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Intraregionale Reisen dominieren, Fernreisen sind nur ein kleines Segment im grenzüberschreitenden Urlaubsverkehr
Im elegantesten Haus der Stadt, nach Angaben der Hotelgesellschaft Shangri-La "eine Oase des vornehmen Luxus und diskreten Service", tagte in Kuala Lumpur vom 4. bis 6. Juni 2007 die Welt-Tourismuskonferenz, eine Veranstaltung der einstigen UN-Welttourismusorganisation WTO, die wegen der ständigen Verwechslungen mit der Welthandelsorganisation WTO seit 2005 unter dem Kürzel UNWTO firmiert. Thema des Treffens: Tourism Success Stories and Shooting Stars - Erfolgsgeschichten und Überraschungssieger in den Tourismusländern dieser Welt. Solche Geschichten schrieben in den vergangenen zehn Jahren beispielsweise die ökonomischen Riesen China, Russland und Indien, während das öl- und neureiche mittelasiatische Land Kasachstan von den Insidern der internationalen Tourismusszene als der überraschende Shooting Star gefeiert wird.
Bei all den auf dieser Welt-Tourismuskonferenz erwähnten Trends, Strategien und Plänen griffen die Experten in Malaysias Hauptstadt stets auf jene hauseigenen UNWTO-Statistiken zurück, die unter der Sammelbezeichnung "Tourism 2020 Vision" als Basis jeglicher ernsthafter Prognose in Sachen Tourismus weltweit gelten. Rollen keine weiteren Tsunamis regelmäßig über die Ozeane, bomben Terroristen nicht weiter die Welt endgültig an den Abgrund, steigen die Ölpreise nur moderat und bleiben die Länder des Fernwehs in Asien, Afrika und Südamerika weiterhin und langfristig von Seuchen aller Art verschont, dann werden bis zum Jahr 2020 blühende Tourismuslandschaften die Kontinente überziehen - wenn man alleine die Wachstumszahlen bei den Touristenankünften und -ausreisen in den verschiedensten Regionen der Erde zugrunde legt.
Danach werden die weltweiten Touristenankünfte bei einer jährlichen Steigerungsrate von etwa vier Prozent bis zum Jahr 2020 die Zahl von knapp 1,6 Milliarden erreichen. Das stärkste Wachstum prognostiziert die UNWTO für die Region Ostasien-Pazifik (ohne Südasien): 400 Millionen Ankünfte im Jahr 2020. Die zweitstärksten Zuwachsraten wird im gleichen Jahr die Region Mittlerer und Naher Osten mit 69 Millionen Ankünften verzeichnen können, während Amerika mit 282 Millionen dem durchschnittlichen Wachstum entspricht.
Auch wenn Afrika mit guten Wachstumsraten im internationalen Tourismus rechnen kann, so wird die Zahl der Reisenden auf dem schwarzen Kontinent 2020 verhältnismäßig bescheiden sein: 77 Millionen. Südasien - Indien und alle Länder rund um den Subkontinent - zählt mit 19 Millionen Ankünften zu den Aschenputtels im internationalen Tourismus. Glanzlicher wie Bhutan, Nepal oder die Malediven sind nur positive Ausnahmen in dem unruhigen Elendsgürtel zwischen Afghanistan und Bangladesch. Unbestrittener und ungefährdeter Spitzenreiter in der Weltliga des Reisens bleibt das alte Europa mit prognostizierten 717 Millionen internationalen Touristenankünften - auch wenn der Marktanteil bei den weltweiten Ankünften von 59 Prozent im Jahr 2000 auf 46 Prozent im Jahr 2020 gesunken sein wird.
Wie viele Touristen werden im Vergleich dazu die einzelnen Regionen bis dahin hervorbringen? Die Basiszahlen - 1,6 Milliarden Ankünfte und Ausreisen, 24 Prozent Fernreisende, vier Prozent jährliches Wachstum -müssen logischerweise gleich bleiben. Dennoch verzeichnen einzelne Regionen stark voneinander abweichende Prognosen für das Jahr 2020. Zum Beispiel werden für Amerika im Inbound-Tourismus 282 Millionen (Einreise von Ausländern), aber nur 232 Millionen im Outbound-Tourismus (Ausreise von Inländern) prognostiziert. Das gilt auch für alle anderen UNWTO-Regionen - mit zwei Ausnahmen: Die europäischen und ostasiatisch-pazifischen Länder werden mehr Touristen in alle Welt entsenden als sie selbst empfangen werden.
