UMWELTBUNDESAMT
Kompetenzzentrum auf der Suche nach Anpassungsstrategien
Bilder aus jenen Tagen im Winter vor zwei Jahren zeigen das Münsterland ganz in Weiß. Bis zu 50 Zentimeter Schnee waren Ende November 2005 über Nacht gefallen. Es sind keine Bilder winterlicher Ruhe. Aus der Schneeschicht ragen Stahlspitzen. Es sind Strommasten. Genauer: ihre Überreste, nachdem Eisblizzard Thorsten über sie hinweggefegt war. Tagelang war die gesamte Gegend ohne Strom. Beiträge in den TV-Nachrichten erinnerten an Szenen aus Nachkriegsfilmen.
Mit einem derartigen Zusammenbruch der Energieversorgung hatte keiner gerechnet. Was damals Tagen passierte, war zuvor in keinem noch so düsteren Klimaszenario aufgetaucht. Auf einmal war allen klar: Der Klimawandel ist längst da. Und er kann mal eben kurzerhand unsere Strom-, Gas- und Wasserversorgung lahmlegen.
Eine Institution in Deutschland erarbeitet seit Herbst 2006 gezielt Strategien, um sich auf diese Entwicklungen einzustellen: Darum kümmert sich das "Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassungen" (KomPass) beim Umweltbundesamt in Dessau. Und das in höchstem Auftrag: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD )gab die Losung an das Umweltbundesamt aus, sein Ministerium im Rahmen des Nationalen Klimaschutzprogramms fachlich zu unterstützen. Allein die Existenz dieses Kompetenzzentrums hat Signalwirkung. Während es lange nur darum ging, Emissionen zu mindern, den FCKW-Verbrauch und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, bedeutet die Einrichtung von KomPass: Lernen mit den Folgen zu leben.
"Emissionen zu mindern hat zwar Priorität", betont die KomPass-Leiterin Petra Mahrenholz, "aber da der Klimawandel längst Fakt ist, muss man auch über Anpassungsstrategien nachdenken." Seit 1991 arbeitet sie beim Umweltbundesamt, der Klimawandel war immer ihr Thema. Sie ist die Meteorologin im Team. Zusammen mit einem Ökonomen, einem Physiker, einer Verwaltungswirtin und einem Soziologen stellt sie das explizit interdisziplinäre Team, das alle Eventualitäten für die Klimazukunft abklopft. Dafür haben sie ein Jahresbudget im "niedrigen sechsstelligen Bereich", das Projekt läuft zunächst bis 2011.
"Minderung kann nur global erfolgreich sein, den Effekt sieht man erst in 30 bis 40 Jahren. Das ist bei Anpassung anders", erklärt Mahrenholz. "Da sieht man die Wirkung sofort, und zwar im lokalen und regionalen Bereich." Wintertourismusgebiete sollten etwa schon jetzt auf Alternativen wie Wanderurlaub oder Wellnessreisen setzen, als Sommerurlaubsziel könnte Deutschland sogar vom Klimawandel profitieren. Landwirte, heißt es, können früher aussäen und sollten beim Düngen bedenken, dass ein höherer CO2-Wert auch den Stickstoffbedarf der Ackerfrüchte erhöht. Allheilmittel haben Mahrenholz und ihr Team noch nicht gefunden, sie stehen schließlich erst am Anfang - und müssen Lösungen finden, die am Ende alle abnicken können: Kompromisssuche in einer kompromisslosen Realität.
Um möglichst detailgenaue Vorschläge zu erarbeiten, tragen die KomPass-Leute erst einmal Informationen zusammen. Momentan befragen sie ihre Kooperationspartner. Von Institutionen wie dem Bundesamt für Hochwasserschutz, den einzelnen Bundesländern, wie auch von Nichtregierungsorganisationen wollen sie wissen, wie deren Kenntnisstand ist, wo sie selbst verwundbar sind oder welche Kompetenzen sie einbringen könnten. Auf der Basis der Antworten wollen Petra Mahrenholz und ihre Mitarbeiter tragbare Strategien für die verschiedenen Branchen entwickeln. Nur ausgerechnet mit dem Herzstück der gesamten Infrastruktur gibt es Probleme: "Es ist schwierig, diese Informationen von der Energiewirtschaft zu bekommen", erklärt Mahrenholz. "Die Konzerne haben schließlich Konkurrenten und werden sich hüten, offenzulegen, wie und wo sie vulnerabel sind."
Dabei ist die Energiebranche ein elementarer Faktor in der nationalen Klimarechnung. Der Klimawandel, so die unumstößliche Wahrheit, wird zu höheren Energiekosten führen. "Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass sich die Energiepreise bis 2050 um 300 Milliarden erhöhen - nur wegen der Klimafolgen", sagt Mahrenholz. Zusätzlich könnten die Kosten für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel im selben Zeitraum bei knapp 170 Milliarden Euro liegen.
Wie anfällig die Energieverteilungssysteme tatsächlich sind, lässt sich nach der Erfahrung jenes harten Winters nur erahnen. Denn mindestens genauso dramatisch sind die Konsequenzen bei hohen Temperaturen: Im Sommer 2003 gab es 89 Hitzetage über 25 Grad, das reichte, um die Stromversorgung fast lahmzulegen. Mahrenholz erzählt von niedrigen Wasserständen und Flüssen, deren Wasser über 25 Grad warm war, von Kraftwerken, die ihre Leistung um bis zu 70 Prozent drosseln mussten, weil zu wenig Wasser im Fluss war, das sie für ihre Kühltürme brauchen - und bei einem Störfall wäre es zu warm gewesen.
Sie erzählt auch von den Braunkohlekraftwerken, die meist an Flüssen stehen, weil der Stoff mit Containerschiffen zu ihnen kommt. Und deren Betreiber jetzt darüber nachdenken, sich größere Lagerhallen anzuschaffen, um im Notfall genügend Vorrat zu haben. Und dann verweist Mahrenholz noch auf eine Kienbaum-Studie, die vor noch mehr Hurrikans warnt, weil sie die Ölplattformen in den Ozeanen bedrohen. Vom Ölpreis, so Mahrenholz, seien schließlich alle anderen Preise abhängig. Allein in energieintensiven Branchen wie der Chemieindustrie rechnet sie vor, könnten im Jahr 2050 85 Prozent der Gesamtausgaben für Energiekosten draufgehen. "Das belastet am Ende vor allem Privathaushalte", sagt Mahrenholz.
Umso erstaunlicher, dass all die drastischen Hochrechnungen und alarmrot eingefärbten Schaubilder der Experten momentan bei Entscheidungsprozessen kaum eine Rolle spielen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht von einem Temperaturanstieg um 4,5 Grad bis 2050 aus, KomPass von zwei bis drei. Momentan reichen nach DIN-Norm allerdings die Wetterdaten der vergangenen 50 Jahre. "Das ist absolut nicht mehr zeitgemäß", betont die KomPass-Leiterin. "Wir fordern, dass Klima- szenarien in die Planung einbezogen werden."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.