Arbeit und Soziales. Die Sozialhilfe für in Heimen wohnende behinderte Menschen wird auch künftig als Vorleistung gewährt. Einen entsprechend geänderten Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zwölften Sozialgesetzbuch ( 16/2711) beschloss der Bundestag in seiner Sitzung am 19. Oktober. Mit dem Gesetz verbunden ist auch die Anhebung des Sozialhilferegelsatzes in Ostdeutschland auf das Westniveau von monatlich 345 Euro.
In einer Anhörung am 16. Oktober hatten Experten vor einer massiven Überforderung der Menschen mit Behinderungen gewarnt, falls die ursprünglich geplante - und von den Ländern gewünschte - Umstellung vom Brutto- auf das Nettoprinzip bei der so genannten stationären Eingliederungshilfe gekommen wäre. In Heimen lebende Behinderte beziehungsweise deren Betreuer hätten dann den Eigenanteil ermitteln und selbst an die betreuende Einrichtung entrichten müssen. Das ist nun vorerst vom Tisch, soll aber, wie die Koalitionsfraktionen betonten, zu einem späteren Zeitpunkt erneut diskutiert werden.
Nach Angaben des Deutschen Behindertenrates werden rund 145.000 behinderte Menschen vollstationär betreut. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hatte sich in der Anhörung für das Nettoprinzip ausgepsrochen. Damit könne eine "stärkere Selbstbestimmung behinderter Menschen" erreicht werden. Dieser Auffassung folgten die Abgeordneten nicht.
Weitgehend unstrittig war bei den Experten dagegen die Anhebung des Sozialhilferegelsatzes in Ostdeutschland von 331 auf 345 Euro. 16 Jahre nach der deutschen Einheit gibt es damit vom 1. Januar 2007 an einen einheitlichen Sozialhilfesatz in ganz Deutschland. Der Bundesrat muss dieser Regelung allerdings noch zustimmen. Beim Arbeitslosengeld II wird bereits ein einheitlicher Regelsatz von 345 Euro gezahlt.
Beschlossen wurde zudem eine Kappungsgrenze für Zuverdienstmöglichkeiten von Sozialhilfeempfängern. Wenn der Verdienst 50 Prozent über dem Regelsatz liegt, wird das Einkommen oberhalb dieser Grenze nicht mehr zu 30 Prozent, sondern im vollen Umfang angerechnet. Die FDP-Fraktion scheiterte in diesem Zusammenhang mit einem Entschließungsantrag ( 16/3006), die Zuverdienstmöglichkeiten nicht zu verschlechtern.
In der Anhörung setzte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nachdrücklich dafür ein, ein bundeseinheitliches Existenzminimum zu garantieren. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) forderte hingegen regional differenzierte Höchstregelsätze. Der Paritätische Wohlfahrtsverband verlangte, den Regelsatz auf Grundlage der Verbraucherpreisindizes auf 415 Euro in ganz Deutschland anzuheben und für Kinder einen gesonderten Bedarf zu ermitteln. Bislang werde dieser lediglich von dem Bedarf eines allein stehenden Erwachsenen abgeleitet, der erfahrungsgemäß keinen Bedarf beispielsweise an Windeln und Schulsachen habe.
Für eine kurzfristige Anhebung des Regelsatzes auf 420 Euro sprach sich auch die Fraktion Die Linke in einem Antrag ( 16/2743) aus. Dieser wurde aber im Plenum abgelehnt. Der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, verwies auf Mehrkosten von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Ebenfalls keine Mehrheit fanden zwei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 16/2750 und 16/2751), die sich mit der Neuberechnung der Sozialhilfesätze und der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen befassten.