DIE DEUTSCHEN UND IHR AUTO
Der Klimawandel wirft seine Schatten auf die Dauerromanze. Was gestern ein Vorzug war, kann morgen ein Nachteil sein. Die Industrie muss umdenken.
Vor drei Jahren gab es eine lustige Anzeigenkampagne der Autoindustrie. Sie sollte den Menschen in Deutschland bewusst machen, welchen Stellenwert der Kauf eines Autos in ihrem Leben hat. Dazu dienten zwei Statistiken. Die eine war die Durchschnittsdauer einer Ehe in Deutschland bevor sie geschieden wird. Sie liegt bei 9,0 Jahren. Die andere war die durchschnittliche Zeit, die die Deutschen ein und dasselbe Auto besitzen. Sie liegt bei 11,9 Jahren. Die Entscheidung für ein Auto ist dauerhafter und somit wichtiger als die Entscheidung für den Lebensabschnittsgefährten.
Der Vergleich zwischen dem Kraftfahrzeug und einer Ehe war zwar nicht ganz ernst gemeint und dennoch nicht mal gewagt. Denn das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Auto weist bisweilen klassische Merkmale einer Liebesbeziehung auf. Es ist mit reiner Vernunft nicht zu erklären, es trägt romantische Züge. Und es weist zurück in die deutsche Geschichte.
Viele Nationen leisteten sich ihre Eigenarten. Sie wirken wie Macken, auch wenn es meist eine Erklärung für diese Macken gibt. Irgendwann werden sie dann gepflegt. Am Ende gehören sie zum nationalen Kulturgut. Die Liebe zum Auto und die Freiheit für das schnelle Autofahren wurde in Deutschland bisher verteidigt wie sonst nur in den USA das Recht, Waffen zu tragen. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Autos gebaut wie hier und nirgendwo sonst ist man so stolz auf sie. Schließlich wurde das Auto in Deutschland erfunden.
Seit einiger Zeit wird die Liebesgeschichte zwischen den Deutschen und ihren Autos einer ernsten Belastung unterzogen. Im Frühjahr haben die Vereinten Nationen einen Bericht veröffentlicht. Seither weiß die Welt, dass der Planet in großer Gefahr ist. Es werden Klimagipfel einberufen, die Bundesregierung will sich an die Spitze einer europäischen Bewegung stellen, der neue Erzfeind des Menschen heißt Kohlendioxid, kurz CO2.
Es fällt den Deutschen immer schwerer, das Auto ihr liebstes Stück zu nennen - zumindest jene Version, die typisch deutsch ist: die Schnellen und Schweren, jenseits der 150-PS-Marke. Schon seit langem trüben die stark gestiegenen Benzinpreise die Lust am ungehemmten Fahren. Dazu gibt es immer mehr Vorgaben aus Brüssel. Die Deutschen müssen jetzt Partikelfilter in ihre Autos einbauen, die Hersteller müssen in Brüssel um jedes Gramm CO2 feilschen, das ihre Modelle künftig noch in die Atmosphäre jagen dürfen. Jetzt gibt es sogar einen bösen Umweltkommissar aus Griechenland, der den Deutschen ihr letztes Stück Freiheit wegnehmen möchte: das Recht, auf der Autobahn so schnell fahren zu können wie man will. Wenn Deutschlands Engagement im Kampf gegen den Klimawandel glaubwürdig sein wolle, müsse es ein allgemeines Tempolimit einführen. Das alles hat das Potenzial, eine lange Liebe zu zerstören.
Die deutsche Liebe zum Automobil reicht tief in die Geschichte der Nation zurück. Adolf Hitler hat weder das Auto noch die Autobahn erfunden. Doch er hat ihren Bau zum Großprojekt erhoben, heute würde man sagen: er hat sie zur Chefsache gemacht. Nirgendwo sonst in der Welt wurde so etwas Banales wie das Ausbringen von Asphalt und die Fahrt darauf so überhöht, so verherrlicht wie in Nazi-Deutschland.
In der Nachkriegszeit erhielt diese Begeisterung neue Nahrung. Wieder wurde der Auto- und Straßenbau zum Symbol, diesmal für den Wiederaufstieg des Landes, die Aufbruchstimmung der 50er- und 60er-Jahre. Eine Generation der Geschlagenen konnte im Auto ein Stück ihres Selbstbewusstseins wieder finden. Und in der unbegrenzten Geschwindigkeit auf der Autobahn spiegelte sich plötzlich das scheinbar unaufhaltsame Wachstum des Landes.
So konnte die Bundesrepublik zu einem Paradies für Autobauer und Autofahrer werden. Über die Jahrzehnte entstand ein Grundkonsens zwischen der Politik und der Autoindustrie. Er lautet, dass die Mehrheit der Politiker bislang immer bemüht war, das deutsche Auto so gut es geht zu schützen. Die Autobauer haben eine scharfe Waffe, sie haben Arbeitsplätze, 777.000 sind es noch, es ist der stärkste deutsche Industriezweig. Die Arbeitsplätze wurden jedes Mal neu ins Spiel gebracht, wenn es galt, Gesetze zu verhindern, sei es die Altautoverordnung, den Rußfilter, die Dienstwagensteuer oder das Tempolimit.
Es war in Deutschland nicht möglich, Politik gegen die Interessen der Autobauer und der Autofahrer zu machen. Während die Industrie mit dem Verlust von Arbeitsplätzen drohte, drohten die Autofahrer mit dem Verlust von Wählerstimmen. Keine Gewerkschaft in Deutschland ist so groß wie die Gewerkschaft der Autofahrer. Der ADAC ist einer der mächtigsten Lobbyverbände der Welt. Kein Politiker, der noch bei Trost ist, legt sich freiwillig mit dem ADAC an.
Bislang wogen Arbeitsplätze auf der Waage der Entscheidungen stets mehr als das Klima, und die Meinung des ADAC wog mehr als die Frage, woher künftig der Sprit fließen soll. Doch allmählich scheint die Waage zu kippen. Dass Autos aus Deutschland bislang im Vergleich groß, schwer und schnell waren, hat zu ihrem Ruhm beigetragen. Inzwischen aber sind es ebendiese Charakteristika, die sie in einer Welt ohne Rohstoffe und mit ernsten Klimaproblemen auf einmal aus der Zeit fallen lassen. Die Nachfrage nach spritsparenden Fahrzeugen steigt - und sie wird von ausländischen Herstellern bislang weit besser befriedigt.
Die Forderung nach verbrauchsarmen Autos ist mittlerweile nicht mehr nur ökologisch sinnvoll, sie ist auch ökonomisch geboten. Wer sie erhebt, muss der deutschen Automobilindustrie nicht schaden wollen; er wird ihr sogar nützen.
Das ist der Unterschied zu früher. Es könnte also sein, dass Autos "made in Germany" künftig andere sein werden. Der in die Jahre gekommenen Romanze zwischen den Deutschen und ihren Autos kann das nur gut tun. Denn auch hier kann falsch sein, was für die Ehe richtig ist: Nur wer bereit ist, sich zu ändern, bleibt für den Partner attraktiv.
Der Autor ist Reporter des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel".