EVANGELISCHER KIRCHENTAG
Politiker stellen sich harten Diskussionen
Kurz vor Beginn des Evangelischen Kirchentags in Köln hätte es fast noch einen ökumenischen Missklang gegeben. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner, ein strenger Herr mit ebensolchen Vorschriften in puncto Glauben, sah im Programm des Kirchentags nicht viel mehr als ein "Leipziger Allerlei". Er sprach zugleich die Hoffnung aus, dass es sich am Ende des Treffens zu "Kölner Deutlichkeit" konkretisiert haben werde. Kirchentagspräsident Reinhard Höppner, früher Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, nahm's mit Humor und bemerkte "als Ostdeutscher", Leipziger Allerlei sei ein "sehr schmackhaftes Gericht - und es sättigt auch".
Gekostet hat der Kirchentag rund 14 Millionen Euro (siehe Kasten), "das ist kaum mehr als der Zaun in Heiligendamm", wie Höppner spitz bemerkte. Beliebte Redner wie die Theologen Jörg Zink und Fulbert Steffensky sowie der Benediktinermönch Anselm Grün lockten auch diesmal wieder bis zu 5.000 Teilnehmer in eine einzige Veranstaltung.
Es sind zum einen diese "spirituellen Großmeister" (so ein inzwischen gängiger Begriff), die den Kirchentag prägen. Zum anderen waren es früher schon und waren es auch diesmal wieder aktuelle politische Themen, die zwangsläufig die mehr auf Politik und Gesellschaft zielenden Veranstaltungen bestimmten und an denen auch diesmal wieder zahlreiche Politiker aus Bund und Ländern teinahmen.
Immer wieder kreisten die Diskussionen um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Einmal unter dem Aspekt einer gerechteren Weltordnung, die viele Besucher und die meisten der auf dem Markt der Möglichkeitern ausstellenden Gruppen den großen Industriemächten nicht mehr zutrauen. Zum anderen war die Verhältnismäßigkeit der Sicherheitsvorkehrungen Thema. Eine Direktschaltung vom Kirchentag nach Rostock zu einem dort abgehaltenen Rock-und Protestkonzert mit Herbert Grönemeyer (er engagiert sich seit Jahren für Afrika) sollte ungeteilte Sympathie für die Protestierer zeigen. In puncto Gewalt war allerdings die Haltung eindeutig: Keine kriminellen Akte bei Demonstrationen, für welches Ziel auch immer. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle, der dazu in einem Forum sprach, warnte zugleich davor, den massiven Protest gegen die Politik der Bush-Administration in einen plumpen Anti-Amerikanismus abgleiten zu lassen: "Die Wertegemeinschaft der Völker darf nicht infrage stehen; sie muss auch Regierungen überdauern, die man nicht mag."
Die Kirchentage verstehen sich fast zwangsläufig als ein Ort der Wahrheitssuche und der Glaubensvergewisserung. Das bekommen auch Politiker zu spüren, wenn sie vor solchen Foren auftreten, sei es mit einer Bibelarbeit, sei es in Vorträgen oder in Hearings, die verbindlich im Ton, aber doch hart, ja mitunter schroff in der Sache verlaufen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der sich einem solchen Hearing gestellt hatte, musste viele kritische, zweifellos mitunter auch ungeschickte oder wenig sachliche Fragen beantworten. Er versuchte dabei deutlich zu machen, dass es in der Politik einfach keine klaren Antworten geben kann und dass das, was in der Öffentlichkeit meist als "Streit" der Parteien gesehen wird, in Wirklichkeit die harte Diskussion über schwierige Fragen ist, bei der sich eindeutige Antworten einfach verbieten. Aber er spürt es ja auch an sich selbst: "Je schwieriger eine Situation ist, desto mehr wollen wir einfache, klare Antworten."
Mit nur mühsam gezähmtem Zorn hatte der frühere niedersächsische Justizminister Christian Pfeifer die Flut gewaltverherrlichender Computerspiele attackiert. Er zitierte aus der Gebrauchsanweisung eines dieser Tage erschienenen Spiels, wie man einen unliebsamen Gegner vor der Tötung noch so richtig foltert, den makabren Satz: "Lass ihn langsam ausbluten wie ein Schwein" und fragte dann empört: "Was ist das für eine Gesellschaft, die erlaubt, dass solch ein Spiel auf den Markt kommt?" Mit Verboten allein komme man allerdings kaum weiter. Sein Vorschlag: "Verbessern wir die Nachmittage unserer Kinder, um sie vor der Medienverwahrlosung zu retten."
Tradition haben auf den Kirchentagen der christlich-jüdische und der christlich-muslimische Dialog. Gerade letzterer hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das auf offizieller Ebene zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland (EKD) und den Verbänden der Muslime in jahrelanger Kleinarbeit erreichte Vertrauensverhältnis ist in jüngster Zeit erheblich gestört, nachdem die EKD Ende des vergangenen Jahres eine sogenannte Handreichung zum Thema "Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland" veröffentlicht hatte. Die darin genante "Klarheit" drückte stärker als bislang die unterschiedlichen, teilweise konträren Standpunkte zu religiösen und gesellschaftspolitischen Fragen aus, was auf muslimischer Seite erhebliche Irritationen geweckt hatte. Jetzt auf dem Kirchentag kam es zwischen dem EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber und dem Vorsitzenden der Muslime in Deutschland Ayyub Köhler zu einem hitzigen Wortwechsel. Huber erklärte dabei, ein Staat dürfe sich selbst niemals religiös begründen. Wenn sich das Grundgesetz mit seiner in der Präambel genannten "Verantwortung vor Gott und dem Menschen" zur jüdisch-christlichen Tradition in Deutschland und Europa bekenne, so "wäre das keine Einschränkung der Religionsfreiheit".
Die Auseinandersetzung mit aktuellen und grundsätzlichen Fragen zu Politik und Gesellschaft ist die eine Seite des Kirchentages. Die andere ist die fröhliche Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, sind Gottesdienste und musikalische Events. Am Eröffnungstag wurde nach Einbruch der Dunkelheit die Hohenzollernbrücke mit einem rot erleuchteten Fisch, dem Symbol des Kirchentages, illuminiert. Im zentralen Viertel zwischen Brücken und Rheinufern wurde eine für Posaunenchor geschriebene Hymne "Abendglühn" des Komponisten Markus Stockhausen uraufgeführt. 1.500 Bläser bereiteten den Hunderttausenden einen großen Abend. Selbst Einheimische staunten: So etwas hatte "Kölle" noch nicht erlebt.