BIOKRAFTSTOFFE
In Argentinien und Brasilien wird rigoros abgeholzt für den Pflanzenanbau. Der Klimawandel auf der Südhalbkugel beschleunigt sich dadurch.
Früher", erinnert sich Eduardo L'Episcopo und lässt seinen Blick über das flache, weite Land schweifen, "waren das hier alles noch Rinderweiden. Aber heute? Weit und breit nicht mehr viel zu sehen." Der 54-jährige Agrarfachmann zuckt mit den Schultern und beugt sich wieder über seine Ackerfurche. Farmer wie L'Episcopo sind schuld daran, dass in der mittelargentinischen Provinz Santa Fé nichts mehr ist, wie es mal war. Dass nicht mehr die Viehherden dominieren, sondern jetzt der Ackerbau angesagt ist. Denn so weltberühmt die argentinischen Rindersteaks auch sind: Der weltweite Durst nach Biokraftstoffen ist so groß, dass die Rinderzucht im Land der Gauchos immer unrentabler wird. Stattdessen werden nun Mais und Soja angebaut für die Produktion von Ethanol und Biodiesel. Und L'Episcopo macht Kasse: Seine hochmechanisierte Farmgenossenschaft kann mit den Powerpflanzen pro Hektar gut doppelt so viel verdienen wie einst mit der Rindfleischproduktion. Für den Tank statt auf den Teller. Das ist die neue Devise in der argentinischen Landwirtschaft.
Und nicht nur in Argentinien ist das so: Im Nachbarland Brasilien ist der Vorrat an nutzbarer Fläche noch viel größer. So wird der Regenwald im Amazonasgebiet nicht mehr für Edelhölzer dezimiert oder für die Rinderzucht niedergebrannt. Der Anbau von Zuckerrüben und Mais ist dort mittlerweile der größte Flächenfresser. Schließlich sind in Brasilien schon drei von vier Autos für Alternativsprit ausgerüstet, und selbst dem normalen Benzin müssen per Gesetz 25 Prozent Ethanol beigemischt werden.
In den letzten Jahren haben der hohe Ölpreis, die Klimaschutzdebatte in Europa sowie der Energiehunger der chinesischen Boom-Wirtschaft die Ethanolproduktion in Südamerika angefeuert. Selbst der größte Ölschlucker, die USA, denkt inzwischen um: Konservative Sicherheitsexperten sagen, dass die Entwicklung von Biokraftstoffen im nationalen Interesse liegt. Der Kongress in Washington will den heimischen Verbrauch von Biokraftstoff bis 2010 verdoppeln. Schon heute dürfen die Autofahrer, die Pflanzensaft getankt haben, in vielen US-Bundesstaaten alleine auf eigenen Fahrspuren brausen.
Kaum ein Staatschef hat das Potenzial von Ethanol so erkannt wie Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva: Er will sein Land zum größten Anbaugebiet weltweit machen. Allein zwischen 2000 und 2005 ist die Ethanolherstellung in Brasilien um die Hälfte angewachsen, die Ausfuhren haben sich verzehnfacht. Rund um die Wirtschaftsmetropole Sao Paulo werden zurzeit rund 100 Fabriken gebaut - Investitionen von rund 10 Milliarden Dollar. Sie sollen bis 2012 mit der Herstellung von Kraftstoff beginnen. Brasilien ist auf dem Weg zu einer Art Saudi-Arabien für Ökokraftstoffe. Peter Gross von der Hamburger Conergy AG sagt: "Nirgends sonst weltweit sind die Herstellungsbedingungen für alternative Treibstoffe so gut wie hier." Etliche deutsche Firmen wie die Conergy AG haben schon ihren Fuß in der Tür. Sie wollen hier mit deutschem Know-how produzieren, zu südamerikanischen Preisen.
Auch in Argentinien, dank des niedrigen Peso-Kurses noch attraktiver als Brasilien, kündigt alle paar Tage ein neuer Investor ein neues Biosprit-Investment an. Allein 500 Millionen Dollar will etwa der ungarische Großinvestor George Soros in den Aufbau argentinischer Biokraftstoffanlagen pumpen. Im Land ist der Markt für Samen und Saatgut praktisch leergefegt, so groß ist die Nachfrage. Warum boomt gerade in Argentinien das Getreidegeschäft? Das zeigt ein Blick auf den Betrieb, den Agronom L'Episcopo führt. Mit den acht Mitgliedern seiner Genossenschaft beackert er nicht weit von der Stadt Rosario 1.000 Hektar. Sie bauen Soja an, Weizen, Mais, Linsen, Erbsen - je nachdem, was gerade am profitabelsten ist. Von der roten Erntemaschine werden die Bohnen und Körner in dicken Rohren auf den gelben Anhänger gespült, von da geht es auf den Laster und von da per Schiff nach Rosario, zur Getreidebörse, und von da hinaus in die Welt. Alles voll mechanisiert, niedrige Transportkosten, Personalaufwand nahe null.
