Finanzen. Eine "Sofortbesteuerung" von aufgedeckten betrieblichen stillen Reserven bei Unternehmen, die ihren Sitz ins Ausland verlagern, ist am 18. Oktober auf die überwiegende Kritik der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses gestoßen. Diese Sofortbesteuerung ist Bestandteil des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und der Europäischen Genossenschaft ( 16/2710).
Er sieht unter anderem vor, dass künftige stille Reserven in allen Fällen aufgedeckt und besteuert werden sollen, in denen ein Rechtsträgerwechsel (durch Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge) stattfindet, in denen Vermögen den Betrieb verlässt, die Steuerpflicht endet oder Wirtschaftsgüter dem deutschen Besteuerungszugriff entzogen werden. Nach Auffassung der Regierung entzieht die Sofortversteuerung dem Unternehmen zwar Liquidität, doch würde sich dies über die Lebensdauer eines Wirtschaftsguts wieder ausgleichen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme der "ausnahmslosen Sofortversteuerung" sämtlicher stiller Reserven eine "mildere, aber ebenso wirksame" Besteuerungsmethode in Form einer Stundungsregelung gegenüber gestellt.
Professor Wilhelm Haarmann vom Institut der Wirtschaftsprüfer meinte, der Gesetzgeber versuche hier, Löcher zu stopfen, und gefährde dadurch das Steueraufkommen Deutschlands. Er riet aus europarechtlichen Gründen dazu, wie vom Bundesrat vorgeschlagen eine Stundungsregelung anstelle der Sofortversteuerung zu setzen. Durch die jetzt geplante Regelung werde keineswegs erreicht, dass "Besteuerungssubstrat" im Lande bleibt. Wolfgang Seibel vom Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter bezweifelte ebenfalls, dass die Sofortversteuerung vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand hätte. Nach seiner Auffassung hätte der Vorschlag des Bundesrates verdient, dass darüber mehr nachgedacht würde.
Dieser Auffassung schloss sich auch Herbert Becherer von der Bundessteuerberaterkammer an. Im geplanten Wegfall bestehender Verlustvorträge sah er auch Hindernisse für sinnvolle wirtschaftliche Umstrukturierungen in Unternehmen. Dadurch werde das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit gefährdet. Becherer empfahl, im Hinblick auf dieses Problem zu einer EU-Regelung zu gelangen. Jens Blumenberg von der Anwaltssozietät Linklaters Oppenhoff & Rädler sagte, die Möglichkeit der Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft gebe es bereits seit 2004. Sie werde allerdings nicht genutzt, weil eine Sitzverlegung ins Ausland zu einer steuerlichen Geis- terfahrt werden könne.
Die Bundesregierung hat inzwischen den Vorschlag des Bundesrates abgelehnt, eine Stundungsregelung für die Besteuerung stiller Reserven bei der Überführung betrieblich genutzter Wirtschaftsgüter in andere EU-Staaten anzubieten. Dies geht aus ihrer Gegenäußerung ( 16/2934) zur Stellungnahme der Länderkammer zu dem Gesetzentwurf hervor. Der Bundesrat hatte empfohlen, ergänzend zur Sofortversteuerung die Möglichkeit einer "zeitlich gestreckten Besteuerung" der stillen Reserven zu schaffen. Er hatte auf die europarechtliche Problematik verwiesen, dass beim Wegzug in das EU-Ausland eine Sofortversteuerung greift, während bei einem Umzug innerhalb Deutschlands grundsätzlich keine Steuern anfallen. Die in dieser Ungleichbehandlung liegende Beschränkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages sei nicht zu rechtfertigen.
Die Regierung stellt fest, dass eine Steuerstundung vor dem Hintergrund des derzeitigen Harmonisierungsstandes innerhalb der EU bei der direkten Besteuerung "nicht zu administrieren" sei. Hinzu komme, dass bei der Beitreibung von Abgaben, Zöllen und Steuern die deutschen Steueransprüche angesichts der Art und Weise, wie die Bestimmungen über die gegenseitige Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten derzeit angewendet würden, nicht gesichert sei.