In der Endphase des Wahlkampfes malten republikanische Kandidaten reihenweise den Teufel an die Wand: "Wollt Ihr Nancy Pelosi auf dem Sitz des Speakers sehen? Nancy Pelosi aus San Francisco!" Was mit der richtigen Betonung wie "Sündenbabel" klang. Kalifornien im Allgemeinen und San Francisco im Besonderen gelten als Inbegriff liberaler Freizügigkeit, die manchem im konservativen Amerika ein Gräuel ist. Erfolgreich kann dieser Abschreckungsversuch trotzdem nicht gewesen sein; denn wenn der Wahlerfolg der Demokraten überhaupt ein Gesicht hat, dann ist es das von Nancy Pelosi.
Das Repräsentantenhaus wird sie auf der konstituierenden Sitzung des 110. Kongresses am 3. Januar zum "Speaker" - der Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus - wählen. Bereits damit wird Nancy Pelosi in die Geschichtsbücher eingehen, denn in der 218-jährigen Geschichte des Hauses ist noch keine Frau in dieses machtvolle Amt vorgedrungen. Entsprechend strahlend wird Madame Speaker in die Kameras schauen. Sie selbst glaubt, damit eine marmorne Decke zu durchstoßen, was eine Reminiszenz der massiv ausladenden Architektur des Kapitols sein dürfte.
Dass sie in der Nachfolge des Präsidenten an die zweite Stelle rückt, sofern diesem und auch dem Vizepräsidenten etwas zustoßen sollte, spricht für die Würde des Amtes. Im Übrigen dürfte Nancy Pelosi mehr im Sinn haben als die Besetzung der Führungspositionen und Ausschussvorsitze. Schon das ist ein Unterfangen, das selten ohne Blessuren abgeht. Erste Rempeleien zeichnen sich bereits ab. Aber wie sagt der Abgeordnete David Obey aus Wisconsin? "Nancy hat die Entschlossenheit und Zähigkeit der Margaret Thatcher; sie bleibt aber nett dabei." Hin und wieder stellt sie die Stimmlage in Aussicht, mit der sie ihre fünf Kinder erzog. Dann weiß jeder, dass weiterer Widerspruch zwecklos ist.
Die designierte Speakerin kam 1940 als Nancy D'Alesandro in Baltimore zur Welt, wo ihr Vater Thomas Bürgermeister war. Sie heiratete den Investmentbanker Paul Pelosi, mit dem sie nach Kalifornien zog. In die Politik geriet sie vergleichsweise spät, weil ihr die Erziehung der Kinder wichtiger war. Seit 1987 vertritt Frau Pelosi praktisch unangefochten Kaliforniens achten Wahlbezirk im Repräsentantenhaus. Sie gehörte dem Haushaltsbewilligungsausschuss und zehn Jahre lang dem Geheimdienstausschuss an, bevor sie 2002 als Nachfolgerin Dick Gephardts an die Fraktionsspitze der Demokraten gewählt wurde. Auch diese Position hatte zuvor noch keine Frau erreicht.
Nach dem überzeugenden Sieg hat Nancy Pelosi eine Ära der Höflichkeit und Überparteilichkeit in Aussicht gestellt; worauf die "Washington Post" schrieb, das müsse der Engel auf ihrer Schulter sein. Was wohl auch nur bedeutet, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Ähnliches hatten 1994 die Republikaner proklamiert, als den Demokraten dämmerte, dass sie nun doch nicht mehr die geborene Mehrheitspartei seien.
Nancy Pelosi erklärt, den Demokraten gehe es um Erfolge und nicht darum, erlittene Unbill zu vergelten. Natürlich weiß sie, dass auch der Präsident nicht anders kann, als auf die neue Mehrheit zuzugehen. Er kann unmöglich weiter behaupten, der demokratische Ansatz führe dazu, dass die Terroristen siegen und Amerika verliert.
Auf der anderen Seite fragen sich Beobachter schon, ob denn die Erzkonservativen Bush und die Fortschrittlich-Liberalen Nancy Pelosi gestatten werden, die unerlässlichen Kompromisse zu schließen. Charly Rangel, ein alter Haudegen aus New York, verspricht Hilfestellung; er will den neuen Abgeordneten klarmachen, dass sie überhaupt nichts erreichen, wenn sie zunächst ausstehende Rechnungen begleichen. Man wird sich abtasten und das Mögliche wagen; denn der nächste Wahltag kommt bestimmt. Am Dienstag nach dem ersten Montag im November des Jahres 2008.