LOBBYISMUS
Die Energiebranche übt starken Einfluss auf das Handeln der Politiker aus. Die »inhaltliche Zuarbeit« bei der Gesetzgebung soll langfristige Investitionen absichern.
Zum Jahreswechsel 2007 entgingen die Deutschen knapp einer Blamage in Brüssel. Stein des Anstoßes: die Verteilung von Verschmutzungsrechten für die Jahre 2008 bis 2012, die im Nationalen Allokationsplan festgeschrieben werden sollte. Die vom Staat zugeteilten und limitierten Lizenzen berechtigen Betreiber von Kraftwerken, Klimagase in der Luft zu deponieren. Unternehmen, die mehr Klimagase in die Umwelt abgeben als sie Lizenzen besitzen, müssen auf dem Markt zukaufen. Andere Kraftwerke, die dank moderner Technik weniger Zertifikate benötigen, können diese verkaufen.
Die europäischen Klimawächter monierten, dass die deutsche Energiewirtschaft künftig zu viel klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft blasen dürfe. Doch bevor die EU-Kommission den deutschen Klimaschutzplan offiziell ablehnte, zog der Minister Sigmar Gabriel (SPD) sein Papier selbst zurück und ließ die Brüsseler Anregungen einarbeiten. Gabriel hatte vor allem Kohlekraftwerke mit zu vielen Lizenzen beschenken wollen. Schließlich ist die Zahl der Lizenzen begrenzt. Ein Unternehmen, das mehr Berechtigungsscheine fordert, nimmt automatisch der Konkurrenz etwas weg. Die Energiewirtschaft intervenierte deshalb so lange in Berliner Ministerien, bis ihre Verpflichtungen zur Reduzierung der Klimagase weitgehend minimiert waren. Erst die Kritik der EU-Kommission konnte die "Lex Energiewirtschaft" des Umweltministers stoppen.
Obwohl Brüssel immer mehr Gesetze erlässt, ist der Einfluss der Energiewirtschaft auf Politiker von großer Bedeutung. Denn die Versorger unterscheiden sich von anderen deutschen Unternehmen dadurch, dass sie überwiegend heimische Kundschaft beliefern. Erwirtschaften Siemens oder Rheinmetall ihre Gewinne vor allem im Ausland, so sind Erzeuger und Verkäufer von Energie meist auf den Heimatmarkt angewiesen - und damit besonders auf die Gesetzgebung in Bund und Ländern. Um darauf gezielt Einfluss auszuüben, organisieren sich die kleinen Versorger in Verbänden und beschäftigen die großen Konzerne eigene Stäbe in der Hauptstadt. Hierzulande setzen die Energieunternehmen jedes Jahr dreistellige Milliardenbeträge um. Nicht zuletzt, weil die Preise kontinuierlich steigen. Hauptursache: Der Wettbewerb fehlt. Zwar gibt es mehr als 900 Energieversorger. Den Markt dominieren allerdings vier überregionale Konzerne: RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Gemessen am eigenen Stromabsatz verkaufen die Marktführer knapp die Hälfte des bundesweit verbrauchten Stroms selbst an Endkunden. Und sie beliefern Hunderte von Stadtwerken, die dann die Rolle des Lieferanten an Endverbraucher übernehmen. Allein RWE und Eon sind zusammen an mehr als 210 regionalen Versorgern und Stadtwerken beteiligt. Sie kontrollieren fast zwei Drittel der Stromerzeugung, verfügen über Kraftwerke und über das Elektrizitätsnetz. Um ihre Macht zu erhalten, beschäftigen die Konzerne politische Profis. Vor allem das Entstehen der Paragrafen des neuen Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2005 dokumentiert die hohe Kunst dieser Lobbyisten. Dass Wirtschaft und Ministerialbürokratie eng zusammenarbeiten, ist kein Einzelfall und nicht grundsätzlich zu beanstanden. Viele Gesetze werden durch mehr Wirtschaftsnähe eher besser als schlechter. Nützlich sind Interessenvertreter als Experten, Faktensammler und Rechercheure. Sie haben Zugang zu internen Bilanzen, sie kennen alle Beteiligten. Von Lobbyisten zusammengestellte Fachinformationen dienen der Meinungsbildung, sind wahrscheinlich unverzichtbar - wenn Politiker oder Beamte zum Wohl der Allgemeinheit abwägen und dies transparent machen.
