ÖKOTOURISMUS
Wer die Umwelt schonen will, sollte zu Hause bleiben. Aber das kann es doch auch nicht sein.
Langsam ziehen am Horizont die Wolken entlang. Sie schweben über den Fjord hinweg, bleiben an den schneebedeckten Bergen hängen. In der einsamen Bucht dampft, nur zwei Meter vom eiskalten Atlantik entfernt, eine der vielen natürlichen heißen Quellen Islands. Bei wohligwarmen 35 Grad Celsius entspannen sich Besucher in dieser Naturbadewanne und genießen den Blick auf den glänzenden Ozean.
Die Westfjorde im Nordwesten Islands sind ein Paradies für Touristen - einsam und unberührt. Bisher reisen die meisten Islandbesucher entlang der Ringstraße, die einmal um die nordische Insel führt - zu den Geysiren, den riesigen Gletschern und den mit Moos bewachsenen Lavafeldern. Da die Westfjorde fernab dieser großen Straße liegen, zieht es nur wenige in die Region. Halldór Halldórsson, Bürgermeister der regionalen Hauptstadt Isafjördur, will das ändern. "Die Westfjorde sind eine echte Herausforderung, ein Abenteuer", sagt er. Und schwärmt von den Vorzügen der naturbelassenen Region.
An diesem Juni-Tag zeigt er auf einer Bootstour seine liebsten Fjorde und weitere Hot Pots, wie die heißen Quellen genannt werden. Der obere Teil der Westfjorde gehört bereits zu einem Naturschutzgebiet, und wenn es nach dem Bürgermeister Halldórsson ginge, soll das noch ausgeweitet werden. Zum Wohle der Umwelt und weil es sicher noch mehr Naturliebhaber in die Region locke. Kajak fahren, auf Islandpferden reiten, wandern oder sich in kleinen Museen die alten Fischer- und Wikingertraditionen erklären lassen: Bisher nutzen überwiegend isländische Touristen diese Angebote. Ansonsten kommen Skandinavier, aber auch einige deutschsprachige Besucher - meist sind es so genannte Ökotouristen.
So wie heute viele im Supermarkt auch mal zu den Biotomaten greifen oder Milch im Reformhaus kaufen, gibt es zunehmend Touristen, die sich für umweltverträgliches Reisen interessieren. Doch auch wenn der Begriff "Ökotourismus" mittlerweile nicht mehr so exotisch klingen mag, wissen nur die wenigsten, was genau damit gemeint ist. Das liegt unter anderem daran, dass diverse Begriffe existieren, die das Thema umschreiben und doch alle etwas anderes bedeuten: Seien es "sanfter Tourismus", "Umweltreisen", "nachhaltiger Tourismus", "Naturtourismus", "Grüner Tourismus" oder eben "Ökotourismus".
Ebenso vielfältig wie diese Schlagwörter sind die Verbände, die sich rund um das Thema nachhaltiges Reisen gebildet haben. Außerdem gibt es mindestens 50 Ökosiegel beziehungsweise Umweltzertifikate, die verschiedene Aspekte abdecken oder nur in bestimmten Regionen gelten. Die einen bewerten Küstenstrände, die anderen Hotels mit Bio-Essen und Anreisemöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die richtige Entsorgung des Abfalls oder den niedrigen und damit umweltfreundlichen Energieverbrauch.
Doch wie reist man eigentlich umweltverträglich? Was macht einen Reisenden zum Ökotouristen? Überspitzt gesagt gibt es eine einfache Regel: Wer die Umwelt schonen will, sollte zu Hause bleiben! Denn allein die Anreise nach Island, Indien oder Südafrika schadet der Umwelt. Die Zeitschrift "Verträglich Reisen" propagiert daher auch nur Angebote, die per Rad, Bahn oder in Wanderungen erreichbar sind. Österreich und die Schweiz engagieren sich seit einiger Zeit im Bereich Ökotourismus. Gerade die dortige Tourismusbranche bekommt die Folgen der globalen Erwärmung hautnah zu spüren -schließlich sind viele Skigebiete nur noch bedingt nutzbar, außerdem stieg durch das Roden von Wäldern - etwa für Skipisten -
die Erosionsgefahr. Wellness, Wandern durch Nationalparks und Flussfahrten zählen daher in "Verträglich Reisen" zu den Angeboten im Alpentourismus. Reisen nach Asien oder Südamerika stellt das Magazin, das auch in Bioläden ausliegt, gar nicht vor.
"Man kann den Menschen nicht verbieten, weite Reisen zu machen", sagt Jörg Drews, Inhaber und Gründer von "Colibri Umweltreisen". Seit über zwölf Jahren bietet er umweltverträglichen Tourismus in Länder wie Uganda, Island und Costa Rica an. Bei jeder Reise wird dem Kunden mitgeteilt, welchen Schaden er durch seine An- und Rückreise anrichtet: Ein Flug nach Costa Rica verursacht beispielsweise Flugemissionen von circa 6.240 kg Kohlendioxid pro Person. "Dies entspricht etwa 2,1 Jahren Autofahren bei 40 Kilometern täglich, insgesamt also 32.000 Kilometer", heißt es im Colibri-Reisekatalog. Vergrault man Urlaubswillige damit nicht? "Nein", sagt der Berliner Reiseveranstalter, "es geht uns darum, ein Bewusstsein für die Folgen des Handelns zu schaffen." Außerdem würden als Ausgleich bei einem selbst initiierten Projekt in Nepal für jeden Fluggast 100 Bäume gepflanzt, bei Fernreisen 200. Über eine Million Bäume seien im vergangenen Jahrzehnt in verschiedenen Projekten gepflanzt worden.
