Wirtschaft und Technologie. Der Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie ist unter Experten umstritten. Das wurde am 16. Oktober während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie deutlich. Die Richtlinie hat zum Ziel, den Binnenmarkt in der EU zu liberalisieren und soll dem Europaparlament noch in diesem Herbst zur zweiten Lesung vorgelegt werden. Im Frühjahr hatten sich die großen Fraktionen in Straßburg darauf geeinigt, das Herkunftslandprinzip zur Öffnung der Märkte zu streichen. Damit können Dienstleister aus EU-Mitgliedstaaten ihre Dienstleistungen in Ländern anbieten, in denen sie nicht niedergelassen sind, und unterliegen den dort geltenden Regeln.
Während Vertreter der deutschen Industrie diese Lösung lobten, äußerten die Gewerkschaften Kritik. Peter Korn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) nannte die Dienstleistungsrichtlinie "positiv" und "überfällig" und bescheinigte ihr, zu mehr Liberalisierung beizutragen. Sie werde für die Wirtschaft in Deutschland und Europa "erhebliche Vorteile" bringen, "besonderen Profit" würden daraus die mittelständischen Unternehmen ziehen.
Wie Korn begrüßte auch Dirk Palige vom Zentralverband des Deutschen Handwerks die Richtlinie. Man bewerte den Entwurf "grundsätzlich positiv" und sei insbesondere "sehr zufrieden mit der Streichung des Herkunftslandsprinzips". Der Kompromiss werde dabei helfen, "unfaire Praktiken" in den Mitgliedstaaten ebenso abzubauen wie Bürokratie. Durch die geplante Einrichtung einheitlicher Ansprechpartner würden Existenzgründungen "erleichtert und beschleunigt". Die jetzt vorliegende Richtlinie "verhindert einen Wettbewerb um das laxeste Recht", während der ursprüngliche Vorschlag zu einem Wettbewerb um die geringsten Standards geführt hätte.
Gänzlich anderer Ansicht waren die Gewerkschaftsvertreter: Sowohl Annelie Buntenbach vom DGB als auch IG-Bau-Vertreter Frank Schmidt-Hullmann kritisierten die Richtlinie. Dass die Richtlinie tatsächlich zu mehr Arbeitsplätzen führen werde, sei nicht sicher. Buntenbach befürchtete einen Verlust sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und damit die "Beschleunigung einer Tendenz, mit der wir ohnehin zu kämpfen haben".
Vor allem bei den Regelungen zum Herkunftslandprinzip gebe es eine Reihe von Unklarheiten, die zu Rechtsunsicherheiten führen. Darauf wies auch Schmidt-Hullmann hin. Mit dem Inkrafttreten seien große Teile der Handwerksordnung nicht mehr umzusetzen und große Teile des nationalen Rechts nicht mehr anwendbar. Ein "Rechtschaos" und ein "Stillstand der Rechtspflege" seien zu befürchten. Auch Margret Mönig-Raane von der Vereinten Dienstleis-tungsgewerkschaft Verdi nannte alle bisherigen Untersuchungen zur Zahl der Arbeitsplätze, die sich aufgrund der Dienstleistungsrichtlinie ergeben könnten, "hochspekulativ".
Massive Kritik an der Richtlinie - jedoch aus gänzlich anderer Perspektive - übte Christoph von Knobelsdorff von der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer. Er meinte, das Ziel, den EU-Binnenmarkt zu vollenden, sei mit diesem Entwurf kaum noch erreichbar. Dafür wäre das Herkunftslandprinzip der "Schlüssel" gewesen. Durch eine konsequente Anwendung dieses Prinzips hätten "zahlreiche Rechtsunklarheiten" vermieden werden können, mit denen man nun konfrontiert sei.
Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung urteilte differenziert: Während dort, wo es um Standardisierungen gehe, vor allem große Unternehmen profitierten, hätten kleine und mittlere Betriebe die Chance, sich über Produktspezialisierungen zu profilieren und einen "großen Markt für kleine Ideen" zu erschließen. Aussagen über Arbeitsmarktentwicklungen zu treffen, gehe jedoch in den Bereich der ökonomischen Spekulation. Aus ökonomischer Sicht plädierte er dafür, die Wirkungen der Richtlinie abzuwarten und zu beobachten.