Unerwartet reibungslos verliefen die Verhandlungen zwischen Rot und Rot in Berlin. Knapp fünf Wochen lang dauerten die Koalitionsgespräche zwischen der SPD von Klaus Wowereit - dem alten und neuen Regierenden Bürgermeister - und der Linkspartei/PDS, die bei der Wahl im September eine harte Niederlage einstecken musste. Heraus kam ein gut 80 Seiten langer Koalitionsvertrag, bisher noch im Entwurf, mit dem Titel: "Berlins Zukunft gestalten - aus eigener Kraft!" Das Ausrufezeichen ist dabei durchaus als eine Art Selbstermutigung zu lesen. Geht es doch in der Hauptstadt darum, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Oktober, das Berlins Klage auf Schuldenhilfe durch den Bund rigoros abgewiesen hatte, ohne zusätzliche Finanzhilfen auszukommen. Wer aber geglaubt hatte, die Neuauflage des rot-roten Bündnisses in der Hauptstadt werde allein deswegen scheitern, sah sich schnell getäuscht.
Den Sozialisten, die sich nach der Niederlage mehr Profilbildung vorgenommen hatten, gelang es nämlich, ihre wesentlichen Wahlversprechen im Koalitionsvertrag unterzubringen und wenn auch in abgespeckter Form wieder drei Senatsposten zu ergattern. Nach der Berliner Verfassung gibt es in der Stadt insgesamt acht Senatoren und einen Regierenden Bürgermeister. Auch das Karlsruher Urteil gefährdete die Verhandlungen zur Regierungsbildung nach anfänglichen Irritationen keineswegs: Waren sich die rot-roten Partner doch sofort einig, jede Form von "Kürzungsmasochismus", wie es Klaus Wowereit nannte, zu vermeiden. Als erste Reaktion auf Karlsruhe wurden denn auch nicht zusätzliche Sparmaßnahmen verhängt, sondern die Einnahmen aufgestockt. Höhere Grund- und Grunderwerbsteuern sollen von 2007 an etwa 225 Millionen Euro mehr für den hoch verschuldeten Etat von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) bringen, der sich auf seine ganz eigene Weise freute: "Endlich kann ich mal Steuern erhöhen", sagte er. Ein mehr als doppelt so hohes Plus bringen freilich die Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Umsatzsteuer und das deutschlandweit kräftigere Wachstum.
Alles zusammen bedeutet für die Koalitionäre, bereits im kommenden Jahr wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen zu können, bei dem die Neuverschuldung unter der Investitionshöhe bleibt. Dennoch liegt eine wirkliche Sanierung der Berliner Finanzen in weiter Ferne. Der Schuldenberg von derzeit 61 Milliarden Euro wächst bis zum Ende der Wahlperiode 2011 auf knapp 66 Milliarden, die jährlichen Zinszahlungen kletterten von 2,4 Milliarden auf gut drei Milliarden Euro, Tendenz steigend. Eine Antwort auf die 2010 rapide schwindenden Mittel für Berlin aus dem Solidarpakt II hat die Hauptstadt ebenfalls nicht. Das heißt: Rot-Rot hat die Lösung des Finanzproblems verlagert - auf die nächsten Legislaturperioden.
Im Koalitionsvertrag, den die Parteitage von SPD und Linkspartei am dritten Novemberwochenende bestätigen sollen, steht zum Thema Sparen: Man wolle "keine neuen Ausstattungsvorsprünge gegenüber den anderen Ländern schaffen, sofern solche nicht zur nachhaltigen Stärkung der Zukunftspotenziale, insbesondere Bildung und Wissenschaft, unverkennbar geeignet sind". Dies ist die verklausulierte Begründung für das Einlösen zweier Wahlversprechen. Eines stammt von der SPD: die kostenlose Betreuung für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, die bis 2011 kommen soll und den Etat dann mit geschätzten 37 Millionen Euro belastet.
Das andere stammt von der Linkspartei: Es ist der 22 Millionen Euro teure Modellversuch einer Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild, in der Kinder von Klasse eins bis zehn gemeinsam lernen, ohne auf die drei Oberschularten aufgeteilt zu werden. Die Linkspartei setzte sich darüber hinaus mit einem eigenen Projekt für Langzeitarbeitslose durch, von dem sich ihr Wirtschaftssenator Harald Wolf auf Dauer eine Alternative zu den Ein-Euro-Jobs verspricht: Mit vorhandenen Fördermitteln sollen zunächst 2.500 gemeinnützige Jobs für ältere und schwer vermittelbare Erwerbslose geschaffen werden.Im Übrigen interpretieren SPD und Linkspartei/PDS ihr in der Koalitionspräambel formuliertes Ziel einer "Balance zwischen Haushaltskonsolidierung und sozialer Verantwortung" so: Studiengebühren werden abgelehnt, Privatisierungen der landeseigenen Wohnungsbestände sind zu vermeiden, der Bund wird aufgefordert, die Kosten für die Hauptstadtsicherheit und die Sanierung der maroden Staatsoper Unter den Linden zu übernehmen. Zudem sieht sich Berlin außerstande, den versprochenen Landesanteil am geplanten Humboldt-Forum auf dem Schlossplatz aufzubringen. Verhandlungen darüber, etwa im Rahmen der neuen Hauptstadt-Klausel im Grundgesetz, stehen aus. Das Ergebnis wird vom Geschick Wowereits abhängen, der nach einer Neuaufteilung der Ressorts auch die Zuständigkeit für Kultur übernommen hat. Ihr Motto von der Zukunftsgestaltung für Berlin sieht die Koalition vor allem mit dem neuen Ressort Bildung, Wissenschaft und Forschung umgesetzt, für das die SPD noch eine Leitung sucht. Der künftige Senator oder die Senatorin wird vom Kindergarten bis zur Exzellenzinitiative für die Bildung zuständig sein - der wichtigsten Ressource der verarmten Hauptstadt.