In diesem Zukunftsszenario des Tourismus spielt der Nachbarschafts- oder intraregionale Verkehr weiterhin die dominierende Rolle: rund 76 Prozent oder 1,2 Milliarden aller Reisen weltweit fallen in diese Kategorie; der Rest von 378 Millionen Reisen (24 Prozent) ist Fernreiseverkehr ("long-haul-tourism"), beispielsweise zwischen Amerika und Europa oder zwischen Europa und Asien. In 13 Jahren könnten die sechs UNWTO-Weltregionen dann mit folgenden Fernreiseanteilen rechnen: Südasien 85 Prozent, Mittlerer und Naher Osten 63 Prozent, Afrika 35, Amerika 38, Ostasien-Pazifik 19 und Europa 15 Prozent.
Das Beispiel Kanada zeigt, wie relativ die Bedeutung des Fernreiseverkehrs für viele Länder dieser Erde ist: Im Jahr 2020 wird Kanada über 30 Millionen Auslandsreisen generieren, von denen rund 20 Millionen intraregional in die USA führen. Im Gegenzug wird Kanada über 40 Millionen Ankünfte registrieren können - allein 26 Millionen aus den USA. Die restlichen Reisen steuert der Long-haul-tourism bei: Drei Millionen aus Großbritannien, 1,5 Millionen aus Japan, 840.000 aus Deutschland und 530.000 aus Südkorea. Die Touristen werden das Abenteuer in den Rockies suchen, Verwandte besuchen oder Geschäfte in Toronto, Montreal und Vancouver tätigen - egal für die Statistik, denn die UNWTO wirft unterschiedslos Privat- und Geschäftsreisen in einen Zähltopf.
Die weltweite Zahlungsbilanz des internationalen Tourismus, ausgedrückt in Dollar, ist beeindruckend. Die UNWTO erwartet im Jahr 2020 Einnahmen aus dem internationalen Tourismus in Höhe von 2 Billionen Dollar, dreimal so viel wie gegenwärtig. 2005 gaben nach UNWTO-Berechnungen Reisende pro Tag weltweit 2 Milliarden Dollar aus, wobei die Transportkosten noch nicht berücksichtigt sind. In Europa ließen die Reisenden danach knapp 350 Milliarden US-Dollar liegen, mehr als die Hälfte aller touristischen Ausgaben weltweit. In die amerikanischen Länder flossen 145 Milliarden US-Dollar, in die asiatisch-pazifische Region 139 Milliarden, in den Mittleren und Nahen Osten rund 30 Milliarden und nach Afrika etwa 21 Milliarden US-Dollar.
Starke Zunahmen bei den Einnahmen aus dem Tourismus werden für die Regionen Asien-Pazifik, Mittlerer- und Naher Osten sowie Afrika prognostiziert - Regionen, in denen zahlreiche Entwicklungsländer am Fortschritt basteln. "Nach Schätzungen der Weltbank", so die Studie "Tourismus in Entwicklungsländern", "ist von einem stärkeren Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern im Vergleich zu industrialisierten Ländern auszugehen". Das bedeutet, breitere Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern würden zu Wohlstand kommen, der auch für Reisen ausgegeben werden könnte. Deswegen die optimistische, gradlinige Einschätzung: mehr Einkommen auch durch Tourismus.
Welche Wünsche aber werden im Jahr 2020 die Reisenden begleiten? Alle Studien sprechen davon, dass der internationale Tourist von morgen ein erlebnishungriger, preisbewusster und selbstständig planender Tourist sein wird, der dem reinen Badeurlaub an feinsandigen Stränden Adieu gesagt hat. Aber ob Asiate, Amerikaner, Afrikaner oder Europäer - als Fernreisender wird ihn in erster Linie die Natur und die vergangene Kultur des besuchten Landes interessieren. Shopping und Wellness werden auf Fernreisen auch weiterhin nur Begleiterscheinungen sein, wenngleich Shopping für Japaner, Chinesen, Afrikaner und Amerikaner unbestreitbar zum Abenteuer "Urlaub" gehört.
Eines eint alle Nah- und Fernreisenden: Sie haben gelernt, in einer Welt der Ungewissheiten, Drohungen und Bedrohungen zu leben. Sie nähmen lieber Risiken in Kauf, heißt es im aktuellen World Travel Trends Report, als auf Reisewünsche zu verzichten. Und wenn der Klimawandel das Ende vieler touristischer Träume bedeuten sollte? Da tröstete die UNWTO etwas großspurig: "Der Tourismus wird einen Beitrag zur Lösung des Problems des Klimawandels und der Armut leisten."