Seit 2004 gibt es auch die gemeinnützige Organisation "atmosfair", die unter anderem aus einem Forschungsprojekt des Bundesumweltministeriums entstanden ist. Passagiere zahlen dabei freiwillig einen Ausgleich für die von ihnen verursachten Klimagase. Bei einem einfachen Flug von Berlin nach London sind zum Beispiel elf Euro fällig. Das Geld wird unter anderem in Indien für den Umbau von Großküchen investiert, die mit umweltschädlichen Dieselbrennern betrieben wurden und nun auf Solartechnik umstellen; oder in Energiesparprojekte an deutschen Schulen. Das Problem bisher: Der Fluggast muss von sich aus auf der Website www.atmosfair.de anhand eines Emissionsrechners herausfinden, wie viel Schaden sein Flug verursacht. Seit kurzem kooperiert atmosfair jedoch mit etlichen Online-Reisebüros, so dass die Fluggäste direkt bei der Bestellung den Ausgleich mitbezahlen, der dann an atmosfair abgeführt wird. Es gilt also einen Ausgleich zu schaffen, für die entstandene Umweltbelastung - aber auch vor Ort behutsam mit der Kultur des Landes umzugehen. Dieser Leitlinie folgt das "forum anders reisen" - ein Dachverband von Reiseveranstalter mit rund 130 Mitgliedern. Ihre Maxime ist ein nachhaltiger Tourismus, der "langfristig ökologisch tragbar, wirtschaftlich machbar sowie ethisch und sozial gerecht für ortsansässige Gemeinschaften sein soll". Beliebt bei Ökotouristen ist zum Beispiel Costa Rica, allein beim "forum anders reisen" finden sich 45 Angebote.
Seit einigen Jahren schon konzentriert sich das mittelamerikanische Land auf die Zielgruppe Ökotouristen. Es bietet dafür günstige Voraussetzungen: Neben tropischen Tiefebenen entlang der Küste bedecken Regenwälder das Land - knapp ein Drittel der Staatsfläche steht unter Naturschutz. Heute ist der Tourismus nach Angaben des Auswärtigen Amtes mit rund 1,5 Milliarden US-Dollar der wichtigste Devisenbringer Costa Ricas. Und so wandern jedes Jahr Besucher aus aller Welt auf extra angelegten Pfaden zum Beispiel durch den artenreichen Nationalpark Corcovado und beobachten putzige Kapuzineräffchen, behäbige Tapire und kraftvolle Jaguare.
"Doch im Durchschnitt sind nur rund fünf Prozent der Naturparks auch tatsächlich für die Besucher zugänglich", sagt Klaus Lengefeld von der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Der Wissenschaftler arbeitete mehrere Jahre in Mittelamerika und beschäftigt sich mit der Nachhaltigkeit im Tourismus. Costa Rica sei ein Sonderfall, da relativ wohlhabend. Die GTZ fördert weltweit rund 50 Projekte mit Tourismuskomponenten in Entwicklungsländern. Ein Ziel ist, die Armut zu mindern und den Ländern langfristige wirtschaftliche Perspektiven zu ermöglichen. Schon jetzt sei in jedem dritten Entwicklungsland der Tourismus die Hauptdevisenquelle. "Wichtig ist bei diesen Projekten auch immer, das richtige Maß zu finden. Je mehr Touristen kommen, desto mehr Geld können die Einheimischen verdienen", sagt Lengefeld. "Wenn aber zu viele in kleinen Regionen auftauchen, besteht die Gefahr, dass die Touristen die Kultur und Natur beeinträchtigen." Diese Grenze sei fließend.
Die Ideen und Projekte können noch so gut sein, entscheidend ist, dass die einheimischen Regierungen und Tourismusverbände mitmachen. Das gilt im Entwicklungsland ebenso wie in wohlhabenden Ländern wie Island. Und so sind ökologisch bewusste Reisende erstaunt, wenn sie das erste Mal nach Island kommen und die Einheimischen erleben.
Die Natur schonen? Warum? Die Isländer können unbesorgt aus jedem Bach trinken, fast 90 Prozent des Heizwassers stammen aus heißen Quellen, Luftverschmutzung ist kein Thema. "Da wir Natur und Energie im Überfluss haben, ist bei uns der Begriff ,ökologisches Bewusstsein' bisher fremd", bestätigt Audunn Arnórsson, Wirtschaftsjournalist der isländischen Zeitung Fréttabladid. "Deshalb schmunzeln manche auch, wenn isländische Hotels auf einmal ein Ökosiegel einführen."
Erst seit dem Bau des riesigen Kárahnjúkar-Staudamms und der anschließenden Flutung eines großen Naturgebietes im vergangenen Herbst entsteht in Island so etwas wie eine Ökobewegung. Doch es braucht wohl noch eine Weile, bis die ganze Nation sich für die Natur engagiert. Auch Isafjördurs umweltbewusster Bürgermeister Halldórsson, der seine Gäste am Rande der Bootstour in wilder Natur zu einem Lunch einlädt, serviert mehrfach in Plastik und Styropor verpackte Sandwiches. In Island gilt wie überall: Erst, wenn die Menschen die Bedrohung unmittelbar spüren, fangen sie an, ihre Natur zu schützen.