ENERGIEBEDARF IN DEUTSCHLAND
Wasser- und Windkraft decken nur gut ein Prozent ab. Die Importabhängigkeit nimmt zu.
Die gute Nachricht zuerst: Die heimischen Erdölproduzenten haben trotz technischer Probleme im ersten Quartal 2007 fast so viel von dem Rohstoff aus der Erde gepumpt wie im Jahr zuvor - knapp 880.000 Tonnen. Die schlechte Nachricht: Die gewaltige Zahl täuscht. Erdöl aus Deutschland ist nur eine kleine, kaum spürbare Ergänzung zum hiesigen Energiemix. Nur gut zwei Prozent des hiesigen Erdölbedarfs werden aus eigenen Quellen gedeckt, die ohnehin in den nächsten Jahren nach und nach versiegen werden. Dass es beim Erdgas immerhin 20 Prozent sind, ändert nichts daran, dass Deutschland, wenn es um Energie geht, zum weitaus größten Teil auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen ist.
Laut Statistiken, die für das Bundeswirtschaftsministerium erstellt wurden, ist die Abhängigkeit von Importen stetig größer geworden - trotz aller Diskussionen über Energiesparen und Fördermilliarden für erneuerbare Energien. 2006 wurden 74,5 Prozent der benötigten Primärenergie - also der Energieträger, die in Kraftwerken zu Strom und Wärme und in Automotoren zu Bewegungsenergie werden - im Ausland eingekauft. Nur bei der Braunkohle konnte ein minimaler Exportüberschuss erzielt werden. Der mit Abstand wichtigste Lieferant für Erdöl und Erdgas ist Russland.
Das alles gilt bei einem Energieverbrauch, der sich auf hohem Niveau bewegt. Wurden 1990 in Deutschland 14.905 Petajoule (PJ) in den Fabriken, Autos und Haushalten eingesetzt, waren es 2006 immer noch 14.464 PJ. Ein Petajoule besteht aus einer Billiarde Joule und entspricht etwa knapp 278 Millionen Kilowattstunden.
35,7 Prozent des Verbrauchs wurden im vergangenen Jahr mit dem Energieträger Mineralöl gedeckt (1990: 35 Prozent). Auf Platz zwei der Energieträger rangieren die Naturgase mit einem Anteil am Verbrauch von 22,8 Prozent f(1990: 15,6 Prozent), während die Kernenergie ihren Anteil mit 12,6 Prozent gegenüber 1990 (11,2 Prozent) nur unwesentlich steigern konnte.
Die Steinkohle trug 2006 noch mit 13 Prozent zum Energiemix bei. Deutlich zurückgegangen ist seit 1990 der Anteil der Braunkohle, der von damals 21,5 auf 10,9 Prozent im vergangenen Jahr sank. Aus Wasser und Windkraft einschließlich der Fotovoltaik wurden 2006 nur 1,3 Prozent des Energieverbrauchs gedeckt.. Die sonstigen Energieträger wie Brennholz, Brenntorf oder Klärschlamm machen in der Statistik 3,7 Prozent aus.
Das Bild fällt für die alternativen Energieträger etwas besser aus, wenn man sich nur den Strombereich anschaut. Nach Erhebungen des Verbands der Netzbetreiber (VDN) kommen die erneuerbaren Energien immerhin auf einen Anteil von an die 14 Prozent. Im Wesentlichen sind dafür Wind- und Wasserkraft verantwortlich. Strom aus Sonnenstrahlung führt immer noch ein Nischendasein, obwohl die in die Netze eingespeiste Strommenge aus Fotovoltaik seit dem Jahr 2000 bis Ende dieses Jahres nach VDN-Prognose um 7.500 Prozent auf 2,9 Gigawattstunden gestiegen sein wird. Insgesamt werden die Verbraucher in diesem Jahr fast 7 Milliarden Euro über ihre Stromrechnung als Beitrag für die Energiewende zahlen, damit die Produzenten von Elektrizität aus Wasser, Biogas, Biomasse, Geothermie, Wind und Sonnenstrahlung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden.
Der größte Einzelverbraucher von Primärenergie ist der Energiesektor selber, schließlich geht beim Verbrennen von Kohle und Gas, beim Raffinieren von Erdöl sowie beim Transport von Strom und Treibstoff bis zur Steckdose und dem Tank der Endverbraucher sehr viel an Energie verloren. Fast 4.000 PJ gehen auf das Konto der Energiewirtschaft. Der zweitgrößte Sektor, die privaten Haushalte, kommt auf lediglich 2.640 PJ und der Verkehr auf 2.628 PJ. Die Industrie verbraucht mit 2.460 PJ deutlich weniger, doch ihre Nachfrage steigt mit dem Wirtschaftsaufschwung spürbar an. Nur der Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen hat seinen Verbrauch in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten spürbar und kontinuierlich gesenkt.
Der Blick auf die Statistik zeigt auch, welche Umwälzungen auf den Energiemarkt zukommen. Der größte Anteil der Elektrizität wird aus Atomkraftwerken geliefert - nämlich 27 Prozent. Spätestens 2020 soll aber Schluss sein mit Kernkraft in Deutschland. Außerdem gibt es ehrgeizige Klimaschutzziele, die Energieträger, bei deren Verbrennung besonders viel von dem Klimagas Kohlendioxid (CO2) entsteht, in keinem besonders guten Licht dastehen lassen. Aus heimischer Braunkohle wird heute fast ein Viertel des Strombedarfs gedeckt, aus - zu zwei Dritteln importierter - Steinkohle kommt gut ein Fünftel.
