KERNENERGIE
Frankreich sieht darin die Zukunft. Die Österreicher halten sie für gefährlich.
Eigentlich ist der Atomausstieg in Deutschland beschlossene Sache. 2020 sollen die letzten Meiler vom Netz gehen. Doch das Projekt der rot-grünen Bundesregierung wird zunehmend in Frage gestellt. Unionspolitiker wie Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) fordern die Verlängerung der Laufzeiten. Die Unabhängigkeit von Öl- und Gasimporten und die Verpflichtung, den Kohlendioxidausstoß zu verringern, sind die schlagkräftigsten Argumente in der neu entfachten Atomdebatte. Es sind Fragen, die man sich nicht nur hierzulande stellt. Auch in den europäischen Nachbarstaaten wird darüber diskutiert, ob und wie es weitergeht mit der Kernenergie.
Das Land ist der stärkste Befürworter der Kernenergie in Europa. Ein Ausstieg stand nie ernsthaft zur Debatte. Auch die neue Regierung unter Nicolas Sarkozy hat bereits deutlich gemacht, dass man Atomkraft für die Energie der Zukunft hält. Frankreich bezieht fast 80 Prozent seines Stroms aus 59 kommerziell genutzten Reaktoren (in Deutschland sind es 17). Damit ist das Land nach den USA die zweitgrößte Atommacht der Welt. Französische Firmen investieren viel Geld in die Entwicklung neuer Technologien. In Flamanville wird 2012 ein supermoderner Reaktor ans Netz gehen, weitere sind in Planung.
Die Briten haben allen Grund zur Skepsis gegenüber der Atomkraft. Die Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield sorgte immer wieder für lautstarke Proteste in der Bevölkerung, zuletzt vor zwei Jahren, als 160 Kilogramm hochgiftigen Plutoniums aus einem defekten Rohr austraten. Großbritannien bezieht ein Fünftel seines Stromverbrauchs aus der Kernenergie. Bis auf eines müssen alle Kraftwerke aus Altersgründen bis 2023 stillgelegt werden. Vor wenigen Jahren noch wollte man den Umstand auch zum Ausstieg nutzen. Jetzt denkt die Regierung laut über den Bau neuer Meiler nach. Als Hauptgrund gilt der Beschluss der Europäischen Union, wonach jedes Mitglied seinen Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent senken muss.
In Schweden war das Thema Atomkraft eigentlich schon abgeschlossen. Bereits 1980 votierten die Bürger in einer Volksabstimmung für den Atomausstieg bis spätestens im Jahr 2010. Seitdem hat sich Volkes Meinung aber gründlich geändert. Laut Meinungsumfragen wollen mehr als 70 Prozent der Schweden, dass die vorhandenen zehn Reaktoren weiterlaufen. Auch der jüngste Störfall im Atomkraftwerk Forsmark hat daran nichts geändert. 2005 hat die Regierung erklärt, Schweden wolle im Jahr 2020 keinen Tropfen Öl mehr verbrauchen. Ohne Atomkraft wird das nicht gehen. Die Schweden verbrauchen sehr viel Strom, auch weil viele ihre Holzhäuser elektrisch beheizen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Mehr als die Hälfte davon fließt aus Kernkraftwerken.
Die Polen haben ganz andere Motive für den geplanten Einstieg in die Atomenergie. Zwei Atomkraftwerke sollen gebaut werden, eines davon gemeinsam mit den drei baltischen Staaten in Litauen. Wie viele Staaten in Osteuropa fürchtet Polen, in Energiefragen von der einstigen Besatzungsmacht Russland abhängig zu sein. Über 90 Prozent der Erdölimporte kommen aus Russland. Dabei waren die Polen einmal Atomkraftgegner: Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 war die Angst so groß, dass der Bau eines Kraftwerks bei Danzig durch Proteste verhindert wurde. Heute beruhigt die Regierung die Bevölkerung mit dem Argument, die Kraftwerke westlicher Technik seien sicherer als die alten, sowjetischen Typs.
Das Land gehört zu den entschiedensten Gegnern der Kernkraft in Europa. Die Technik gilt als gefährlich, und wegen der schwierigen Abfallentsorgung auch als kostspielig. Darum ist das in Zwentendorf gebaute Atomkraftwerk nie ans Netz gegangen. Trotzdem protestieren die Österreicher regelmäßig gegen Kernkraft: Der tschechische Meiler Temelin, nur 50 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt, ist ein ständiger Grund für Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarstaaten. Wien wirft Prag vor, sich nicht an vereinbarte Sicherheits- und Informationsregeln zu halten. Ohne (Atom-)Stromimporte aus dem Ausland könnte Österreich seinen Energiebedarf nicht decken.