Kreationismus
Die Schöpfungsgeschichte erhält keinen neuen Platz im Lehrplan. Auch nicht in Hessen, wo Kultusministerin Wolff für Irritationen gesorgt hatte.
Gott schuf die Erde und alle Lebewesen in sechs Tagen und am siebten Tage ruhte er. So berichtet es die Bibel. Anhängern des Kreationismus wird vorgeworfen, dass sie das Buch der Bücher mehr als wörtlich nehmen und die Schöpfungsgeschichte in den Rang eines Tatsachenberichts erheben wollen. Ihre Kritiker fürchten, dass die aus den USA stammende Bewegung auch in Europa immer stärker und zu einer Gefahr für das Bildungswesen wird.
Ob und wie stark der Kreationismus in Deutschland auf dem Vormarsch ist, ist durch Zahlen kaum nachzuvollziehen. Die religiöse Bewegung, zu der unter anderem Evangelikale, Anhänger von Freikirchen und Zeugen Jehovas gehören, ist in viele Richtungen verzweigt. Einer Umfrage der Forschungsgruppe Weltanschauungen aus dem Jahr 2005 zufolge glauben rund 13 Prozent der Befragten an die christlich-biblische Weltentstehungsgeschichte und 25 Prozent daran, dass eine höhere Macht die Welt erschaffen hat. Eine im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Befragung von 1.228 Lehramtsstudenten an der Dortmunder Universität ergab, dass 12,5 Prozent der Befragten die Evolutionstheorie bezweifeln.
"Nach meinen Schätzungen hat in der deutschen Bevölkerung der Anteil derer, die an einen biblischen Schöpfungsakt glauben und ihn der Evolution überordnen, in den letzten Jahren von zirka 20 auf bis zu 30 Prozent zugenommen", sagt der Kasseler Professor für Evolutionsbiologie, Ulrich Kutschera. Die Hauptursache für diese Entwicklung sieht er im mangelnden Wissen der Befragten. "Sie verwechseln in der Regel den lange überholten Darwinismus mit der modernen Evolutionsbiologie." Den Kreationisten wirft der Professor vor, "obskure Thesen mit teilweise korrekten Sachverhalten zu vernebeln".
Kutschera bezieht sich vor allem auf ein Werk der Autoren Reinhard Junker und Siegfried Scherer namens "Evolution - ein kritisches Lehrbuch". Die Verfasser halten Zweifel an der Evolutionstheorie für berechtigt. "Zur Makroevolutionslehre existiert eine Alternative", heißt es im Vorwort der zweiten Auflage. Sie sei von der biblischen Offenbarungslehre her motiviert und werde in dem Buch als Schöpfungslehre im Kontext mit naturwissenschaftlichen Daten thematisiert. "Wer Makroevolution kritisch hinterfragt, mag religiös motiviert sein", räumt Junker ein, "das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Einwände gegen Makroevolution naturwisssenschaftlicher Art sind."
Junker und Scherer gehören der Studiengemeinschaft Wort und Wissen an, die nach den Worten des hessischen SPD-Abgeordneten Thorsten Schäfer-Gümbel "das ideologische Zentrum der Bewegung" in Deutschland ist. "Mindestens Teile der so genannten Bekenntnisschulen in Hessen setzen dieses Buch nach unserem Kenntnisstand ein, obwohl es nicht zugelassen ist", sagt er. Die Autoren verstehen ihr Werk nicht als Ersatz für ein offizielles Biologie-Schulbuch, sondern als Ergänzung. Die Studiengemeinschaft wolle nicht die Schöpfungslehre gleichberechtigt zur Evolutionslehre in den Naturkundeunterricht "zwingen". Gleichwohl müssten die Grenzen der Naturwissenschaften im Biologieunterricht "weltanschaulich neutral" aufgezeigt werden. Die Evolutionstheorie sei "bestenfalls ein gut begründetes Denkmodell".
Seit im vergangenen Herbst das umstrittene Werk in seiner ersten Auflage am staatlichen Liebig-Gymnasium in Gießen auftauchte, kocht in Deutschland die Diskussion, ob Adam und Eva in den Biologieunterricht gehören, verstärkt hoch. Nach den Worten des evangelischen Hochschulpfarrers der Gießener Universität, Wolfgang Achtner, herrscht in der mittelhessischen Stadt eine "Ausnahmesituation". 2.000 bis 3.000 Gläubige hängen nach seiner Schätzung hier dem Evangelikalismus an. Neben einer großen freikirchlichen Gemeinde ist in Gießen auch die Freie theologische Akademie ansässig, mit derzeit 150 Studierenden eine der größten evangelikalen Ausbildungsstätten in Deutschland.