Doch wenn sich Unternehmen (und Politiker) weigern, über ihre Zusammenarbeit zu sprechen, dann entsteht der Verdacht, dass aus inhaltlicher Hilfe grundsätzliche, politische Einflüsterungen oder gar Drohungen werden. Wie, wenn nicht durch Transparenz, kann verhindert werden, dass ganze Textbausteine aus Unternehmenspapieren im Gesetz landen, ohne dass sich der Verdacht erhärtet, es gehe vor allem um die Sicherung künftiger Unternehmensgewinne?
Ein Verdacht, der sich bei der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes aufdrängte. So bekam Eon den Energiemarktbericht der Bundesregierung mehr als sechs Wochen vor der Veröffentlichung zugestellt.
Der Konzern kritisierte einige Einschätzungen der rot-grünen Regierung scharf - worauf das Wirtschaftsministerium einige Stellen änderte. Beispielsweise entfällt im offiziellen Dokument eine Passage, in der zu lesen war, dass neue Marktteilnehmer wie US-Konzerne auch wegen der Schwierigkeit, Zugang zu den Transportleitungen zu bekommen, vom deutschen Gasmarkt schnell wieder verschwunden gewesen seien. Als Ursache für deren Rückzug werden stattdessen - wie von Eon vorgeschlagen - wirtschaftliche Probleme im US-Markt vermutet. Warum wurden diese industrie- und branchenkritischen Äußerungen im Ministerium gestrichen? Der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) antwortete auf keine Anfrage.
Auch RWE ist aktiv. In der Verordnung über die Ermittlung der Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen weist der Bearbeiter unter anderem auf die Urheber des Paragrafen 18 hin: "Vorschlag RWE", "wörtlich RWE", "fast wörtlich RWE", "Zusatz RWE klären". Brisant ist, dass unter anderem gerade in diesem Paragrafen die Ermittlung ener Entgelte geregelt wird, von denen später das Bundeskartellamt annimmt, dass sie unrechtmäßig überhöht seien - und die Verbraucher bis zu 30 Prozent zu viel bezahlen. RWE bestätigt die inhaltlichen Zuarbeiten. Es sei für den Konzern "überlebenswichtig", künftige Investitionen in langlebige Kraftwerke, die 40 Jahre Strom produzieren sollen, politisch abzusichern, erklärt ein Sprecher in Essen. Schließlich investiere RWE Milliarden Euro. Außerdem sei die Energiemarktreform ein Verfahren, bei dem viele Parteien ihre Interessen durchsetzen wollten. Wegen der Fülle von Informationen und Interessen von Wirtschaft und Politik sei es für die Mitarbeiter im Ministerium zunehmend schwieriger, den Überblick zu bewahren.
Tatsächlich? Müssen Gesetze umfangreicher und Sachverhalte immer komplexer werden? Oder dringen Lobbyisten immer stärker darauf, ihre Einzelinteressen zu berücksichtigen, was die Zahl der Paragrafen in die Höhe treibt? Beispiel Energiewirtschaftsgesetz: Bis 2005 reichten knapp drei Dutzend Paragrafen. Jetzt sind es mehr als einhundert Regelungen nebst zahlreicher Verordnungen. Unter der Großen Koalition ist der Einfluss der Energiebranche weniger offensichtlich geworden. Die Verbindungen in die Ministerien existieren dennoch weiter. Und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schätzt die Expertise der vier Marktführer. Sie lud zu ihren Energiegipfeln wie ihr Vorgänger gleich die Chefs aller vier Konzerne ein, während Verbraucher oder Zivilgesellschaft jeweils nur einen Vertreter entsenden durften.
Die Autorin ist Wirtschaftsredakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit".