RUSSLAND
Der Staatskonzern soll dem Kreml den Weg zur Supermacht ebnen. Der europäische Markt spielt die zentrale Rolle. Doch die Ambitionen bergen auch Risiken.
Wem Gasprom droht, der zahlt immer. Anfang August forderte der russische Gaskonzern, Weißrussland möge seine Schulden begleichen, sonst werde man die Lieferungen an den Nachbarn um die Hälfte reduzieren. Keine 24 Stunden später hisste der Autokrat Alexander Lukaschenko in Minsk die weiße Fahne und zahlte. Der neue Gaskrieg war vorbei, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte. Mit Gasprom will Präsident Wladimir Putin Russland den Wiederaufstieg zur Weltmacht ebnen. Doch Experten warnen, dass sich Gasprom bei den ehrgeizigen Kremlplänen überdehnen könnte. Angetrieben durch den hohen Ölpreis ist Russland nach dem Niedergang in den 90er-Jahren wieder zurück auf der Weltbühne. Mit boomender Wirtschaft, einem saftigen Haushaltsüberschuss und neuen Waffen verlangt das Riesenreich nach mehr Mitsprache in der Weltpolitik. Beim G8-Gipfel 2006 in Sankt Petersburg sonnte sich Putin im Glanz der neuen Größe: Energiesicherheit hatte der Kremlchef zum Hauptthema des Treffens auserkoren. Ein Thema, das geeignet war, den Weltmachtanspruch von Putins neuem Russland zu untermauern.
26 Prozent der weltweiten Gasreserven liegen laut dem World Energy Report von BP unter russischem Territorium. Beim Öl sind es 6,6 Prozent. Mit ihnen will der Kreml seine Rückkehr auf die Weltbühne befeuern. Kern der Strategie ist der hauseigene Mammut-Konzern Gasprom: Nach eigenen Angaben Herr über etwa 17 Prozent der weltweiten Erdgasreserven, 330.000 Mitarbeiter, 155.000 Pipeline-Kilometer und das Exportmonopol für russisches Gas. Der Staat hält knapp über 50 Prozent.
Gasproms Expansion über die Grenzen Russlands hinaus ist Chefsache. "Präsident Putin und der Kreml sind die Agenten der auswärtigen Interessen Gasproms und anderer Energieunternehmen", sagt der Moskauer Politologe Stanislaw Belkowski vom Institut für nationale Strategie. "Eine andere Außenpolitik hat Russland nicht." Für den Traum eines Aufstiegs zur Energiegroßmacht hat Präsident Wladimir Putin Europa als wichtigste Marschrichtung vorgegeben. Der Kremlchef nutze verschiedene Taktiken, um Russlands neue Macht, die Kontrolle über Rohstoffe, zu sichern und zu mehren, sagt der amerikanische Russlandforscher Marshall Goldman. Ein Schachspiel um Gas und Öl, Russlands "Great Game" in Europa.
Seit der Übernahme der Führung durch Alexej Miller - einem engen Vertrauten Präsident Putins - führt Gasprom die Politik des Kremls aus. Zunächst ging der Konzern gegen Putins Gegner im Inneren vor, indem er 2001 den Fernsehsender NTW des Oligarchen Wladimir Gussinski übernahm.
Außenpolitisch gehören Gaskriege zum Neujahrsfest mittlerweile "zur guten russischen Tradition", wie das Moskauer Boulevardblatt "Moskowski Komsomolez" nach dem Gasprom-Streit mit Weißrussland 2007 ironisch anmerkte. An zum Teil saftigen Preiserhöhungen kam kaum eine der ehemaligen Sowjetrepubliken vorbei.
"Übergang zu Marktpreisen" heißt die neue, von Putin unterstützte Konzernpolitik. "Russland hat diese Republiken nicht nur in die Unabhängigkeit entlassen. Indem es ihre Wirtschaft über 15 Jahre in großem Maße subventioniert hat, hat es sie bei der Festigung ihrer Souveränität unterstützt", rechtfertigte der Kremlchef im Februar den Gasprom-Kurs. "Aber das kann nicht endlos so weitergehen." Trotz billigen Gases waren zuvor Länder wie die Ukraine, Moldawien, Georgien und Aserbaidschan politisch auf Distanz zu Moskau gegangen und hatten mit dem Westen geflirtet. Etwa ein Viertel von Europas Gas kommt aus Russland, in Deutschland sind es 30 bis 40 Prozent. Und Gasprom plant weitere Pipelines. Je stärker Europa am russischen Gastropf hängt, desto größer der Einfluss des Kremls auf dem Kontinent, scheint das Kalkül. Ob es aufgeht, ist fraglich: "Ein Staat, dessen Wirtschaft sich ausschließlich auf Rohstoffe konzentriert, kann weder eine Großmacht, noch eine Regionalmacht sein, sondern nur ein drittrangiges provinzielles Land", warnt Belkowski. "Das Konzept der ‚Energiesupermacht' macht Russland zur Rohstoffkolonie."
Eigentlich wollte die EU ihre Energiebeziehungen zum großen Nachbarn im Osten im neuen Partnerschaftsabkommen mit Russland regeln. Doch da blockiert sich Europa bislang selbst. Wegen eines polnischen Vetos musste Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel mit Putin im Mai die Eröffnung der Verhandlungen vertagen. Putin nutzt die Zerstrittenheit, um Fakten zu schaffen.