Ein dem Evangelikalismus anhängender Biologielehrer hatte Schülern des Jahrgangs 13 die kritische Evolutionslehre als ergänzendes Material an die Hand gegeben. Das Buch sei mittlerweile entsorgt, wie Rektorin Heidrun Sarges betont. Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet zeitgleich die nach dem Pietisten August Hermann Francke benannte Bekenntnisschule vor Ort, zu deren Leitbild unter anderem die "biblische Sicht der Wirklichkeit und des Menschen" gehört und der ebenfalls vorgeworfen wurde, im Unterricht kreationistisches Gedankengut zu verbreiten. Eine Überprüfung der beiden Schulen durch das staatliche Schulamt wurde im vergangenen Herbst ohne dienstrechtliche Folgen abgeschlossen. Es gebe weder Zweifel an der Qualifikation der Lehrkräfte noch am Erreichen der Abschlüsse. Das Schulamt bezieht sich in seiner Stellungnahme unter anderem auf den Lehrplan für Biologie im 13. Schuljahr, der die Ergänzung der naturwissenschaftlichen Diskussion um religiöse und philosophische Aussagen ausdrücklich vorsieht. Zudem können nach dem hessischen Schulgesetz Privatschulen Lehrinhalte abweichend von den Vorschriften für öffentliche Schulen gestalten. Für den Leiter der Francke-Schule, Lothar Jost, bestätigt die Stellungnahme des Schulamts die Arbeit seiner Schule, die die zum Teil "obskuren Vorwürfe" ad absurdum führe.
Für Irritationen aber sorgte seinerzeit vor allem die Reaktion von Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU), die sich für fächerübergreifenden Unterricht aussprach, um Schüler im Biologieunterricht nicht einseitig mit der Evolution und umgekehrt im Religionsunterricht nur mit der Schöpfungslehre zu konfrontieren. In diesem Sommer legte die ehemalige evangelische Religionslehrerin nach und plädierte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für einen "modernen Biologieunterricht", in dem auch die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis eine Rolle spielen sollten. Es gebe in der symbolhaften Erzählung der Bibel von den sieben Schöpfungstagen eine erstaunliche Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Theorie. Mit Kreationismus habe sie, versicherte Wolff, nichts am Hut.
Ihre Äußerungen brachten die Öffentlichkeit erneut auf den Plan. Die drei Oppositionsfraktionen fordern vehement, die Behandlung der Schöpfungslehre auf den Religionsunterricht zu beschränken. "Auf die Idee, dass sie in den Biologieunterricht gehört, kommen nur George Bush, der iranische Religionsminister und Karin Wolff", erklärt Grünen-Fraktionschef Tarek Al Wazir. Schützenhilfe erhält Wolff dagegen vom Augsburger Bischof Walter Mixa. Die Evolutionstheorie habe schließlich keinen Absolutheitsanspruch.
Differenzierter äußert sich die Evangelische Kirche Hessen und Nassau, die zwar Wolffs Absicht, den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie zu stärken, begrüßt, aber, so Oberkirchenrätin Cordelia Kopsch, jede Übernahme kreationistischer Weltdeutungsversuche sowohl für den Biologie- als auch für den evangelischen Religionsunterricht "als unsachgemäß" ablehnt. Für Christen könne die Beziehungslosigkeit zwischen Naturwissenschaft und theologischer Deutung der Weltentstehung nicht das letzte Wort sein, meint der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann. Aber der Biologieunterricht müsse den Sinn der Schöpfungsgeschichte nicht ausführlicher entfalten. Diese Positionen teile sie, ruderte die Kultusministerin nun im hessischen Landtag zurück. Auch zu einer Änderung der Lehrpläne für den Biologieunterricht vor der Jahrgangsstufe 12 bestehe kein Anlass, versichert Wolff.
Für den SPD-Abgeordneten Schäfer-Gümbel nicht genug: Es fehle eine ausreichende Rechtsgrundlage, um Privatschulen wirklich kontrollieren zu können. "Eine Änderung des Schulgesetzes halte ich für zwingend geboten."