Aber vor allem steigende Preise - und ein schärferes Umweltbewusstsein - zeigen Wirkung beim Energieverbrauch. 1998 und 1999, als ein Barrel (159 Liter) Erdöl zeitweise gerade einmal knapp 10 Dollar kostete, lag der Anteil des Energieträgers am deutschen Primärenergieverbrauch bei fast 40 Prozent - also gut vier Prozentpunkte über dem zuletzt erreichten Wert, der bei Preisen von 70 Dollar und mehr je Barrel erreicht wurde.
Seit der Jahrtausendwende klagt die Benzinbranche über einen von Jahr zu Jahr schrumpfenden Absatz. Benziner wurden durch sparsamere Dieselautos ersetzt. Die Autos sind effizienter geworden. Im Jahr 1990 wurden im Schnitt 9,4 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer verbraucht, 2005 lag der Wert bei 7,8 Litern. Im Wohnungsbereich wurden Ölheizungen gegen das effizienter einsetzbare Erdgas und auch gegen Fernwärme - die Bundesregierung fördert Kraftwerke mit klimafreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung - ausgetauscht.
Den Preiseffekt sieht man auch beim Erdgas. Kein anderer Energieträger hat seine Rolle seit Anfang der 90er-Jahre so stark steigern können. Doch auch Erdgas ist deutlich teurer geworden, seit 2003 laut Statistischem Bundesamt fast um zwei Drittel. Über neue Kraftwerke auf Erdgasbasis wird deshalb deutlich zurückhaltender gesprochen. Statt dessen ist eine ganze Reihe von Kraftwerken, die mit der deutlich billigeren Kohle befeuert werden sollen, in der Planung. Nur, wie lange lohnen die sich, wenn der Handel mit CO2-Zertifikaten in der EU erst einmal richtig funktioniert und die Verschmutzungsrechte knapper werden? Kraftwerke, bei denen aus den Abgasen das schädliche CO2 herausgefiltert wird, sind noch in der Versuchsphase und vielleicht Ende des nächsten Jahrzehnts auf dem Markt.
Immerhin ist die deutsche Wirtschaft beim Umgang mit der Energie deutlich sparsamer geworden. Denn beim Blick auf den Energieverbrauch darf auch nicht vergessen werden, dass die Wirtschaftsleistung, die in Deutschland erbracht wird, in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. Je 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt (nach Preisen aus dem Jahr 2000) mussten 1990 noch rund 8,7 Gigajoule (GJ) eingesetzt werden, im vergangenen Jahr waren es 6,6 GJ. Dies liegt zum Teil an der wachsenden Rolle der Dienstleistungen, während Fabriken in Niedriglohnländer abwandern. Aber auch die verbliebene Industrie ist effizienter geworden. Je 1.000 Euro Bruttowertschöpfung wurden 1991 laut Bundeswirtschaftsministerium noch 5,94 GJ verbraucht, im Jahr 2005 - ein aktuellerer Wert liegt nicht vor - waren es 4,95 GJ.
Die besonders energieintensive Stahlbranche argumentiert nun, dass aus rein physikalischer Sicht bald das Optimum erreicht und die von der Bundesregierung gewünschte Verbesserung von drei Prozent pro Jahr nicht zu schaffen sei.
"Sonst müssen wir eine neue Physik erfinden", sagt Dieter Ameling, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Eine um fünf Prozent höhere Effizienz sei noch möglich, aber dann sei Schluss, sagt Ameling. Würden unrealistische Vorgaben gemacht, dann werde die Stahlproduktion wahrscheinlich in Länder mit weniger rigiden Auflagen wie China abwandern - und vielleicht Branchen wie die stahlintensive Autoindustrie oder die Produzenten von Haushaltsgeräten mitziehen.
Trotzdem hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Klimaziele ihrer Regierung beim jüngsten Energiegipfel noch einmal bekräftigt. Schließlich bekommt sie Rückendeckung von der Wissenschaft, etwa aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch wenn einzelne Branchen die Effizienz nicht so stark steigern könnten, wie von der Regierung global vorgegeben, sei das für die Wirtschaft insgesamt aber durchaus realistisch, sagt DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert.
Das bedeutet: Der Energieverbrauch muss runter und mehr klimafreundliche Energie muss her - vor allem aus bald zu bauenden Windkraftanlagen auf hoher See und aus Biotreibstoffen vom Feld. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) rechnet der Wirtschaft, die schon vor einer Deindustrialisierung des Landes warnt, vor, dass das alles auch zu ihrem Wohle ist. Bis zum Jahr 2020 könnte sie insgesamt mehr als 300 Milliarden Euro an Energiekosten sparen - genug Geld, um die nötigen Investitionen in effizientere Technologien zu finanzieren.
Doch vor allem der Ausbau der Windkraft wird die Energielandschaft in Deutschland stark verändern. Wurden in den 60er- und 70er-Jahren Kraftwerke vor allem da gebaut, wo der von ihnen erzeugte Strom benötigt wurde, nämlich in der Nähe der Ballungszentren, werden die besonders effizienten Offshore-Windräder weit entfernt vom Verbraucher stehen. 850 Kilometer neuer Hochspannungsleitungen müssen bis 2020 gebaut werden, um den Strom abtransportieren zu können.
Das weckt den Widerstand der Bürger, die in der Nähe der neuen Leitungen leben. Doch schon heute reichen die Leitungskapazitäten häufig nicht dafür aus, um den Windstrom immer ganz aufzunehmen. Immer häufiger müssen die Netzbetreiber die Betreiber der Windmühlen anweisen, ihre Anlagen runterzufahren. Die Windbranche glaubt allerdings, dass das den Netzbetreibern wiederum nicht ganz unrecht ist - schließlich gehören sie in der Regel den großen konventionellen Stromerzeugern.
Der Autor ist Wirtschaftsredakteur beim "Tagesspiegel" in Berlin.