TERRORBEKÄMPFUNG
EU will neues Anti-Terrorpaket, aber die Mitgliedsländer zeigen sich zurückhaltend
Wie schwer es fällt, Sicherheitsfragen und Freiheitsrechte gegeneinander abzuwägen, konnten die EU-Abgeordneten vergangene Woche in Straßburg in den eigenen Reihen erleben. Heiß umstritten war, ob Flüssigkeiten im Handgepäck wieder erlaubt werden sollen oder ob weitere wissenschaftliche Untersuchungen abgewartet werden. Die Mehrheit forderte die EU-Kommission schließlich auf, die Regelung lediglich zu überprüfen. Sollten keine "weiteren entscheidenden Tatsachen" ans Licht kommen, müsse sie abgeschafft werden. Kurz zuvor hatte Straßburg die Nachricht erreicht, dass die deutschen Sicherheitsbehörden nur knapp einen Terroranschlag auf US-Einrichtungen vereitelt hatten. Wie auf die Terrorgefahr am besten reagiert werden kann, bleibt aber weiter umstritten: Graham Watson, der britische Vorsitzende der liberalen Fraktion, mahnte bei der Debatte im Europaparlament mehr Verhältnismäßigkeit bei den Maßnahmen zur Verhinderung von Terroranschlägen an. "Ich bin keineswegs gegen europäisches Handeln. Die Liberalen befürworten ein europäisches FBI. Aber die Gesetze müssen die richtige Antwort auf die Bedrohungen sein."
Der deutsche Verkehrsexperte Ulrich Stockmann (SPD) erinnerte daran, dass allein an deutschen Flughäfen zur Hauptreisezeit täglich sieben Tonnen Flüssigkeiten konfisziert würden, die als Sondermüll kostspielig entsorgt werden müssten. Sollten wirklich gefährliche Substanzen darunter sein, könnten keine Ermittlungen geführt werden, da sie keiner Person mehr zugeordnet werden könnten. Manfred Weber (CDU) hingegen sagte dem "Parlament": "Ich als Innenpolitiker traue mir kein Urteil zu, ob 20 Gramm oder 100 Gramm ein Risiko darstellen können."
Auch die übrigen seit dem 11. September 2001 erlassenen Gesetze wollen die Abgeordneten auf den Prüfstand gestellt sehen. Es gebe bereits eine EU-Strategie, einen Aktionsplan, einen Rahmenbeschluss und mehrere Initiativen zur Terrorismusbekämpfung, stellen sie in einer parteiübergreifenden mündlichen Anfrage fest. Es werde aber nicht kontrolliert, ob die Beschlüsse in den Mitgliedstaaten umgesetzt seien und ob sie Wirkung zeigten. In einer mündlichen Anfrage erinnern die Grünen daran, dass der Europäische Gerichtshof bereits vergangenen Dezember die EU-Listen mit terrorverdächtigen Organisationen und Personen in ihrer jetzigen Form als Verstoß gegen europäische Gesetze und Grundrechte bezeichnet hatte. Alle Abgeordneten bemängeln, der vom Rat eingesetzte Koordinator Gijs de Vries sei bereits im Februar zurückgetreten, seine Stelle bislang aber nicht neu besetzt. Jetzt wollen die Abgeordneten wissen, ob sie überhaupt gebraucht werde - und mit welchem Mandat?
Der amtierende Ratsvorsitzende, der portugiesische Staatssekretär Manuel Lobo Antunes ging wortreich auf die Kritik ein, beantwortete allerdings keine einzige der aufgeworfenen Fragen. Bei einem Abendessen am Rande des nächsten Justizministertreffens wollen die Minister klären, wer Nachfolger von de Vries werden soll und ob die Aufgaben neu definiert werden. Unterschiedliche Vorstellungen der Mitgliedstaaten und wenig Bereitschaft, Ermittlungserkenntnisse europäischen Stellen zu überlassen, blockieren die Gespräche. Als "leere Box" bezeichnete der grüne Abgeordnete Cem Özdemir gegenüber dem "Parlament" die Position des EU-Terrorismusbeauftragten. Eine Koordinierung auf europäischer Ebene wäre zwar sinnvoll, würde aber von vielen Mitgliedstaaten nicht gewünscht. "De facto spielt sich die Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene ab", sagt Özdemir. Innenkommissar Franco Frattinis Rezept hingegen lautet: Noch mehr Kontrolle, noch mehr Verbote. So will er die den USA zur Verfügung gestellten Passagierdaten, wie Kreditkartennummer oder Essenswünsche an Bord, nun auch für europäische Ermittler zugänglich machen. Frattini will außerdem ein EU-weites Sprengstoff-Register schaffen, das bei Europol in Den Haag angesiedelt sein soll. Die Kommission nimmt auch einen neuen Anlauf bei der Strafrechtsharmonisierung, die von den meisten Innenministern abgelehnt wird. Er will, dass Terroraufrufe im Internet und praktische Handlungsanleitungen wie der Bau von Sprengsätzen EU-weit unter Strafe gestellt werden. Einen entsprechenden Aktionsplan will die Kommission dann im November vorstellen.
Die Liste mit terrorverdächtigen Organisationen immerhin soll künftig alle sechs Monate überprüft werden, um die Bedenken des EuGH auszuräumen. Frattini ist sich mit dem Parlament einig, dass ein eigenes Datenschutzgesetz für sämtliche länderübergreifenden Aktivitäten auf diesem Gebiet überfällig ist. Er übte scharfe Kritik an den Mitgliedstaaten, die ein von Kommission und Parlament vorgeschlagenes entsprechendes Gesetz blockierten. Von der Wirksamkeit der europäischen Antiterrorpolitik allerdings ist der italienische Kommissar überzeugt. Alle bisherigen Anläufe, die europäischen Ermittler besser zu vernetzen, sind an nationalen Ängsten gescheitert. Frattinis ehrgeiziger Aktionsplan wird wohl das gleiche Schicksal erleiden. Vielleicht gelingt es dem EU-Parlament immerhin, den Flugreisenden das Leben wieder etwas einfacher zu machen. Vor zwei Wochen waren Pilger aus Lourdes an einem südfranzösischen Flughafen gestoppt worden. Sie mussten vor dem Abflug nach Rom das heilige Wasser an der Sicherheitskontrolle abgeben.