Für die Demokraten ging es bei den Kongresswahlen am 7. November darum, das Ergebnis von 1994 zu korrigieren und die verlorenen Mehrheiten zurückzugewinnen. Den Anfang machte Indiana, wo gleich drei demokratische Kandidaten die republikanischen Amtsinhaber besiegten. Es folgten Connecticut, Florida, Kentucky, New Hampshire, North Carolina und New York. Als die Wahllokale an der Westküste schlossen, hatte die Demokratische Partei ihr erstes Etappenziel, die Mehrheit im Repräsentantenhaus, bereits erreicht. Das bedeutet, dass die Demokraten künftig die Gesetzgebung kontrollieren. Sie stellen auch die Vorsitzenden sämtlicher Ausschüsse und Unterausschüsse und entscheiden, was auf die Tagesordnung kommt und was nicht. In den USA gilt das Motto des reinen Mehrheitswahlrechts, dem Sieger die ganze Beute und den anderen nichts.
Das Rennen um die Mehrheit im Senat dauerte ungleich länger. Als erster republikanischer Senator scheiterte in Pennsylvania Rick Santorum. Gleiches widerfuhr in Rhode Island Lincoln Chafee, dem letzten liberalen Republikaner im Senat. Er hatte mehrfach gegen Präsident Bush, sogar gegen den Angriff auf den Irak gestimmt. Obwohl angeblich 70 Prozent der Wähler mit Chafees Amtsführung zufrieden waren, ließen sie ihn scheitern, weil sie es vorzogen, Präsident Bush eine Quittung zu erteilen. Der Grundsatz, dass bei Kongresswahlen lokale Belange entscheiden und nicht die nationalen Themen, schien überholt. Tatsächlich kämpften republikanische Kandidaten in allen Regionen gegen die zunehmende Kritik am Geschehen im Irak, gegen den dramatischen Ansehensverlust des Präsidenten, gegen die noch geringere Wertschätzung des Kongresses, der unter republikanischer Führung von einem Skandal in den anderen schlitterte.
In 33 Bundesstaaten wurden Senatoren gewählt. Die Demokaten brauchten einen Nettogewinn von sechs Mandaten. Bei fünfen wäre eine Pattsituation entstanden, die der Präsident des Senats, nämlich Vizepräsident Cheney, dann zugunsten der Republikaner aufgelöst hätte. Erst sechs zusätzliche Sitze brachten die Mehrheit. Das ließ sich gut an; aber nach Erfolgen in Pennsylvania, Rhode Island, Ohio und Missouri geriet der demokratische Vormarsch ins Stocken. Erst am folgenden Tag konnte der demokratische Kandidat in Montana sicher sein, den republikanischen Amtsinhaber mit einer hauchdünnen Mehrheit der Stimmen geschlagen zu haben. Nun hing alles vom Ausgang in Virginia ab.
Über Monate schien die Wiederwahl George Allens, der schon als potenzieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner gehandelt wurde, eine Formsache zu sein. Und dann geschah das Unerwartete. Am zweiten Tag nach der Wahl räumte Senator Allen ein, dass er mit dem Bruchteil eines Prozents der abgegebenen Stimmen gescheitert war. Es siegte der Schriftsteller, Vietnamveteran und Ex-Republikaner Jim Webb, der kurze Zeit Marineminister unter Ronald Reagan gewesen war.
Mit dem Erfolg in Virginia hatten die Demokraten im Senat wie im Repräsentantenhaus die zwölf Jahre zuvor verlorene Mehrheit zurückerobert. Wobei Senator Lieberman von Connecticut, der in der demokratischen Vorwahl scheiterte und die Wahl als Unabhängiger gewann, der Einfachheit halber den Demokraten zugerechnet wird.
