KONFLIKTE UM WASSER
Im Nilbecken wollen zehn Staaten das kostbare Nass verwerten. Nach Jahrhunderten der Konfrontation stehen die Zeichen jetzt auf Zusammenarbeit.
"Das Einzige, was Ägypten noch einmal in den Krieg führen kann, ist Wasser", sagte Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat 1979. Aus dem Nil schöpfen die Ägypter 95 Prozent ihres Frischwassers. Doch als einer der längsten Flüsse der Welt strömt der Nil durch zehn Staaten, die seit jeher um das rare Frischwasser konkurrieren. Besonders Ägypten ist darauf angewiesen, dass der Nil genug Wasser führt. Als wirtschaftlich und militärisch überlegene Macht am Nil setzte das Land seine Ansprüche auf das Wasser gegenüber anderen Staaten wie dem Sudan oder Uganda immer wieder durch und unterdrückte erfolgreich deren Bestrebungen, den Nil intensiver im Rahmen von Großstaudämmen und Kraftwerken zu nutzen.
Staaten wie Ägypten sind gezwungen, vorzusorgen. Die älteste Technik, um saisonal bedingte Versorgungsengpässe zu überbrücken, ist der Bau von Staudämmen. Nach Angaben der World Commission on Dams (WCD) gibt es weltweit 45.000 große Staudämme, außerdem unzählige kleine Dammbauten. Ein WCD-Bericht im Jahr 2000 zeigte, dass schlecht geplante und falsch platzierte Dämme massive Umweltprobleme und Flüchtlingsströme mit sich bringen.
Auch Ägypten versuchte mit dem Bau des Assuan-Staudamms Ende der 50er-Jahre seine Frischwasserversorgung und seinen Energiehaushalt zu stabilisieren - oder zumindest die Illusion zu erzeugen, von den Staaten flussaufwärts unabhängig zu sein. So provozierte Ägypten jede Menge Feindseligkeiten, meint US-Umweltforscherin Sandra Postel. Sie glaubt, dass egoistisches, einseitiges Handeln einzelner Staaten gravierendere Folgen für die Sicherheit der Region hatte als die eigentliche Wasser- knappheit.
Tatsächlich kam es in der Planungsphase des Großstaudamms zu massiven Spannungen zwischen Ägypten und dem Sudan. Die wurden erst aus der Welt geschafft, als beide Staaten 1957 ein Abkommen über die Nutzung des Nilwassers erneuerten und Ägypten Zugeständnisse an den Sudan machte. 87 Prozent des Nilwassers kontrollierte fortan Ägypten, 13 Prozent der Sudan. Ägypten und der Sudan konnten in der Folge nicht nur ihre Pläne für Großstaudämme realisieren, sie schufen auch ein Abkommen, auf das sich beide bis heute berufen. Äthiopien, auf dessen Territorium immerhin 85 Prozent des gesamten Nilwassers entspringen, wurde ignoriert, ebenso wie die sieben weiteren Staaten des Nilbeckens.
Sofort kam es zu verbalen Konfrontationen zwischen Ägypten und Äthiopien. Laut Postel kein Wunder: Solche egoistischen Aktionen gefährden die regionale Sicherheit und verpesten das politische Klima im Flussbecken auf Jahrzehnte hin, meint sie. Äthiopien war empört, dass ihm die Nutzung von Nilwasser im großen Stil verweigert werden sollte - denn auch hier wollte man mit Hilfe von Großstaudämmen Strom produzieren und große Bewässerungsprojekte für trockene Landstriche ankurbeln. Doch bis zum Jahr 2000 war Äthiopien durch einen Krieg mit Eritrea stark destabilisiert, ähnlich wie viele andere Staaten am oberen Flussverlauf des Nils, die mit blutigen Bürgerkriegen zu kämpfen hatten. Erst seit Ende der 90er-Jahre sind die meisten dieser Auseinandersetzungen beendet, sodass sich die Staaten wieder ihrer wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung widmen können. Und tatsächlich gibt es seitdem eine Unmenge von Planungen für Staudämme und Wassermanagement.
Einig sind sich alle Nilbecken-Experten darin, dass eine grenzenüberschreitende Kooperation Wasserkonflikte entschärfen kann - nicht nur hier, sondern weltweit. Erste Schritte hin zu einer solchen Kooperation ist die "Nile Basin Initiative" (NBI), die die Weltbank, das UN-Entwicklungsprogramm UNDP und eine kanadische Behörde 1999 ins Leben riefen. Hier diskutieren alle Nilbecken-Staaten gemeinsam über die "kooperative Entwicklung der Nilwasserressourcen" - mit moderaten, aber durchaus positiven Ergebnissen. Und vor allem im Hinblick auf die Zukunft hat die NBI eine unverzichtbare Rolle, denn sie ist die Institution, in der die Nilstaaten ihre derzeit zahlreichen Ideen und Planungen für Staudämme und Bewässerungssysteme besprechen und koordinieren können. Zentrale Interessenkonflikte zwischen den Ländern am unteren Flusslauf, die den Status quo beibehalten möchten, und den flussaufwärts gelegenen Staaten, die sich mehr Rechte erstreiten wollen, konnten noch nicht gelöst werden. Außerdem, so Kritiker, wurden Akteure wie die lokale Bevölkerung und die Zivilgesellschaft noch nicht in die Verhandlungen einbezogen.
Insgesamt, hoffen Beobachter, könnte die NBI durch Dialog nicht nur politische Konflikte entschärfen und den Technologietransfer fördern. Sie könnte die Staaten dazu bringen, ihr Wassermanagement sinnvoll zu kombinieren, sodass alle davon profitieren. So könnten Äthiopien und Uganda ihre großen Wasserelektrizitätspotenziale ausbauen und den Strom an den Sudan und an Ägypten verkaufen. Staudämme könnten in den beiden Ländern flussaufwärts das Nilwasser mit weniger Verdunstungsverlusten speichern und in Trockenperioden in den Sudan und nach Ägypten weiterleiten.
Alle Probleme konnten die NBI und die zwischenstaatliche Kooperation noch nicht lösen. Doch ein Anfang in Richtung friedlicher Dialog und kooperative Nutzung der vorhandenen Wasserressourcen ist im Nilbecken nach langen Streitigkeiten endlich gemacht.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.