Für die Volkswirtschaften Brasiliens, wo immer noch zwei Drittel der Bevölkerung in der Schattenwirtschaft oder unterhalb der Armutsgrenze leben, und Argentiniens, das sich von der schweren Wirtschaftskrise 2001/2002 immer noch nicht erholt hat, sind die Antriebsstoffe vom Acker wichtige Einnahmequellen. Argentinien will deshalb die Ethanolproduktion bis in vier Jahren um ein Drittel hochschrauben. Brasiliens Präsident Lula, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer, sie bis 2015 in seinem Land gar verdoppeln: "Wir bieten der entwickelten Welt die Chance, Reparationen zu leisten für die Menge Schmutz, die sie bereits in die Atmosphäre geblasen hat", erklärte er jüngst bei seiner Biosprit-Werbetournee im jamaikanischen Kingston. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega allerdings hielt entgegen: "Es ist ein Verbrechen, aus Mais Benzin herzustellen!" Denn den Preis für den Agrosprit-Boom, den zahlt ebenfalls die Umwelt: Gerade erst konnte Greenpeace die großen Sojahersteller in Brasilien dazu bewegen, keine neuen Amazonasflächen für den Anbau der Pflanze zu roden; gerade erst haben Burger-Brater McDonald's und Handelsketten wie Carrefour versprochen, ihren Kunden keine Sojaprodukte mehr aus Regenwaldflächen vorzusetzen - da setzt der Ethanol-Boom ein. Farmer wie Eduardo L'Episcopo aus der argentinischen Provinz Santa Fé bauen nun eben statt Ölsaaten immer mehr stärkehaltige Pflanzen wie Mais und Zuckerrüben an - die Negativfolgen sind aber so ziemlich die gleichen wie beim Soja.
Wegen des Biodiesel-Booms wird heute in Argentinien dreimal so viel Soja angebaut wie noch Anfang der 90er-Jahre: eine Fläche von über 150.000 Quadratkilometern, fast halb so groß wie die Bundesrepublik. Immer weiter fressen sich die Kulturen auch auf Wüsten- und andere Böden in extremen Lagen vor, immer öfter werden Indianerstämme aus ihren Reservaten vertrieben. 250.000 Hektar Wald, die Fläche des Saarlands, werden jedes Jahr gerodet. Die Folgen: schlechtere Böden, geringere Artenvielfalt. "All das sollte man in Europa schon auch mal zur Kenntnis nehmen", sagt Juan Carlos Villalonga, politischer Direktor bei Greenpeace Argentinien. Südamerika als Lieferant von ach so ökologischen Biokraftstoffen? Villalonga ist da skeptisch.
Durch die weitere Abholzung der Amazonas-Regenwälder oder der Yunga-Wälder in Nordargentinien gehen Flächen verloren, die Feuchtigkeit speichern und das Klima regulieren. So beschleunigt der massive Anbau von Biokraftstoffen auf der Südhalbkugel den Klimawandel - den die Verwendung von Ökoantrieb in den Industrieländern doch eigentlich bremsen soll. Ökodiesel statt Diesel im Tank, Ethanol statt Benzin? So mancher Umweltexperte hält den ökologischen Vorteil für verschwindend gering.
Ulises Martínez-Ortíz von der argentinischen Umweltorganisation "Vida Silvestre" etwa rechnet vor: Mit der Verdopplung der Produktion von meist genetisch manipuliertem Soja habe sich auch der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln in den letzten 15 Jahren verdoppelt und der von Dünger verfünffacht. Zu Lasten der Wasserqualität. Fruchtwechsel, um der Erde ihre Nährstoffe zu erhalten? Unrentabel. Die Artenvielfalt schwinde aufgrund des Getreide-Booms, sagt der Agronom. Außerdem geben Lobbyisten der Genpflanzen-Industrie unverhohlen zu: Der massive Ausbau von manipuliertem Mais und Soja in den Ländern des Südens soll den Verbraucherwiderstand gegen Genprodukte in den Ländern des Nordens brechen. Zumal, wenn es um Antriebsstoffe geht statt um Nahrungsmittel: "Über dieses Thema versucht die Genindustrie wieder richtig Fuß zu fassen", sagt Alexander Hissting von Greenpeace Deutschland.
Alles Wohlstandsbremser: So beschimpft Brasiliens Staatschef Lula die Kritiker des Agrosprits. Mit Händen und Füßen wehrt sich Brasilien gegen Überlegungen in der EU, ökologische Standards für die Produktion von eingeführtem Biosprit zu setzen. Es passe nicht zusammen, gleichzeitig die Treibhausgase vermindern zu wollen und "neue Hürden zu errichten, Biokraftstoffe zu internationalen Wirtschaftsgütern zu machen", sagte Lula jüngst bei einer Konferenz.
Doch auch für die Bevölkerung hat der Run auf Biokraftstoffe ökonomisch negative Folgen: In Mexiko kostete Ende 2006 der Sack Maismehl - das Grundnahrungsmittel - auf einmal doppelt so viel wie vorher. Es kam zu Volksaufständen, bis der Präsident die durch US-Importe verursachte Preistreiberei per Dekret bremste. Der hochprofitable Anbau von Mais, Zucker, Soja oder Palmen lässt buchstäblich immer weniger Raum für den Anbau von Gemüse und Obst - die Lebensmittel werden teurer. Die Tanks in den meist nördlichen Industrieländern versus die Mägen der Drittweltbevölkerung, so ist die Konkurrenzsituation.
Eduardo L'Episcopo, der Farmer in der argentinischen Kornkammer, versteht diese ganzen Debatten gar nicht. Will sie gar nicht verstehen, kann sie gar nicht verstehen. Ihn macht der Biosprit-Boom reich, sein Land habe dem Soja-Boom die wirtschaftliche Erholung zu verdanken, so sieht er das. "Bei uns geht es um Ernährung, Hunger, Schulen. Wir haben einfach andere Probleme als Ihr Europäer", sagt L'Episcopo, setzt sich auf seine Erntemaschine und fährt lärmend in die untergehende Sonne.
Der Autor lebt als Journalist in Buenos Aires.