So hauchdünn einige der Rennen entschieden wurden, zusammengenommen führten sie zu einer erdrutschartigen Veränderung der politischen Landschaft. Die sechsjährige Alleinherrschaft der Republikaner war beendet. Vom 3. Januar an muss sich Präsident Bush mit einer demokratischen Kongressmehrheit auseinandersetzen. "Die Wahl ist zu Ende, und die Demokraten haben gewonnen", war seine erste Reaktion. Wie selbstverständlich gingen ihm fast schon vergessene Begriffe wie "überparteilich" und "Zusammenarbeit" über die Lippen.
Aber das kommt nicht von ungefähr. Das Wahlergebnis hat eine generelle Flurbereinigung unvermeidlich gemacht. Die Entlassung von Verteidigungsminis-ter Donald Rumsfeld ist eine Vorleistung im Zuge des unvermeidlichen Konfrontationsabbaus. Beide Seiten hoffen, dass die Vorschläge einer überparteilichen Sondierungskommission die Möglichkeit einer allseits akzeptablen Kurskorrektur der Irakpolitik eröffnen. Wobei es mit Sicherheit nicht zu einem überstürzten Abzug amerikanischer Truppen kommen wird; dass die neue Mehrheit dem Militär kurzerhand den Geldhahn abdreht, ist auch nicht zu erwarten. Bush und die Republikanische Partei müssen sich nun von der Vorstellung verabschieden, dass sich konservative Mehrheiten auf Dauer sichern lassen. Auch wenn die Demokraten geschlagene zwölf Jahre brauchten, um wieder ans Ruder zu kommen. Diesmal hat weder die Mobilisierung der konservativen Basis noch der unverhohlen auf den Machterhalt zielende Zuschnitt der Wahlkreise geholfen, die politisch immer homogener und geografisch immer skurriler werden.
Für Präsident Bush, der seinerzeit nur mit Ach und Krach ins Weiße Haus gelangte, war dies die erste Wahlniederlage überhaupt. Vor vier Jahren stellte er die Regel auf den Kopf, dass die Partei im Besitz des Weißen Hauses bei Zwischenwahlen automatisch Stimmen verliert. Wobei ihn trösten mag, dass der Mehrheitsverlust seiner Partei ihn erst im sechsten Amtsjahr traf und nicht wie Bill Clinton schon im zweiten. 1994 konnten die Republikaner den Demokraten im Repräsentantenhaus 52 Mandate abnehmen. Das war das Ende einer 40-jährigen Vorherrschaft der Demokraten. Präsident Clinton brachte anschließend das Kunststück fertig, die Republikaner politisch zu umarmen und taktisch immer wieder auszumanövrieren. Ob Bush Ähnliches versucht, bleibt abzuwarten. Wie zuvor Clinton wird künftig auch Bush mit wechselnden Mehrheiten operieren oder von seinem Vetorecht Gebrauch machen. Die "gespaltene Regierung", sonst in parlamentarischen Systemen kaum vorstellbar, gilt in Amerika fast als Normalfall. Zumal Amerikaner Abstimmungen, die exakt entlang der Parteigrenzen verlaufen, immer schon mit dem Misstrauen begleiteten, es könne da weniger um die Sache als um die schnöde Parteipolitik gegangen sein.
Der Sprung von der Opposition in die Mitverantwortung wird auch den Demokraten einiges abverlangen. Zahlreiche Umfragen nähren den Verdacht, dass ihnen nicht die eigene Leistung, sondern die Fehler der Republikaner den Sieg beschert haben. Vor der Wahl lasen James Carville und Paul Begala, zwei Architekten der Clinton-Ära, ihren Parteifreunden die Leviten. Sie hätten es nicht verstanden, ihre Botschaft zu präzisieren, den Gegner anzugreifen und die Wähler zu inspirieren. Viele Wähler verstünden, dass die Republikaner nicht ihre wirtschaftlichen Interessen verträten; sie fürchteten aber, dass die Demokraten ihre Kultur, ihre Werte und ihre Religion nicht respektierten. Die Demokratische Partei müsse eine Partei der Familie, des Glaubens und der Flagge sein.
Der Triumph vom 7. November lässt den Demokraten nur wenig Zeit, sich über sich selbst zu verständigen. Der Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2008 wird in Kürze beginnen.