTa muss 50 Prozent des Museumsetats durch Sponsoring decken. Zu Hoets Konzept gehört es, Sponsoren einen eigenen Raum zur Verfügung zu stellen. Dieses "Forum" habe man vom musealen Ausstellungsbereich getrennt, um so der "Konfusion von Kunst und Kommerz" entgegenzuwirken, sagt Hoet.
Er habe den Eindruck, stellt Hoet etwas resigniert fest, dass die Bedeutung des Museums ausschließlich quantitativ bemessen werde. Beispielsweise über den Wert, den die eigenen Exponate im internationalen Auktionsgeschäft erzielen: "Heute bekommen Sammler ihren Input von Sotheby's and Christie's. Alles geht nur über Kommerz und Geld. Auch wir haben die Neigung, uns gegenüber den Politikern mit unseren Sammlungen zu legitimieren: ‚Guckt mal in den Sotheby's-Katalog, wie viel Wert unser Baselitz hat!'" Er als Museumsdirektor wolle aber weiterhin "die Inhalte in den Vordergrund stellen". Dabei kann sich auch das Herforder Museum keineswegs dem Sog entziehen, der sich im Kielwasser der großen Museen aufgetan hat. Hoet setzt auf populäre Wechselausstellungen: "In einer kleinen Stadt wie Herford habe ich keine Möglichkeit, eine Serie monographischer Ausstellungen zu machen. Nach einem Jahr würde - außer am Eröffnungstag - niemand mehr zu uns kommen. Dann wären wir wieder ein Heimatmuseum."
Das Museum ist eine "gemeinnützige, ständig der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die ungeachtet der Herkunft von Finanzmitteln die Kontrolle über den Inhalt und die Unbestechlichkeit ihrer Programme, Ausstellungen und Aktivitäten behauptet". So lautet die Definition in den Richtlinien des Internationalen Komitees der Museen (ICOM). Aber sind beide Grundsätze, die Gemeinnützigkeit und der freie Gedankenaustausch, nicht gefährdet, sobald ein interessengelenkter Raum entsteht und Produktwerbung in Form von Sponsoring im Spiel ist? Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude hat dazu eine eigene Meinung: "Die Welt der Museen ist eine Geschäftswelt", sagt Christo. Aus gutem Grund kommen die beiden ohne Sponsorengelder oder öffentliche Zuwendungen aus. Mit vollem persönlichen Risiko sind die Künstler als Unternehmer in eigener Sache tätig. Ihre temporären Verhüllungs- und Verschönerungsaktionen finanzieren sie selber. Für das Künstlerpaar sind allerdings auch Kunst und Kommerz keine Gegensätze. In vielerlei Hinsicht seien sich diese Bereiche sehr ähnlich, so Christo: "Kunst existiert nicht, wenn sie nicht konsumiert wird!"
Keinerlei Bedenken gegenüber dem Sponsoring hat Hubertus Gaßner von der Hamburger Kunsthalle - angesichts eines dichtmaschigen Netzes aus Stiftern und Spendern: "Ohne private Förderung, ohne Drittmittel können Museen nicht mehr arbeiten. Die Deutschen haben immer diese Teilung aus dem 19. Jahrhundert zwischen Zivilisation und Kultur, Kultur dürfe mit Geld nichts zu tun haben. Aber man muss die Balance und klare Regeln finden." Weil genau diese "Regeln" bislang fehlen, haben sich die Direktoren der 17 größten deutschen Museen im so genannten Leipziger Kreis zusammengefunden. Ziel ist es, eine gemeinsame Charta zu erarbeiten. Sozusagen die zehn Gebote für eine museale Ethik beim Umgang mit Sponsoren. Dies geschehe aber vor allem, um den finanziellen Kuchen besser unter sich aufteilen zu können und um sich untereinander keine Konkurrenz zu machen, sagen die Kritiker. Mit einem Grundsatzpapier der Elefantenrunde ist ohnedies so bald nicht zu rechnen. Noch weniger wohl mit Konsequenzen bei Regelverstößen: Werden Sanktionen nur angedroht oder auch vollstreckt?
Schon jetzt aus der Balance geraten ist die klassische Säulenordnung der Institution Museum: Die Aufgabenbereiche Sammeln und Bewahren drohen auf der Strecke zu bleiben, weil sie nicht so medienwirksam sind wie das Vermitteln und Ausstellen. Angesichts dieser Schieflage erinnert Uwe Schneede die Museen an ihre Kernaufgabe: "Es war lange Zeit so, dass der Bildungsbegriff nicht besonders gern gesehen wurde. Aber wir müssen darauf wieder zurückkommen. Bildung meint etwas Ganzheitliches. Sie ist mit Werten verbunden, weil sie mit der Erfahrung von Geschichte, von Kunstwerken, auch von geistigen Produktionen verbunden ist und zur Bereicherung des Menschen, ob jung oder alt, beiträgt."
Bescheidener dagegen gibt sich Wilfried Gazweiler, kaufmännischer Geschäftsführer der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Das mit Abstand größte Schwergewicht aller deutschen Ausstellungsinstitute wird zu 100 Prozent durch den Bund gefördert. Derzeit ist Guggenheim zu Gast in Bonn, ein von der Telekom gesponserter Publikumsmagnet. Gazweiler bringt die neue Anspruchslosigkeit auf den Punkt: Kunst und Kultur sollen zum Mitmachen einladen und Freude am Leben vermitteln.
Bilder visualisieren unser kulturelles Erbe in eindrücklicher Form. Sie helfen, Vergangenheit und Gegenwart besser zu begreifen. Ob die Museen aber das visuelle Gedächtnis der Menschheit bewahren, ob sie eine aktive Anleitung zum selbständigen Sehen und Denken geben wollen? Oder ob sie ihre Bildungsaufgabe aufgeben, weil die Gemeinnützigkeit durch Sponsoring in Frage gestellt ist und die Bildungsvoraussetzungen selbst immer kläglicher werden?
Bildende Kunst ist enorm prestigeträchtig und genießt ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Darum ist sie so beliebt bei Spendern und Sponsoren - ein Pfund, mit dem die Museen wuchern können. Doch anstatt den Bildungsauftrag zu präzisieren und auf den Stand neuer gesellschaftlicher Anforderungen zu bringen, lenken die Direktoren ihr Managementpotenzial zunehmend auf die Einwerbung von Sponsoren.
Das klingt zwar modern, ist aber nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand. Der Leiter des Bundeskanzleramts, Thomas de Maizière, hat bereits eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts angekündigt. Dann könnten Kulturspenden in wesentlich größerem Umfang als bisher steuerlich abzugsfähig sein: Dürfen bisher lediglich zehn Prozent des Einkommens für Kultur steuerwirksam gespendet werden, so könnten es demnächst bis zu 25 Prozent sein. Auch den Museen würden dann vermehrt Gelder aus privaten Vermögen zufließen, die nicht an Werbemaßnahmen gekoppelt wären. Vielleicht wäre dann auch der freie Eintritt in die ständigen Sammlungen durchsetzbar.
Ein Besuch in der Berliner Alten Nationalgalerie kostet eine vierköpfige Familie mit Kindern über 16 Jahren 24 Euro Eintritt. Der Besuch der ständigen Sammlung ist an den Nationalgalerien in Washington und London kostenlos. Und die Häuser sind voll.