IRAN
Die Erdölindustrie ist bei weitem der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Und zugleich in einer desolaten Lage.
Während des Präsidentschaftswahlkampfes im Juni 2005 forderte Mahmud Ahmadinedschad in einem populären Slogan, dass das Einkommen aus den Erdölexporten Irans "auf den Tisch des Volkes" kommen müsse. Ahmadinedschads populistischer Wahlkampf fand in der Tat regen Zuspruch in Teilen der Bevölkerung, die von der vorsichtigen wirtschaftlichen Öffnung der Vorgänger Rafsandschani und Khatami weniger profitiert hatten. Tatsächlich vollzog Ahmadinedschad eine teils als chaotisch beschriebene Kehrtwendung, die vor allem die Staatsausgaben und die Inflation in die Höhe getrieben hat. Die Inflation wird derzeit offiziell derzeit mit 15 Prozent angegeben. liegt aber vermutlich weit höher.
Die krisenhafte Entwicklung der iranischen Wirtschaft hat durch die zunehmende außenpolitische Isolation als Folge der aggressiv propagierten Nuklearpolitik und drohender verschärfter Sanktionen eine ernste negative Dynamik erhalten, die nun auch ein Politikum erreicht hat: den Benzinpreis. Am 26. Juni dieses Jahres meldete der iranische Rundfunk, wie Ahmadinedschad seine Wahlversprechen einzuhalten gedachte, nämlich durch eine Rationierung des subventionierten Benzins von Mitternacht an. Diese Maßnahme war mehrfach verschoben worden, da die Regierung zu Recht mit Protesten rechnete. Und tatsächlich entlud sich der Unmut der Teheraner in der folgenden Nacht an mehreren Tankstellen. Die Tatsache, dass der Iran als viertgrößter Erdölproduzent mit den zweitgrößten Reserven Benzin rationiert, ist ein gutes Beispiel für die komplexen Verhältnisse in der iranischen Innen- wie Außenpolitik. Die Unruhen in Teheran sind zudem ein Indikator dafür, dass die dirigistische Wirtschaftspolitik der Regierung Ahmadinedschads zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen geführt hat.
Der Präsident überführte die wirtschaftspolitischen Entscheidungskompetenzen von der Zentralbank und dem Wirtschaftsministerium in die präsidiale Verwaltung. Diese ist überwiegend mit Personen besetzt, die zwar nicht über einschlägige Erfahrungen verfügen, aber mit denen Ahmadinedschad während des Iran-Irak-Krieges in den Revolutionsgarden gedient hatte. Diese Gruppe verfolgt neben eigenen ökonomischen Interessen - die Revolutionsgarden verfügen über weitreichende wirtschaftliche Verflechtungen - die Ideale aus der Frühzeit der islamischen Revolution von 1979, die an eine Art Staatssozialismus erinnern.
Die Erdölindustrie ist mit 80 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung des Irans der wichtigste Wirtschaftssektor und gleichzeitig - dies zeigen die Rationierungen - in einer desolaten Lage.
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds subventioniert Teheran die Preise für Benzin, Gas und Elektrizität mit jährlich 14 Milliarden Euro, sodass der Benzinpreis mit 8 Eurocent pro Liter im Iran weit unter den Produktionskosten liegt und einer der niedrigsten weltweit ist. Dieser politische Preis ist mit gravierenden ökonomischen Kosten verbunden, da er der Erdölindustrie das Kapital für dringend benötigte Investitionen entzieht. Als Folge der Sanktionen durch die USA bleiben ausländische Investitionen und dringend benötigter Technologietransfer aus, sodass die derzeitige Fördermenge mit vier Millionen Barrel pro Tag unter den Kapazitäten der 1970er-Jahre liegt und weiter sinkt. Heute schöpft der Iran nicht einmal mehr die Förderquoten der OPEC aus. Problematisch ist zudem, dass das Land angesichts des rasant angestiegenen heimischen Bedarfs an Kraftstoffen über keine ausreichenden Raffineriekapazitäten verfügt, sodass 40 Prozent des Bedarfs zu Weltmarktpreisen importiert wird. Daher ist die Rationierung des subventionierten Benzins nicht nur eine Maßnahme, um den Staatshaushalt zu entlasten, sondern auch drohenden Sanktionen zuvorzukommen. Indien, das ein Großteil des iranischen Erdöls raffiniert, hat allerdings bisher alle Forderungen der USA zurückgewiesen, die Kraftstoffexporte in den Iran einzustellen.
Die wirtschaftliche Misere ist Ahmadinedschads Achillesverse und könnte ein Zeichen sein, dass der Iran durch ein koordiniertes Sanktionsregime durchaus unter Druck gesetzt werden könnte. Selbst konservative Kreise um den Revolutionsführer Khamenei sowie renommierte Ökonomen kritisieren die Politik des Präsidenten mittlerweile öffentlich. Bisher versuchte die Regierung den wachsenden Unmut mit Repressionen und Ablenkungsmanövern zu kontrollieren, aber es ist nicht auszuschließen, dass das konservative Establishment den Präsidenten zur Ordnung ruft - die Macht dazu hat es.
Gewachsener Einfluss Angesichts der innenpolitischen Krise ist es nicht verwunderlich, dass Ahmadinedschad sich vor allem im Glanz der zunehmenden regionalen Bedeutung des Irans sonnt. Die katastrophale Entwicklung im Irak und in Afghanistan haben den regionalen Einfluss des Landes in der Region dramatisch verstärkt. Allerdings oszilliert der Iran zwischen einer konstruktiven Rolle, beispielsweise in Form von Infrastrukturprogrammen in Zentralasien, und einer destruktiven, etwa durch die Unterstützung militanter schiitischer Gruppen im Irak. Interessant ist jedoch, dass der Iran sich in seiner außenpolitischen Selbstdarstellung zunehmend auf das Prinzip der unbedingten staatlichen Souveränität beruft - für eine Theokratie, in der alle Souveränität Gott gebührt. Eine interessante Entwicklung.
Der Autor leitet die OSZE-Akademie im kirgisischen Bischkek, wo er auch an der American University of Central Asia lehrt.