Das hätte er sich ein Jahr zuvor kaum träumen lassen: Konrad Adenauer (CDU) wurde zum dritten Mal in Folge Bundeskanzler - und die Unionsparteien hatten als erste die absolute Mehrheit bei einer Bundestagswahl erhalten. 50,2 Prozent entfielen am 15. September 1957 auf CDU und CSU. Der Abstand zur nächstgrößeren Partei war deutlich: Die SPD erhielt rund 32 Prozent. Der Slogan der Konservativen "Keine Experimente!", nicht zuletzt auf vielen Wahlplakaten verbreitet, hatte die Menschen offensichtlich überzeugt.
Dabei sah die Lage im Sommer 1956 für Adenauer und die Union nicht gut aus. Nur 34 Prozent der Bundesbürger hätten ihn damals als Kanzler wiedergewählt. Viele verübelten der Regierung die Gründung der Bundeswehr im selben Jahr. Das Thema "Wiederbewaffnung" wurde zwölf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs äußerst kontrovers diskutiert. Doch zum Jahresende wurde der Kanzler wieder beliebter. Ein Grund lag in dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn. Die Niederschlagung des Volksaufstandes machte die Gefahr eines neuen Krieges realer, eine eigene Armee sinnvoller. Ein Austritt der Bundesrepublik aus der Nato sowie der DDR aus dem Warschauer Pakt, wie ihn die SPD befürwortete, um die Wiedervereinigung schneller zu erreichen, schien nicht mehr richtig. Die CDU überholte die SPD wieder in den Meinungsumfragen. Der Wahlkampf begann so früh, dass es im Februar Debatten gab, ob man die Wahl nicht zwei Monate vorverlegen sollte.
Im April 1957 löste Adenauer eine wochenlange Diskussion durch seine Erklärung aus, dass er Atomwaffen in der Bundeswehr befürworte. Zeitgleich sprachen sich 18 führende Atomwissenschaftler in der so genannten "Göttinger Erklärung" dagegen aus. Die Sozialdemokraten folgten dem. Adenauer versuchte, ein noch größeres Horrorszenario zu entwerfen, um die Debatte für sich zu entscheiden. "Ein Sieg der SPD bedeutet den Untergang Deutschlands", wetterte er im Juli auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg.
Neben dem für die CDU/CSU bis heute größten Sieg bei einer Bundestagswahl gab es noch zwei bemerkenswerte Veränderungen: Zum ersten Mal gab es die Möglichkeit zur Briefwahl. Außerdem durften die Saarländer mitwählen, die seit Anfang des Jahres zur Bundesrepublik gehörten.