Im Ergebnis sollen russische Erdgasleitungen wie die Tentakel eines riesigen Kraken den europäischen Kontinent umschließen. Nach der noch von Altkanzler Gerhard Schröder beschlossenen Ostseepipeline vereinbarten Gasprom und die italienische Eni Ende Juni das Gegenstück "South Stream": 900 Kilometer lang soll die Trasse durch das Schwarze Meer verlaufen, um Bulgarien, den Balkan und Italien zu versorgen. Russland will damit Unabhängigkeit von Transitländern wie Weißrussland und der Ukraine erreichen, die Abhängigkeit der Gaskunden in Europa könnte die Folge sein. "Der Gasprom-Sturm auf Europa hat unter Fanfaren begonnen", kommentierte die Zeitung "Gaseta". Dabei ist die Abhängigkeit gegenseitig. "Eine Unterbrechung der Gaslieferungen wäre der Tod für Gasprom und Russland sowie für ihre langfristigen Interessen", sagt Belkowski. Zudem wären die Gasspeicher des Landes innerhalb von sechs Tage voll. "Das heißt, wenn Russland aufhört, Gas in den Westen zu liefern, dann muss es am sechsten Tag das Gas entweder abfackeln oder unabhängig von Preis und anderen Vereinbarungen verkaufen", so Belkowski. Durch Projekte wie die geplante Nabucco-Pipeline vom Kaspischen Meer will Europa zudem weitere Alternativen zu russischem Gas erhalten. Im Mai vereinbarte Putin mit Kasachstans Präsidenten Nursultan Nasarbajew und seinem Amtskollegen Gurbanguly Berdymuchammedow aus Turkmenistan den Bau einer neuen Pipeline durch Russland. Der amerikanische Think Tank Jamestown warnt: "Wenn sich die EU weiter zurücklehnt und Russland erlaubt, die Ausbeutung der zentralasiatischen Reserven und deren Transit zu managen, dann wird Russland sein Monopol auf den europäischen Markt behalten."
Moskau reagiert empfindlich, wenn Europa andere Energielieferanten sucht: "Wenn wir hören, dass sie ihre Quellen diversifizieren wollen, dann heißt das, dass wir uns überlegen müssen, wo wir unsere Waren absetzen werden", drohte Putin im Februar. Russland werde den Bau von Pipelines zum Pazifik beschleunigen. Doch der russische Energieexperte Wladimir Milow bezweifelt, dass Russland eine echte Alternative zum europäischen Markt hat. Gerade legt das Land eine erste Röhre Richtung Osten. Und auch der Idee einer Gas-OPEC räumen Experten wenig Chancen ein.
Mit Rückendeckung des Kremls sowie von Aufsichtsratschef und Vizeministerpräsident Dmitri Medwedew will Gasprom bis 2010 zum größten Unternehmen der Welt aufsteigen. Ziel ist auch der Zugriff auf Endversorger in Europa, die das russische Gas für weit mehr als das Doppelte weiterverkaufen, als sie an Gasprom zahlen. Gleichzeitig bringt der Konzern russische Förderstätten zurück unter Kremlkontrolle. Ende 2006 trat der britisch-niederländische Shell-Konzern die Mehrheit an dem Öl- und Gasprojekt Sachalin 2 an Gasprom ab. Die russische Umweltaufsicht hatte Shell zuvor wegen Verstößen gegen Umweltauflagen mit einem Lizenzentzug gedroht.
Im Juni übernahm der Gasriese wiederum nach Druck der Behörden auch die Führung des zwei Billionen Kubikmeter großen Gasfeldes Kowykta in Ostsibirien von der britisch-russischen TNK-BP. Dagegen beteiligte Gasprom bei der Erschließung des gewaltigen Schtokman-Vorkommens in der Barentssee den französischen Konzern Total. Putin versuche, Präsident Nicolas Sarkozy als neuen Verbündeten in der EU zu gewinnen, kommentierte die Zeitung "Kommersant".
Experten warnen vor einer milliardenschweren Investitionslücke bei Gasprom, die auch in Europa zu Lieferengpässen führen könnte. "Der Preis für die finanzielle Einkaufstour Gasproms ist das Verschieben der Erschließung neuer Förderstätten und eine Vertiefung der Krise bei der Gasförderung", schreibt Energieexperte Milow in der russischen Zeitschrift "The New Times". In den vergangenen vier Jahren stagnierte die Produktion des Konzerns, dagegen soll der Inlandsverbrauch in Zukunft kräftig steigen. Zumal die niedrigen Gaspreise in Russland kaum Anreiz zum Energiesparen geben.
Doch statt ins Gasgeschäft zu investieren, kaufte Gasprom den Moskauer Energieversorger Mosenergo oder baut Wettkampfanlagen für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Schulden von 56 Prozent des Jahresumsatzes sind laut Milow die Folge. Am 10. August musste der Konzern die Investitionen für das Schtokman-Gasfeld deshalb um eine Milliarde Dollar kürzen. "Für die geplanten neuen Pipelines existieren gar keine zusätzlichen Gasvorräte", warnt Belkowski deshalb. "Von der Schimäre des globalen Energiekonzerns muss man sich verabschieden, wenn Gasprom schon bei den derzeit hohen Preisen die Mittel für das Kerngeschäft Gas fehlen", resümiert Milow. Politisch birgt das Ende von Putins Amtszeit im März weitere Unwägbarkeiten für den Konzern. t
Der Autor berichtet als freier Korrespondent aus Moskau.